Beantwortung einiger zentraler Fragen
Ich beantworte Kommentare zu meinem aktuellen Video.
Was passiert denn mit Aktien und Unternehmensbeteiligungen im Negativzinsumfeld?
Das ist eine sehr große Frage, über die man wahrscheinlich eine ganze oder gar mehrere Doktorarbeiten schreiben könnte. Man muss zunächst unterscheiden, ob es sich um realwirtschaftliche oder um finanz- und übrige leihwirtschaftliche Unternehmungen handelt (Unterscheidung von Realwirtschaft, Leih- bzw. „Nominal“-Wirtschaft hier). Die Leihwirtschaft ist der Handel mit Verfügungsrechten.
Unterscheidung nach Zugehörigkeit zu Bereichen der Wirtschaft
Die Gewinne von Finanzunternehmen hängen bei positivem Zins an der Differenz von Aktiv- und Passivgeschäft, die beide vom Zinsniveau beeinflusst werden (Zinsspanne, oder -marge). Im Moment erleben wir, dass sich Banken wegen der negativen Einlagefazilität aufgrund der privaten Konkurrenz (Smava, Auxmoney, etc.) immer stärker aus Gebühren finanzieren müssen und nicht mehr aus dem Aktivgeschäft, das aufgrund der Konkurrenz sinkende Einnahmen zu verzeichnen hat.
Kauft man Aktien von Immobilienvermietungskonzernen („Leihwirtschaft” nenne ich diesen Teil der Wirtschaft, z.B. Deutsche Wohnen oder Vonovia, Handel mit Verfügungsrechten an Wohnraum), dann hängt der Gewinn an der Entwicklung der Mietzinsen, und auch die ist indirekt vom Zinsniveau im Währungsraum abhängig, allerdings auf sehr viel komplexere Art und Weise als die Geldmarktzinsen. Ich erwarte z.B., dass der Zuzug aus ländlichen Regionen in die Ballungszentren und damit die Nachfrage nach Mietwohnraum nachlassen und sich sogar umkehren wird, wodurch erst die Mietzinsen und dann die entsprechenden Dividenden sinken werden (Eintrag vom 13.07.2019).
Zins als Handlungsfilter und Bedeutung des Mindestreservesatzes für das Vorzeichen der Inflation und den Währungswert
Generell gilt für alle realwirtschaftlichen Unternehmungen, dass sie steigender Nachfrage gegenüber stehen, denn der Negativzins begünstigt die Ausgabe und bestraft die Vorratshaltung von Geld. Es werden bei der Frage der Investition alle Anlageformen interessant sein, deren Rendite oberhalb des Zinsniveaus liegt. Generell bildet die Höhe der Zinsen eine Art „Handlungsfilter”. Unter einer Negativzins-Ökonomie werden Geschäftsmodelle existieren können, die im klassischen Sinn nicht „wirtschaftlich” sind, z.B. gemeinnützige Unternehmungen (Schumpeter in Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung zur Bedeutung des Zinses, Eintrag vom 21.03.2019).
Bei Baukonzernen, die ich zur Realwirtschaft zähle, wird man einen regelrechten „Boom” erleben, weil Wohnkonzerne billig an Geld kommen und die derzeit immer noch steigende, doch irgendwann nachlassende Nachfrage bedienen wollen, wodurch die Mieten sinken, aber die Löhne in der Baubranche und im angeschlossenen Handwerk steigen. Die Tendenz beim Wohnen wird in Richtung Eigentum gehen, die Wohneigentumsquote wird steigen.
Bei global vernetzten, realwirtschaftlichen und börsennotierten Unternehmungen, die über den Bezug von Rohstoffen und beim Absatz am Weltmarkt hängen, muss auf die Entwicklung des Währungsverhältnisses (Devisen) geblickt werden. Die Frage, ob und wie stark der € unter einer Negativzins-Ökonomie abwertet, hängt relativ empfindlich an der Höhe des Mindestreservesatzes und dem Zinsniveau.
