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21. September 2019

Erich Fromms Charaktermodell und seine Sicht auf den Nährboden des Nazismus

Wird das Sparen zu weit getrieben, dann entsteht daraus der Nazismus, so meine These, die ich hier mit einem Zitat von Erich Fromm unterfüttere.

Übersetzung der sozial-psychologischen Modelle von Fritz Riemann und Erich Fromm

Auf den letzten Seiten von Erich Fromms Die Furcht vor der Freiheit wird nun klar, welche Beziehung zwischen den sozialpsychologischen Persönlichkeits- und Charaktermodellen Erich Fromms und Fritz Riemanns bestehen. Fritz Riemann erläutert sein Modell in seinem Buch Grundformen der Angst von 1963.

Ich habe eine Übersetzung zwischen beiden Modellen[+] gefunden, die ich hier kurz darstelle. Ich habe bisher noch keine wesentlichen Widersprüche entdeckt. Diese Identifikation lässt eine beidseitige Übertragung zu. Es ergibt sich folgende Zuordnungstabelle:

Achse Fromm Riemann
Integrationsachse Sadismus Schizoidie[+]
Masochismus Depression[+]
Transformationsachse Spontaneität Hysterie[+]
Konformität Zwanghaftigkeit[+]
Die Integrationsachse, auf der es um soziale Macht geht, ist bei Fromm die Kollusion zwischen Sadisten (Schizoiden) und Masochisten (Depressiven). Auf der Transformationsachse hingegen geht es um Einstellung und Veränderung. Da stehen die Konformisten (Zwanghaften) den Spontanen (Hysterischen) gegenüber.

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Fritz Fromm zum psychologischen Nährboden des Nazismus

In Ergänzung der Kommentierung der aktuellen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 27.05.2019 und 04.06.2019 zitiere ich hier Erich Fromm in Die Furcht vor der Freiheit (1941):

Der Nazismus ist ein psychologisches Problem, aber man muss die psychologischen Faktoren aus den sozioökonomischen Faktoren heraus verstehen; der Nazismus ist ein ökonomisches und politisches Problem, aber dass er ein ganzes Volk erfasst hat, ist mit psychologischen Gründen zu erklären.

[...]

Da ist einerseits der Teil der Bevölkerung, der sich der Nazi-Herrschaft beugte, ohne wesentlichen Widerstand zu leisten, andererseits nicht zu den Bewunderern der Nazi-Ideologie und ihren politischen Methoden gehörte. Und da waren andererseits jene, welche sich zu der neuen Ideologie stark hingezogen fühlten und fanatische Anhänger derjenigen wurden, die sie proklamierten. Erstere Gruppe bestand hauptsächlich aus Angehörigen der Arbeiterklasse[+] und des liberalen[+] und katholischen Bürgertums. Trotz ihrer vorzüglichen Organisation, besonders was die Arbeiterschaft[+] betrifft, und trotz ihrer feindlichen Einstellung gegen den Nazismus von seinen Anfängen bis 1933 zeigten sie jedoch nicht den inneren Widerstand, den man aufgrund ihrer politischen Überzeugung von ihnen hätte erwarten können. Der Widerstandswille brach schnell zusammen, und sie haben seither dem Regime kaum noch Schwierigkeiten gemacht (abgesehen natürlich von der kleinen Minderheit, die in all den Jahren einen heroischen Kampf gegen den Nazismus geführt hat). Psychologisch scheint diese Bereitschaft, sich dem Nazi-Regime zu unterwerfen, vor allem auf eine innere Müdigkeit und Resignation zurückzuführen zu sein, die - wie wir im nächsten Kapitel zeigen werden - selbst in demokratischen Ländern für die Menschen unserer Zeit[+] charakteristisch sind.

[...]

Aber aus welchen Gründen auch immer hatte sie [die Arbeiterklasse[+]] eine ununterbrochene Folge von Niederlagen hinnehmen müssen, weshalb sie schließlich alle Hoffnungen aufgab. Anfang 1930 war fast alles, was die Arbeiter[+] mit ihren anfänglichen Siegen erreicht hatten, wieder verloren gegangen, und die Folge war eine tiefe Resignation, Misstrauen gegen ihre Führer und Zweifel am Wert einer jeden politischen Organisation und Aktivität. Sie blieben zwar noch Mitglied ihrer jeweiligen Partei und Glauben in ihrem Bewusstsein auch noch weiter an ihre politischen Doktrinen; tief im Inneren hatten viele von ihnen aber jede Hoffnung auf die Wirksamkeit einer politischen Tätigkeit aufgegeben.

