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16. Februar 2018

Eine Nation im Zombie-Modus: Unmündigkeit, fehlender Mut und Willenlosigkeit der Mehrheit zum zentralsten Thema der Zivilisation

Schumpeter

Joseph Alois Schumpeter zu der Frage, wie der Stöpsel auf dem Denken rund um das Geldsystem, Bernd Senf nannte ihn den „Nebel um das Geld“, festsitzt und wer ihn wie festhämmert[1, S. 414].

Wenn wir uns jedoch noch weiter von den privaten Belangen der Familie und des Büros entfernen und uns in jene Regionen nationaler und internationaler Angelegenheiten begeben, denen eine unmittelbare und unmissverständliche Verbindung mit jenen privaten Belangen fehlt, so entsprechen die private Willensäußerung, die Beherrschung der Tatsachen und die Methode der Schlussfolgerung sehr bald nicht mehr den Erfordernissen der klassischen Lehre. Was mir am meisten auffällt und mir der eigentliche Kern aller Schwierigkeiten zu sein scheint, ist die Tatsache, dass der Sinn für die Wirklichkeit so völlig verloren geht. Normalerweise teilen die großen politischen Fragen im Seelenhaushalt des typischen Bürgers den Platz mit jenen Mußestunden-Interessen, die nicht den Rang von Liebhabereien erreicht haben und mit den Gegenständen der verantwortungslosen «Konversation». Diese Dinge scheinen so weit weg zu sein; sie haben so gar nichts von einem Geschäftsunternehmen an sich; die Gefahren [Revolution, Bürgerkrieg] verwirklichen sich vielleicht überhaupt nicht, und wenn sie es doch tun sollten, so können sie sich immer noch als nicht so ernst erweisen; man hat das Gefühl, sich in einer fiktiven Welt zu bewegen.

Dieser reduzierte Wirklichkeitssinn [die fehlende Mündigkeit über die ökonomische und psycho-soziale Wirkweise des Geldsystems] erklärt nun nicht nur ein reduziertes Verantwortungsgefühl, sondern auch den Mangel an wirksamer Willensäußerung. Jedermann hat natürlich seine eigenen Phrasen, seine Begehren, seine Wunschträume und seine Beschwerden; namentlich besitzt jedermann seine Vorlieben und seine Abneigungen. Aber gewöhnlich entspricht dies nicht dem, was wir einen Willen nennen - das psychische[+] Gegenstück zu ziel- und verantwortungsbewusstem Handeln. Defacto gibt es für den privaten Bürger, der über nationale Angelegenheiten nachsinnt, keinen Spielraum für einen solchen Willen [die Menschen haben keine Zeit[+], um über „das große Ganze“ nachzudenken und wüssten angesichts der scheinbaren Komplexität aber auch gar nicht, wo sie da ansetzen könnten] und keine Aufgabe, an der er sich entwickeln könnte [Es wird fein säuberlich darauf geachtet, dass das für die Etablierten gefährliche Wissen über die Funktionsweise des Geldsystems nicht zufällig in den Aufgabenbereich eines Bürgers mit Kombinationsgabe, Willensstärke und stark ausgeprägtem sozialem Verantwortungsgefühl gelangt!]. Er ist Mitglied eines handlungsunfähigen Komitees, des Komitees der ganzen Nation, und darum verwendet er auf die Meisterung eines politischen Problems weniger disziplinierte Anstrengungen als auf ein Bridgespiel [selbst wenn man sich direkt an Politik beteiligt, ist es doch nicht Aufgabe der Politik, über Geldpolitik[+] zu bestimmen, da Geldpolitik[+] autonom ist!].

