E-Mail: Warum auch und gerade Kleinsparer vom Negativzins profitieren
Lieber XY,
ich bemühe mich eine Antwort zu geben, die die Komplexität der richtigen Antwort enthält, ohne dabei kompliziert zu sein.
Die Antwort muss jedoch genügend komplex sein, damit Du die Antwort nachvollziehen kannst.
Ich kann Dir sehr kurze Antworten geben, die Du dann aber nicht nachvollziehen kannst.
So eine Antwort willst Du aber sicher nicht hören. Du willst die Antwort verstehen, nehme ich an.
Die wohl einfachste Antwort lautet, dass positive Zinsen grundsätzlich unfair und asozial sind, weil ja gerade die ihn (und umso mehr davon) bekommen, die schon so viel haben, dass sie es nicht selbst brauchen und verleihen können, während ihn diejenigen zahlen müssen, die nicht haben und von den Habenden borgen müssen, um auch besitzen und nutzen zu können. Die Habenden sind in dieser Beziehung aber immer vermögender als die Besitzenden, so dass der positive Zins eine permanente Umverteilung von arm zu reich bewirkt.
Durch Umkehrung unter Benutzung elementarer Logik ergibt sich, dass der negative Zins fair und sozial ist. Damit versteht man aber nicht, warum auch Kleinsparer vom Negativzins profitieren, obwohl ihnen (ja völlig unstrittig) etwas weggenommen wird. Sie profitieren trotzdem, weil ihnen auch etwas gegeben wird, denn der negative Zins beim Verleihen fließt ja nicht einfach nur von ihnen weg, sondern kehrt auf komplexen Pfaden zu ihnen zurück, wenn die Menschen nicht sogar direkt profitieren, mindestens weil sie eben nicht nur Kleinsparer sind, sondern auch Kreditnehmer, denn dann als Kredit- bzw. Darlehensnehmer bekommt er Zins für das Borgen von Geld. Ihre Eigenschaft, Kreditnehmer zu sein, ist jedoch nicht der Grund, warum auch und gerade Kleinsparer vom Negativzins profitieren werden. Es ist ihre Eigenschaft, gewöhnlicher Teilnehmer der Verkehrswirtschaft (der alte Name für Marktwirtschaft) zu sein, der den Negativzins zu ihnen zurückkehren lässt.
Ich betone bewusst den Unterschied zwischen Sparern und Kleinsparern. Kleinsparer definiere ich hier also solche Anleger, deren Rendite weit hinter ihren jeweils existenziell notwendigen Ausgaben zurückbleibt, die also nicht von den Zinsen leben können, aber für ihre private Vorsorge davon profitieren wollen. Der Mensch kann also in der Geldwirtschaft zwei Rollen einnehmen und Leihgeber sein, also Sparer, oder Leihnehmer, also Kredit- bzw. Darlehensnehmer.
Wie Du weißt, ist das Geld in einem Fluss, wenn es nicht gespart wird. Mit Deiner Frage verwandt ist die Frage, wohin denn der negative Zins geht, den Du als (Klein-) Sparer zahlst, was also die indirekten Pfade sind, über die Deine Rolle als Kleinsparer auf Dich zurückwirkt.
Indirekte Pfade, über die positive und negative Zinsen fließen
Interessant und wichtig (!) sind die indirekten Pfade, auf denen der Negativzins aus den Rollen der Sparer
in die Portmonnaies der Teilnehmer des Währungsraums incl. der Sparer zurückfließt,
denn das Geld ist ja bekanntlich zum Teil in einem Flusse (Tauschmittelfunktion des Geldes),
wenn es nicht zur Wertaufbewahrung ge- und missbraucht wird.
Ich nenne hier auch den Missbrauch der Wertaufbewahrungsfunktion, denn durch das Sparen bei positivem Zins „sorgt” man nicht nur für die Zukunft vor,
sondern übt auch eine amorphe Art von Macht aus, weil ja durch das Verleihen des Geldes bei positivem Zins gegenüber den Leihnehmern Zinsschulden,
also Hingabezwänge erzeugt werden.
Diese „religiös” anmutende Hingabe des Menschen an das Geld und seine Vermehrung
ist eben unsere (un-) heimliche, über 6.000 Jahre alte zivilisatorische, kapitalistische Religion.
Begrifflich unterscheide ich drei Verwendungen von Geld, die miteinander überlappen:
- Sparen: festverzinslich anlegen, Du verleihst das Geld also, z.B. an die Bank oder an einen Kreditnehmer.