In einem Vollreservesystem (quasi 100% Mindestreserve) erwarte ich eine nicht allzu starke, allerdings vom Zinsniveau abhängige Abwertung, da die Geldmenge insgesamt nicht mehr wächst und stattdessen nur von Gläubigern zu Schuldnern, von Guthaben zu Schulden umverteilt wird. Die Geldmenge wird also schrumpfen, der € verknappt. Andererseits will ja niemand einen „Gammel-€” halten, daher wird der € zu einer reinen Tauschwährung und, im Vergleich mit positiv-zinslichen Währungen, vorzugsweise nicht für die Wertaufbewahrung herangezogen werden, wodurch der € abwerten muss. Im Währungsraum erwarte ich in einem solchen Finanzsystem eine negative Inflation infolge sinkender Kapitalkostenanteile in den Preisen (Berechnung des Kapitalkostenanteils hier).
Belässt man es jedoch bei einem Mindestreservesystem, dann wird bei der Kreditvergabe weiter Geld „aus dem Nichts” geschöpft, doch verbleibt dann ein Teil des Kreditvolumens, der Negativzins bei Anleihe, Obligation, Kredit oder Darlehen, auf der Seite der Leihnehmer. Da insgesamt die Geldmenge weiter wächst, die Wachstumsquelle nun allerdings auf der Seite der Leihnehmer liegt, erwarte ich eher eine positive als eine negative Inflation, was Guthaben weiter entwerten wird. Solange es jedoch Inflation gibt, wird man weiter Anpassungen von nominal feststehenden Einkommen sehen (Arbeitskampf und Rentenanpassungen) mit entsprechenden Folgen für die Unternehmensbilanz beim Arbeitskampf. Die Abwertung des € wird in einem Mindestreservesystem bei negativem Zins sehr viel stärker sein als bei einem Vollreservesystem.
Konjunktur, Konkurrenz, Evolution und Fortschritt unter einer Negativzins-Ökonomie
Die langfristige Entwicklung der wirtschaftlichen Prozesse ist unter einer Negativzins-Ökonomie sehr viel schwieriger vorherzusehen als unter einer kapitalistischen. Ich erwarte keine oder nur sehr schwach ausgeprägte konjunkturelle Zyklen, weil ja das Vorzeichen des Zinses negativ ist und das Geld auf den Geldmärkten aufgrund der Negativzinsen ins Angebot gezwungen wird. In der Beschreibung der kapitalistischen Evolution finden die Begriffe Selektion und Mutation Anwendung, die man aus der Biologie kennt (Eintrag vom 25.08.2018).
Die bei positivem Zins verursachte Knappheit und die dazugehörige Verschärfung der Selektion durch Verstärkung des Selektionsdrucks (Ausrottung von „Zombies”) gibt es unter einer Negativzins-Ökonomie so nicht. Selektion (Ausrottung „unfitter“ Unternehmen und Betriebe) findet nur noch über Konkurrenz statt, während die Lebensgrundlage (Konsumverhalten und Finanzierungsbedingungen) eher reproduktionsförderlich für alle ist. Die Konkurrenz wird jedoch massiv ansteigen, weil ja fremdkapitalfinanzierte Unternehmensgründungen mit Negativzinsen bezuschusst werden.
Innovationen sind immer Mutationen bestehenden Wissens (Know-Hows). Der Markt selegiert die überlebensfähigen Unternehmungen und rottet unfitte Unternehmen aus. Die Höhe des Negativzinses wird daher mit der Mutationsrate des wirtschaftlich relevanten Wissens korrelieren, denn jede Innovation kann über Negativzinskredite realisiert werden. Mutation ist also insgesamt sehr viel größer, der Selektionsdruck ganz anders als im Kapitalismus, nämlich nur noch über Konkurrenz und nicht mehr über Verknappung des Geldes. Evolution und Fortschritt der Wirtschaft werden sich daher deutlich von Evolution und Fortschritt im Kapitalismus unterscheiden. Eine Wirtschaft unter einer Negativzins-Ökonomie wird sich rasant entwickeln und die Kapitalismen (Positivzins-Ökonomien) wahrscheinlich irgendwann abhängen, weil es allen besser gehen wird.
Ich erwarte außerdem ein Abschmelzen der Mono- und Oligopole, jedenfalls einen Wandlungsdruck,
allein schon weil akkumulierte Betriebsvermögen unter Investitionszwang geraten.
Die Etablierten werden sich also nicht mehr auf den in der Vergangenheit
akkumulierten Vermögen ausruhen können. Die Konkurrenz ist also unter einer Negativzins-Ökonomie
nicht mehr monopolistisch, sondern 'total' oder 'vollständig', wie Joseph Schumpeter es in 'Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie'
(Eintrag vom 07.01.2018) mit der Metapher 'Sauerteig' beschreibt.