Das reduzierte Verantwortungsgefühl [Was kann der einfache Bürger schon dafür, dass seine Kleidung von armen Menschen genäht wird und die seltenen Erden für sein Smartphone, seinen Computer und seinen Fernseher von noch ärmeren Menschen aus der afrikanischen Erde geholt werden? lautet die zynische Frage] und das Fehlen wirksamer Willensäußerung [die Unmündigkeit] erklären ihrerseits den Mangel an Urteilsvermögen[+] und die Unwissenheit des gewöhnlichen Bürgers in Fragen der innern und äußern Politik, die im Fall gebildeter Leute und solche Leute, die mit Erfolg in nichtpolitischen Lebensstellungen tätig sind, womöglich noch anstößiger sind als bei ungebildeten Leuten auf bescheidenen Posten. Informationsmöglichkeiten sind reichlich vorhanden und leicht zugänglich. Aber dies scheint überhaupt keinen Unterschied auszumachen. Und wir sollten uns drob nicht weiter verwundern. Wir brauchen nur die Haltung eines Advokaten [ein Advokat ist dazu Gerufener, ein Anwalt] gegenüber seinen Instruktionen und die Haltung des gleichen Advokaten gegenüber den Darstellungen politischer Tatsachen in seiner Zeitung[+] zu vergleichen, um zu sehen, was los ist. Im einen Fall hat der Advokat durch jahrelange zielbewusste Arbeit[+], die unter dem eindeutigen Stimulus des Interesses an seiner beruflichen Tüchtigkeit stand, sich dazu befähigt, die Relevanz seiner Fakten richtig zu würdigen; und unter einem nicht weniger starken Stimulus richtet er nun seine Fertigkeiten, seinen Verstand, seinen Willen auf den Inhalt der Instruktionen. Im anderen Fall hat er sich nicht die Mühe genommen, sich auszubilden; er gibt sich auch keine Mühe, die Informationen zu verarbeiten, oder die Regeln der Kritik, die er sonst so gut zu gebrauchen weiß, darauf anzuwenden; und lange oder komplizierte Argumentationen machen ihn ungeduldig. Dies läuft alles darauf hinaus, zu zeigen, dass ohne die Initiative, die aus unmittelbarer Verantwortlichkeit hervorgeht, die Unwissenheit angesichts zahlreicher und noch so vollständiger und richtiger Informationen weiter besteht. So besteht weiter auch angesichts der verdienstvollen Bemühungen jener, die über das bloße Präsentieren von Informationen hinaus zu gelangen und ihre Verwendung mittels Vorträgen, Kursen und Diskussionsgruppen zu lehren suchen. Die Resultate sind nicht gleich Null. Aber sie sind gering. Man kann die Menschen nicht die Leiter hinauf tragen [Die vielen Geldsystemaktivisten, die sich die Seele aus dem Leib schreiben und schreien im Angesicht der Blödheit der Lämmer].

So fällt der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebiet betritt, argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde. Er wird wieder zum Primitiven. Sein Denken wird assoziativ und affektmäßig. Dies zieht nun zwei weitere Folgen von ominöser Bedeutung nach sich.

Erstens würde der typische Bürger - selbst wenn es keine politischen Gruppen gebe, die ihn zu beeinflussen suchten - in politischen Fragen leicht den außerrationalen oder irrationalen Vorurteilen oder Trieben nachgeben. [Viele Politik- und Geldsystemaktivisten spielen und arbeiten mit Ängsten[+]!] Die Schwäche der rationalen Verfahrensweisen, die er auf die Politik anwendet und das Fehlen einer wirksamen logischen Kontrolle der Resultate, zu denen er gelangt, würden an sich schon zur Erklärung genügen. Überdies wird er, einfach weil er nicht ganz dabei ist, in seinen gewöhnlichen moralischen Anforderungen nachlassen und gelegentlich dunklen Impulsen nachgeben, die die Verhältnisse seines Privatlebens ihm gewöhnlich zu unterdrücken helfen. Wenn er aber einem Ausbruch edler Entrüstung nachgibt, kann es in Bezug auf die Weisheit oder Rationalität seiner Folgerungen und Schlüsse gerade [genau] so schlecht herauskommen. Dadurch wird es für ihn noch schwieriger, die Dinge in ihren richtigen Proportionen zu sehen oder gar gleichzeitig mehr als nur eine Seite einer Sache zu sehen [z.B. das Sparen hat zwei dichotome Bedeutungen, weil der Leihvertrag zwei Vertragspartner hat: der eine gibt den Zins, der andere nimmt ihn]. Wenn er einmal aus seiner gewöhnlichen Unbestimmtheit heraustritt und den bestimmten Willen entfaltet, den die klassische Lehre der Demokratie postuliert, ist es infolgedessen sehr wohl möglich, dass er noch unintelligenter und verantwortungsloser wird, als er gewöhnlich schon ist. An gewissen Wendepunkten kann sich das für seine Nation als verhängnisvoll erweisen.