- Investieren: Du tauschst Dir etwas, um damit mehr Geld zu erzeugen, ähnlich einem Händler, der Zweck ist die Vermehrung von Geld durch Erwerbstätigkeit. Man kaufst sich irgendein Mittel (Arbeitsgeräte, Nutzsachen) zum Zweck des Gelderwerbs (Erwerbstätigkeit). Zu den so erhaltenen Gütern zählen die Produktionsmittel und die Edukte der Produktion.
- Konsum(ption): Du tauschst es gegen etwas, das Du existenziell, zu Deiner nicht erwerblichen Subsistenz benötigst. Der Zweck ist private, nicht erwerbstätige Subsistenz (auch Reproduktion, z.B. Nahrung, Wohnung, Privat-PKW).
Um die Interaktion des einzelnen Wirtschaftssubjektes mit dem Geldsystem zu vervollständigen, füge ich hier noch den Verkauf hinzu, der ja eine Einnahme von Geld ist, während die eine Hälfte
- des Sparens, nämlich die Geldanlage,
- des Investierens, nämlich das Kaufen von (Produktions- bzw. Investitions-) Gütern zu Erwerbszwecken und
- des Konsums, nämlich zu Subsistenzzwecken (Selbsterhalt),
Einnahmen und Ausgaben des Wirtschaftssubjektes entstehen durch sein Handeln an den Märkten und sind Folge des Preisbildungsprozesses dort.
Übersicht über die Zinsflüsse
Ich zeige Dir nun ein Bild, das ich Dir dann in allen Details weiter auseinander dividieren kann, so dass alle Einzelheiten darin klar werden.
Ich tue es, um Dir zu zeigen, auf welchen Pfaden die Negativzinsen, die der Kleinsparer entweder an die Bank oder an einen Kreditnehmer verliert,
zum Menschen, der (auch, aber nicht nur) Kleinsparer ist, zurückkehren. Der Mensch ist ja nicht nur Sparer, sondern auch Darlehensnehmer,
i.A. sowohl Leihnehmer als auch Leihgeber, Konsument, Arbeitender und Steuerzahler.
Du siehst im oberen Bereich der Grafik die Leihgeber, die so viel haben, dass sie auf einen Teil davon verzichten und diesen verleihen können,
um so Zinsen zu erhalten. Die Leihverträge (Achtung: nicht juristische Terminologie, korrekt ist Sparvertrag, Darlehensvertrag, Mietvertrag, Pachtvertrag, Lizenz, ...)
werden an den Leihmärkten geknüpft. Banken sind wie andere Intermediäre der Leihwirtschaft
Institutionen dieser Märkte.
Die Leihnehmer sind
- die privaten Haushalte,
- die Unternehmen
- und die öffentlichen Haushalte,
Die Rückkehr der Negativzinsen zu den Kleinsparern über den Kreislauf des Geldes beginnt am Kleinsparer, der durch die Negativzinsen Geld verliert, weil er es spart, bzw. an Banken oder Darlehensnehmer verleiht! Die Negativzinsen der Kleinsparer fließen von ihnen weg über die Banken oder privaten Geldleihmärkte (z.B. Weltsparen, Smava, Auxmoney, usw.) an Leihnehmer. Wie sie sich von dort über das jeweilig handelnde, leihnehmende Subjekt weiter verteilen, hängt von seinem Verhalten ab. Wenn das leihnehmende Wirtschaftssubjekt sich entscheidet, das Geld nicht weiter zu verteilen, wird es es aufhäufen, doch steht der Haufen ja wieder unter negativem Zins, so dass das Geld wieder vom Haufen wegfließt (s.u.).
Von den kauffreudigen Konsumenten (private Haushalte), die sich einen Konsumkredit mit negativem Zins genommen haben, profitieren die Unternehmer
und ihre Beschäftigten (unter denen der Kleinsparer vielleicht einer ist).
Sind die Unternehmen die Nehmer von Darlehen mit negativem Zins, werden die Negativzinsen innerhalb des Unternehmens umverteilt
und fließen potenziell zurück in die Tasche der Konsumenten:
Wenn der Unternehmer die von den (Klein-) sparern erhaltenen Negativzinsen umverteilt, können sie über den Absatz seiner Produkte wieder an die Konsumenten, die auch Kleinsparer sind, zurückfließen, nämlich als verkleinerter Kapitalkostenanteil in den Preisen. Der Negativzins fließt aber auch über andere Kanäle, z.B. die Rohstoff- und Arbeitsmärkte und über die Märkte der Abfallwirtschaft (die ich übrigens für die am meisten und stärksten wachsende Zukunftsbranche halte!).