Ich erwarte also massive Konkurrenz für die jeweiligen Mono- und Oligolpole innerhalb der Zweige (Organen) der Wirtschaft
und eine Verstetigung von Innovation.
Bezahle ich für eine Unternehmensbeteiligung Zinsen anstatt Dividende zu erhalten?
Ihre Frage macht keinen Sinn. Zins und Dividende sind unterschiedliche Kategorien, obwohl sich Dividenden aus Zinsen zusammensetzen können, sofern sie aus Anteile an leih- oder finanzwirtschaftlichen Unternehmungen stammen. Wenn Sie einem Unternehmen Geld mit negativem Zins leihen, dann beteiligen Sie sich nicht an ihm. Wenn Sie eine Aktie kaufen, dann erwerben Sie einen Anteil am Stammkapital und werden Eigentümer. Die Höhe der Dividende ergibt sich aus dem Gewinn in Kombination mit der Größe des Anteils am Stammkapital. Der Absatz hängt von den Marktbedingungen ab, und die sind bei negativem Zins konsum-, investitions-, innovations- und produktionsförderlich. Ich erwarte jedoch, wegen steigender Mitbestimmung, Umverteilung von ökonomischer Macht (Veränderung von Mitbestimmung) durch steigende Löhne und sinkende Mieten die Entstehung ganz anderer, neuartiger Beteiligungsformen an Unternehmungen und Betrieben (Vergemeinschaftung von Kapital), wie z.B. genossenschaftliche Unternehmungen in denen jeder Mitarbeiter den gleichen Eigentumsanteil am Unternehmen hält.
Werden die Vermögenden, die sowieso kaum Cash, sondern Sachwerte haben, nicht dadurch noch reicher, weil die Nachfrage nach Sachwerten steigt?
Selbst wenn Menschen kurzfristig reicher werden, können Gewinne nicht unbegrenzt akkumuliert werden. Vielmehr sind Vermögen unter einer Negativzins-Ökonomie mathematisch und physikalisch beschränkt. Schauen Sie sich doch dazu bitte auch hier die Entwicklung von Vermögen unter einer Negativzins-Ökonomie an.
Durch das Absinken der Zinsen ins Negative werden alle Anlageformen mit darüber liegender Rendite interessant. Liegt der Negativzins bei 5%, dann sind schon Anlageformen mit -4% Zins (Rendite) und natürlich alles Darüberliegende interessant. Es findet ja ein Paradigmenwechsel statt: Es geht nicht mehr um die Maximierung von Gewinnen, sondern um die Minimierung von Verlusten.
Um die Tendenz bei den Sachwerten anzugeben, denke ich im Spannungsfeld von Kapital und Arbeit. Kapital setzt sich aus (raffendem) Leihkapital und (schaffendem) Produktionskapital zusammen, und beides zählt zu den Sachwerten. Bei negativem Zins wird immer vom Leihkapital weg zu Produktionskapital und Arbeit (steigende Löhne) hin umverteilt. Ich erwarte daher, dass Sachwerte, die überwiegend dem Leihkapital zuzuordnen sind, an Wert verlieren und Produktionskapital, das sehr eng mit der Arbeit verknüpft ist, an Wert gewinnt. Über den oben beschriebenen und unter einer Negativzins-Ökonomie vorherrschenden Mechanismus der vollständigen Konkurrenz können Vermögen an Produktionskapital allerdings nicht mehr so leicht gehalten werden. Immobilien werden, sofern sie der Veräußerung und Spekulation und nicht der zweckmäßigen Nutzung dienen, an Wert verlieren. Generell kann wohl über das Wohneigentum aus Sicht von Besitzern gesagt werden, dass nicht der Wert zählt, sondern der Nutzen.
Positive Renditen wird es wohl immer nur an der „Innovationsfront” (emergierende Märkte) geben. Um sich da rechtzeitig gut aufzustellen, ist die beste Möglichkeit: Seien Sie selbst der Innovator, bilden Sie sich, studieren Sie und scheuen Sie das Risiko nicht, denn was eine immense Wertsteigerung erleben wird, ist selbstbestimmte, schöpferische Arbeit.
Im Gegensatz dazu leiden die "armen" Sparer mit dem Sparbuch unter den Negativzinsen
Unternehmen im Fluss