Zweitens: je schwächer jedoch das logische Element in der öffentlichen Meinung ist und je vollständiger die rationale Kritik und der rationalisierende Einfluss persönlicher Erfahrung und Verantwortlichkeit fehlt, desto größer sind die Chancen für Gruppen, die private Interessen verfolgen. Diese Gruppen können aus berufsmäßigen Politikern bestehen oder aus Exponenten wirtschaftlicher Interessen oder aus Idealisten der einen oder anderen Art oder aus Menschen, die einfach an der Inszenierung und Leitung politischer Schaustellungen ein Interesse finden. Die Soziologie[+] solcher Gruppen ist für das vorliegende Argument unwesentlich. Hier ist einzig wichtig, dass sie angesichts der «menschlichen Natur in der Politik», wie sie nun einmal ist, fähig sind, den Volkswillen zu formen und innerhalb sehr weiter Grenzen sogar zu schaffen. [die vielen Zins-Demagogen[+], „falsche Propheten“ nannte sie Jesus[+] gängeln und verwirren den Verstand der Schafe, um sie in bestimmten Gehegen zu halten]. Wir sehen uns bei der Analyse politischer Prozesse weithin nicht einem ursprünglichen, sondern einem fabrizierten Willen gegenüber. Und oft ist es einzig dieses Artefakt, das in Wirklichkeit der volonté générale der klassischen Lehre entspricht. Soweit dies so ist, ist der Wille des Volkes das Erzeugnis und nicht die Triebkraft des politischen Prozesses.

Die Art und Weise, in der Probleme und der Volkswille in Bezug auf diese Probleme fabriziert werden, ist völlig analog zur Art und Weise der kommerziellen Reklametechnik [Spiel mit Emotionen, z.B. Angst[+] oder Begehren]. Wir finden die gleichen Versuche, an das Unterbewusstsein heranzukommen. Wir finden die gleiche Technik der Schaffung günstiger oder ungünstiger Assoziationen, die umso wirksamer sind, je weniger rational sie sind. Wir sehen, dass das Gleiche vermieden, das Gleiche verschwiegen wird, und wir finden den gleichen Trick, durch wiederholte Behauptung eine Meinung zu schaffen - und dieser Trick ist genauso lange erfolgreich, als er rationale Argumente vermeidet und so auch die Gefahr, die kritischen Fähigkeiten des Volkes zu wecken. In diesem Stile gehen die Analogien[+] weiter. Nur haben alle diese Künste unendlich mehr Spielraum in der Sphäre der öffentlichen Angelegenheiten als in der Sphäre des privaten und beruflichen Lebens. Das Bild des hübschesten Mädchen, das je gelebt hat, wird sich auf die Dauer als machtlos erweisen, um den Absatz einer schlechten Zigarette aufrechtzuerhalten [wahrscheinlich Marlboro Werbung]. Eine entsprechend wirksame Sicherung im Falle politischer Entscheidungen gibt es nicht. Viele Entscheidungen von verhängnisvoller Bedeutung sind so beschaffen, dass es dem Publikum unmöglich ist, in Muße und zu mäßigen Kosten mit ihnen zu experimentieren. [z.B. die Beschäftigung mit der Frage/dem Gedankenexperiment: Was passiert, wenn das Zinsvorzeichen umkehrt?] Selbst wenn dies jedoch möglich ist, ist das Urteil[+] in der Regel nicht so leicht zu fällen wie im Fall der Zigarette, weil die Wirkungen weniger leicht zu interpretieren sind.