Der letzte große Pfad betrifft den Staat, dem der (Klein-) Sparer Geld leiht und Negativzins gibt, wenn er Staatsanleihen mit negativer Rendite kauft. Der Staat selbst ist insgesamt eine reine Umverteilungsstruktur, die nicht auf Gewinn aus ist, sondern auf eine möglichst sozialverträgliche Gestaltung der Folgen kapitalistischer Ökonomie. Die Steuerzahler, zu denen auch die (Klein-) Sparer zählen, profitieren also vom Negativzins, weil die Steuersätze wegen steigender Steuereinnahmen infolge des prosperierenden wirtschaftlichen Prozesses sinken können.
Anmerkung: Dass wir im August 2019 von einer drohenden Rezession sprechen, ist der „Staubsaugerwirkung” der Extrarunde der US-amerikanischen Notenbank geschuldet, die unbedingt noch einen Positivzins-Zyklus fahren musste, weil die Sparer in den USA den Hals nicht voll genug bekommen konnten. Die daraus folgende Rezession in der €-Zone ist daher exogen, weil die Aufwertung des Dollars gegenüber den Dollar-Schuldner-Währungen diese Länder in Zahlungsschwierigkeiten brachte und auch die Nachfrage nach Exportgütern der €-Zone infolgedessen einbrach. Die Rezession ist also nicht hausgemacht (endogen), sondern im Wesentlichen Ausfluss der Geldpolitik der US-Notenbank FED in Kombination mit dem von Trump losgetretenen Handelskrieg.
Zusammenfassung und die Bilder vom schmelzenden Eis und vom Kieshaufen
Ich habe Dir hier also die vielen verschlungenen Pfade (bestenfalls) skizziert, auf denen die Negativzinsen von Sparern weg wieder in die Portmonnaies der Menschen zurückfließen, die ja in ihrem Umgang mit Geld nicht nur Sparer sind, sondern auch Darlehensnehmer, Leihnehmer (Besitzer und Nutzer von Fremdkapital) und Leihgeber (Eigentümer) i.A., sowie Konsumenten, Arbeitende und Steuerzahler.
Die Sache ist leider fürchterlich kompliziert. Ein wenig einfacher macht es das Nachdenken darüber vielleicht, wenn man sich bewusst macht, dass Geld nicht einfach verschwindet, sondern (bei negativem Zins regulär) in permanentem Flusse ist. Deswegen benutze ich zum Denken der Wirkung des Negativzinses auf Sparguthaben gerne die Metapher der Wirkung der Klimaerwärmung auf Eis. Das Eis schmilz, das Geld wird liquide und fließt durch die Schläuche (über die Märkte) des Währungsraumes. Es kann sich nirgendwo aufhäufen und Eis werden, weil es nun mal warm ist.
Ich habe noch ein weiteres, relativ einfaches Bild gefunden, an dem die Absurdität des positiven Zinses und die Natürlichkeit des negativen Zinses deutlich wird. Die Mathematik dahinter habe ich hier aufgeschrieben, wenn Du es genau wissen willst. Ich gebe hier nur das Bild.
Stell Dir vor, dass Du als ein Unternehmer oder Arbeiter Jahr für Jahr eine Schaufel Kies auf einen großen Haufen beförderst.
Die Schaufel Kies ist Dein NETTO-Jahresgewinn, also das, was Du nach Tätigung der notwendigsten Ausgaben übrig hast.
Der Haufen symbolisiert das Geldvermögen auf dem Konto, Deine Absicherung.
Die Wirkung der Verzinsung des Haufens kannst Du Dir nun folgendermaßen vorstellen:
- Ist der Zins positiv, z.B. +1% dann kommt zusätzlich zu Deiner Schaufel Kies noch 1% der bereits vorhandenen Kiesmenge als Zuwachs hinzu. Dieser zusätzliche Kies wird von anderen herbeigeschaufelt, denn der positive Zins wird von den Darlehensnehmern bzw. ihrem nachgelagerten Vertrags-Netzwerk (Arbeitsverträge) durch geldwerte Arbeit getilgt. Du siehst also: Dein Kieshaufen wächst sowohl linear also auch exponentiell und in jedem Fall unbeschränkt an. Es stellt sich nur irgendwann die Frage, ob es genügend Kies gibt.
- Ist der Zins 0%, dann wächst Dein Haufen lediglich um das, was Du jedes Jahr draufschaufelst, und die Frage, ob es genügend Kies gibt stellt sich ebenfalls, wenn auch nicht so dringend. Bei 0% Zins ist es inbesondere so, dass es niemanden direkt beeinflusst, dass Dein Haufen Kies wächst, denn es werden ja gar keine Zinsen für Deinen Haufen fällig, die andere zahlen müssten.