[...]

Während die Arbeiterrschaft[+] und das liberale[+] und katholische Bürgertum zur Nazi-Ideologie eine negative oder resignierte Haltung einnahmen, wurde sie vom Kleinbürgertum, das sich aus Geschäftsleuten, Handwerkern und kleinen Angestellten zusammensetzt, leidenschaftlich begrüßt. (H.D. Lesswell, 1933, und F.L. Schumann, 1939).

Die Angehörigen der älteren Generation dieser Bevölkerungsgruppe bildeten die eher passiv eingestellte Massenbasis; ihre Söhne und Töchter waren die aktiveren Kämpfer. Diese fühlten sich von der Nazi-Ideologie ungeheuer angesprochen, von ihrem Geist blinden Gehorsams gegenüber dem Führer, vom Hass gegen rassische und politische Minderheiten, vom Streben nach Eroberung und Herrschaft, und von der Verherrlichung des deutschen Volkes und der »nordischen Rasse«; und dieser Appell an ihre Emotionen gewann sie für die Sache der Nazis und machte sie zu ihren begeisterten Anhängern und Verfechtern. Auf die Frage, weshalb die Nazi-Ideologie das Kleinbürgertum derart ansprach, ist im Gesellschafts-Charakter dieses Kleinbürgertums zu suchen.

Dieser Gesellschafts-Charakter unterschied sich deutlich von dem der Arbeiterschaft[+] und der höheren Schichten des Mittelstandes[+] wie auch des Adels in der Zeit[+] vor 1914. Es gibt gewisse Charakterzüge, die für diesen Teil des Mittelstandes[+] von jeher kennzeichnend waren:
  • seine Vorliebe für die Starken und sein Hass auf die Schwachen,
  • seine Kleinlichkeit,
  • seine feindselige Haltung,
  • seine übertriebene Sparsamkeit sowohl in Bezug auf seine Gefühle wie auch in Bezug auf das Geld, und ganz besonders
  • seine asketische Einstellung.
Der Horizont des Kleinbürgertums war eng begrenzt, es verachtete und hasste die Fremden, es war neugierig und neidisch auf die eigenen Bekannten, spionierte sie aus und rationalisierte seinen Neid als moralische Entrüstung. Sein ganzes Leben gründete sich auf das Prinzip der Sparsamkeit - wirtschaftlich und psychologisch.
Erich Fromm, Furcht vor der Freiheit[+], 1941, DTV 35024, Seite 152 ff.

Wer nach dem Studium dieser Zeilen immer noch nicht begriffen hat, dass sich Geschichte wiederholt, solange der die Zivilisation antreibende perverse sozioökonomische Prozess der Finanzierung des Wirtschaftsprozesses durch positive Zinsen am Wirken ist, dem sollte jegliche politische und ökonomische Verantwortung abgenommen werden. Wer das ganze Buch Die Furcht vor der Freiheit von Erich Fromm liest, der versteht sehr viel mehr von der emotionalen Situation unserer Zeitgenossen[+] und wird sich in Bezug auf den Umgang mit den rechtsextremen Schmuddelkindern der deutschen Geschichte sehr viel besser zu helfen wissen.

Die Aussichten sind jedoch alles andere als düster. Schaue ich mir die Zugriffs- und Besuchszahlen meiner Seite an, so bin ich zuversichtlich, dass sich die Negativzins-Ökonomie[+] zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit realisieren wird und sich so die psycho-pathologische Situation entspannt, denn ich bin bei Weitem nicht der Einzige, der über das Zinsvorzeichen aufklärt. Bis dahin ist natürlich noch eine Menge zu tun, sind eine Menge Gespräche zu führen und sind noch sehr viel mehr Leute zu erreichen und aus ihren affektiven Abgründen auf die Höhe der Zeit[+] anzuheben.

Ich bin überzeugt davon, dass wir es dieses eine für alle Mal schaffen werden. Der Kapitalismus[+] ist Geschichte, jetzt beginnt eine neue Zeit[+].

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Tim Deutschmann

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