Aber solche Künste verderben auch, und zwar in einem Ausmaß, das auf dem Gebiet der kommerziellen Reklame völlig unbekannt ist, jene Formen der politischen Reklame, die sich an die Vernunft[+] zu richten vorgeben. Für den Beobachter tritt der antirationale oder jedenfalls außerrationale Appell, wenn er in Tatsachen oder Argumente gehüllt wird und die Schutzlosigkeit des Opfers nicht weniger klar war, sondern im Gegenteil klarer zutage. Wir haben oben gesehen, warum es so schwierig ist, dem Publikum unparteiische Informationen über politische Probleme und logisch richtige Schlussfolgerungen daraus zu vermitteln, und woher es kommt, dass Informationen und Argumente in politischen Fragen nur vermerkt werden, wenn sie an schon vorhandene Vorstellungen des Bürgers anknüpfen können. [Dies ist ein ziemlich wichtiger Punkt, denn die Menschen glauben zunächst der eigenen Wahrheit und Logik und das Neue muss diesbezüglich subjektiv anschlussfähig sein.] In der Regel sind jedoch diese Vorstellungen nicht bestimmt genug, um besondere Schlussfolgerungen zu determinieren. Da sie ihrerseits fabriziert werden können, ist ein wirksames politisches Argument fast unvermeidlich gleichbedeutend mit dem Versuch, vorhandene willensmäßige Prämissen in eine besondere Form zu gießen und nicht nur mit dem Versuch, sie zu ergänzen oder dem Bürger zu helfen, seine Entschlüsse zu fassen.

So sind denn Informationen und Argumente, für die schlagende Beweise vorgebracht werden, zumeist die Diener politischer Absichten. Da der Mensch immer als erstes für seine Ideale und Interessen zu lügen bereit sein wird, dürfen wir erwarten und finden wir auch tatsächlich, dass eine wirksame Information beinahe immer verfälscht oder ausgewählt ist und dass eine wirksame Argumentation in der Politik hauptsächlich darin besteht, gewisse Behauptungen zu Axiomen zu erheben und andere von der Traktandenliste zu streichen; so kommt sie auf die oben erwähnte Psychotechnik heraus. Der Leser, der mich für ungebührlich pessimistisch hält, braucht sich nur selbst zu fragen, ob er niemals gehört - oder selber gesagt - hat, dass von dieser oder jener unbequemen Tatsache nicht öffentlich gesprochen werden darf oder dass eine gewisse Richtung der Argumentation trotz ihrer Gültigkeit unerwünscht ist. Wenn Menschen, die nach den üblichen Maßstäben höchst ehrenwert, ja sogar hochgesinnt sind, sich den Implikationen daraus fügen - zeigen sie nicht dadurch, was sie über die Verdienste oder sogar die Existenz des Volkswillens denken?

Dies alles hat natürlich seine Grenzen. Es liegt viel Wahrheit in Jeffersons Ausspruch, dass letzten Endes die Leute klüger sind, als jedes einzelne Individuum sein kann - oder in Lincolns Ausspruch über die Unmöglichkeit, «ständig das ganze Volk zum Narren zu halten». Aber beide Aussprüche betonen in höchst bezeichnender Weise den langfristigen Aspekt. Ohne Zweifel ist es möglich zu argumentieren, dass nach einer gewissen Zeit[+] die kollektive Psyche[+] Ansichten [Perspektiven auf das Geldsystem und den Umverteilungskern des Kapitalismus[+], „Salomons Schlüssel“ nannte es Goethe] entwickeln wird, die uns nicht selten als höchst vernünftig[+] und sogar scharfsinnig vorkommen. Die Geschichte besteht indessen aus einer Folge von kurzfristigen Situationen, die den Lauf der Dinge endgültig verändern können. Wenn das ganze Volk kurzfristig «zum Narren gehalten» und schrittweise zu etwas verführt werden kann, was es nicht eigentlich will, und wenn das kein Ausnahmefall ist, den wir übersehen dürfen, so wird noch so viel gesunder Menschenverstand rückschauend nichts an der Tatsache ändern können, dass in Wirklichkeit das Volk die Streitfragen weder stellt noch entscheidet, sondern dass diese Fragen, die sein Schicksal bestimmen [z.B. Welche Wirkung hat das Zinsvorzeichen?, Wie lange kann Kapitalismus[+] „gut gehen“?, Welche Folgen hat er?, Welche Verantwortung ergibt sich, wenn man Kapitalismus[+] über einen sehr langen Zeitraum[+] betreibt?], normalerweise für das Volk gestellt und entschieden werden. Gerade wer die Demokratie liebt, hat mehr Grund als irgend jemand sonst, diese Tatsache anzuerkennen und sein Glaubensbekenntnis von dem Vorwurf zu befreien, dass es auf Spiegelfechterei beruht.

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