- Ist der Zins negativ, sagen wir -1%, dann wird, bevor Du Deine Schaufel Kies am Jahresende auf den Haufen wirfst, der hundertste Teil (1%) von Deinem Haufen weggenommen. Solange die weggenommene Menge kleiner ist als das, was Du jedes Jahr am Ende hinzuschaufelst, wird der Haufen weiter wachsen. Aber irgendwann ist das, was weggenommen wird genauso groß wie das, was Du hinzuschaufelst, nämlich wenn da 100 Schaufel liegen. Dann hat das Vermögen, also der Haufen, seine Sättigungsgrenze erreicht (obere Grafik). Wenn Du jetzt mit etwas Abstand schaust, was eigentlich passiert, dann stellst Du fest, dass Du nur noch für andere schaufelst, weil ja alles, was zu Deinem Kieshaufen hinzu kommt, als Negativzins wieder weggeht. Wenn Dir das Schaufeln Spaß macht, dann mach' halt weiter. Der neue Kies auf dem Haufen geht ganz an andere. Wenn Du dich ausruhen willst, dann verleih Deinen Haufen zu einem Zins, der möglichst größer ist als -1% (also -0.5% z.B.) und vereinbare Kredittilgungsraten, welche Deinem jährlichen Bedarf an Kies entspricht. Genauso geht es allen, die Deinen Kies annehmen. Auch ihr Vermögen ist nach oben gemäß ihrer Leistungsfähigkeit, also ihrem Schaufelvermögen, beschränkt. Stell Dir nun abschließend noch vor, was mit solchen Haufen geschieht, die größer sind als 100 Schaufeln, vielleicht 200 Schaufeln. Von solchen Haufen gehen 1% als Zins an Kreditnehmer (das sind 2 Schaufeln bei 200 Schaufeln Kies) und der NETTO-Jahresgewinn 1 Schaufel kommt hinzu. Der Haufen schrumpft also (untere Grafik).
Man sieht also, dass infolge der Negativzinsen die Vermögen mathematisch nach oben beschränkt sind
und tendenziell ins Gleichgewichtsvermögen (Sättigungsvermögen) streben, solange der Mensch arbeitet.
Wenn Du mich also fragst, was Du mit Deinem Geld machen sollst, dann sage ich Dir:
Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Vorsorge,
- das Sparen, das ja auch bei negativem Zins noch geht, nur eben nicht mehr systemisch belohnt wird,
- und die Sorge für die eigenen Kinder und die Bedürftigen. Hilf' Deinen Kindern, dass sie in Wohneigentum kommen, denn dann sparen sie sich den Mietzins, verschaffe ihnen eine gute Ausbildung oder statte sie mit dem Notwendigen aus, um eigenständig erwerbstätig sein zu können, denn all das hilft dann auch Dir, wenn Du irgendwann Hilfe brauchst.
Ich habe übrigens festgestellt, dass ich komplizierte Text besser verstehe, wenn ich sie mir selbst (oder anderen) vorlese,
denn dann reflektiere ich irgendwie anders darauf. Das mag bei Anderen aber anders sein.
Viele Grüße,
Querverweise auf 'E-Mail: Warum auch und gerade Kleinsparer vom Negativzins profitieren'
- Aktuelles (Blog)
- Anregung in der SPD zur Diskussion über die Negativzins-Ökonomie; Was wären denn aus Deiner Sicht die Vorteile einer Umverteilung über Negativzinsen?; Würde das ab dem ersten Euro auf der Bank gelten? Dann wären ja auch sehr kleine Vermögen betroffen.; Wie könnte der befürchteten Flucht ins Bargeld begegnet werden? Mit dessen Abschaffung?; Würden nicht die Besitzer mittlerer und hoher Vermögen das umgehen können, indem sie in Sachwerte investieren z.B. Immobilien und Aktien?
- Wie kann man Ängsten vor der Negativzins-Ökonomie rational begegnen?; Für was sorgst Du eigentlich noch vor?; Wie wird sich die Kaufkraft Deiner Pension entwickeln?; Knappheit in den Austauschbeziehungen; Koevolution von psychischen und sozialen Strukturen; Den Teufel an die Wand gemalt: Weimarer Verhältnisse!; Ein wohlmöglich wesentlicher Kippmechanismus des Faschismus; Die Negativzins-Ökonomie schmackhaft machen; Wie soll ich Dir den Negativzins schmackhaft machen?