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Austauschbeziehungen

Die Beziehungen der Menschen untereinander, die physische[+] oder soziale Komponente des sogenannten Geistes, sind Austauschbeziehungen in denen Materielles und Immaterielles ausgetauscht wird. Generell können in der sozialen Interaktion die Dimensionen Austausch und Verhalten unterschieden werden, die sich beide aus dem Gleichgewicht der Bestimmung ergeben. Grundvoraussetzung eines Austauschs ist eine Zusammenziehung (Kontraktion), die in der Regel die Folge einer auf der Seite je eines Beziehungsteils gegebenen Diskrepanz (auch Differenz, Spaltung) zwischen nicht haben und voneinander wollen und haben besteht. Beide Beziehungsteilnehmer wollen (begehren) etwas Nehmbares vom jeweils anderen, das der jeweils andere hat und beide haben etwas Gebbares, das der jeweils andere haben will (begehrt). Georg Simmel[+] schreibt:

„Man muss sich hier klarmachen, dass die Mehrzahl der Beziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann; er ist die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und Inhalt gewinnen will.”

Der Tausch, der uns als etwas ganz Selbstverständliches erscheint, ist das erste und in seiner Einfachheit wahrhaft wunderbare Mittel[+], mit dem Besitzwechsel[+] die Gerechtigkeit zu verbinden; indem der Nehmende zugleich Gebender ist, verschwindet die bloße Einseitigkeit des Vorteils, die den Besitzwechsel[+] unter der Herrschaft eines rein impulsiven Egoismus oder Altruismus charakterisiert; welche letztere übrigens keineswegs immer die zeitlich erste Stufe der Entwicklung ausmacht.

Allein die bloße Gerechtigkeit, die der Tausch bewirkt, ist doch nur etwas Formales und Relatives: der eine soll nicht mehr und nicht weniger haben als der andere.

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Geben und Nehmen

In der Regel ist die Gabe von etwas mit einem psychischen[+] oder physischen[+] Aufwand verbunden. Hingabe ist ein Opfer. Etwas zu geben bedeutet, sich durch Zeit[+] und Arbeit[+] einem Beziehungspartner zuzuwenden. Hingabe ist durch die eigenen Grenzen beschränkt auf die Größe des Leistbaren. Hingabe ist erschöpfend und ermüdend. Von der Hingabe muss ein Lebewesen sich erholen. Doch warum geben wir (uns) hin? Weil wir müssen, weil wir wollen? Für Georg Simmel[+] ist Hingabe ein Opfer, dessen Hingabe oder Erbringung der Erlangung des Begehrten dient[1, Kapitel 1, Teil II].

Das Gegenteil der Hingabe ist die An- oder Wegnahme. Es ist in der Handlung das Empfangen oder das Nehmen von Materiellem oder Immateriellem von einem Beziehungspartner. In der Regel sind auch der Annahme von Dingen physische[+] und psychische[+] Grenzen gesetzt.

Das Gegebene und Genommene ist aus Sicht des Einzelnen bewertbar. Es hat eine emotionale Bedeutung, einen Sinn, und kann auf diese Weise „bilanziert“ werden. Eine Austauschbeziehung ist in einem Gleichgewicht, wenn sich das Geben und Nehmen aus Sicht beider Beziehungs-Teilnehmer die Waage hält.

Da die Menschen aber in der Regel Teil von mehreren Beziehungen und diese emotional in der Regel nicht ganz trennbar sind, ist es auch nicht einfach, die Beziehungen getrennt zu bewerten. Aus Sicht des Einzelnen zählt effektiv nur die Bilanz der Gesamtbeziehung. Nur ausgeglichene Austauschbeziehungen können dauerhaft bestehen. Ein Defizit in einer Austauschbeziehung kann durch ein entsprechendes Surplus in einer anderen ausgeglichen werden.

Das Gleichgewicht der Bestimmung in Austauschbeziehungen

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“

Der Tauschvorgang einer Austauschbeziehung ist in 4 Teilhandlungen zerlegbar, von denen jeweils die ersten und die letzten beiden in einem physischen[+] Zusammenhang, ein „Miteinander-Handeln“, also räumlich und zeitlich miteinander verkoppelt sind.

  1. $P_1$ gibt $G_1$,
  2. $P_2$ nimmt $G_1$,
  3. $P_2$ gibt $G_2$,
  4. $P_1$ nimmt $G_2$,

Objektiv finden beim Tausch also zwei ineinander greifende Handlungen statt, die Hingabe von $G_1$, bei der $P_1$ gibt und $P_2$ nimmt und dann die Hingabe von $G_2$ in die andere Richtung, bei der $P_2$ gibt und $P_1$ nimmt. Gewöhnlich sind beide ineinander greifende Handlungen zeitlich unmittelbar aneinander anschließend, doch muss dies nicht die Regel sein.

Besonders einfach wird die Vorstellung von Tauschvorgängen, wenn man dabei an das innerhalb der Zivilisation prominenteste Tauschmittel Geld denkt, doch ist dabei auch zu bedenken, dass das Tauschen mit Geld zwar direkt und unmittelbar betrachtet analog zu allen anderen Tauschvorgängen verläuft, doch sozial und insgesamt betrachtet, indirekt und mittelbar mit anderen Intentionen (Absichten, Zwecken[+], Zielsetzungen, usw.) verläuft als das Austauschen von Gütern, von denen keines Geld oder geldartig ist. Diese intentionale Differenz, der Unterschied im Motiv, der Absicht, des Tausches, ist der fundamentale Treiber des kapitalistischen Zivilisationsprozesses. Um diesen Unterschied, diese Differenz, zu verstehen müssen die Beziehungen der Tauschpartner zu direkt Unbeteiligten aber indirekt Beteiligten in Betracht gezogen werden. Dies geschieht jedoch an anderer Stelle mit größerer Tiefe.

Simmel[+] schreibt zu den Austauschbeziehungen[1, S. 382f]:

Wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß das zum Genuß verfügbare Güterquantum ein begrenztes ist; daß es den vorhandenen Ansprüchen nicht genügt; daß endlich »die Welt weggegeben ist«, das heißt, daß im allgemeinen jedes Gut seinen Besitzer[+] hat - so folgt daraus, daß, was dem einen gegeben wird, dem anderen genommen werden muß.

Zieht man hier nun alle die Fälle ab, in denen dies ersichtlich nicht gilt, so bleiben doch immer noch unzählig viele, in denen die Bedürfnisbefriedigung des einen nur auf Kosten des anderen erfolgen kann.

Wollte man dies als das oder ein Charakteristikum oder Fundament unseres Wirtschaftens ansehen, so würde es sich in alle jene Weltanschauungen einordnen, die überhaupt das Quantum der der Menschheit beschiedenen Werte - der Sittlichkeit, des Glückes, der Erkenntnis - für ein seiner oder ihrer Natur nach unveränderliches halten, so daß nur die Formen und die Träger desselben wechseln können.

Schopenhauer neigt sich der Annahme zu, daß jedem Menschen sein Maß von Leiden und Freuden von vornherein durch seine Wesensart bestimmt ist; es könne weder überfüllt werden noch leer bleiben, und alle äußeren Umstände, auf die wir unser Befinden zu schieben pflegen, stellten nur einen Unterschied in der Form, jenes unveränderliche Lust- und Leidquantum zu empfinden, dar.

Erweitert man diese individualistische Vorstellung auf die menschliche Gesamtheit, so erscheint all unser Glücksstreben, die Entwicklung aller Verhältnisse, aller Kampf um Haben und Sein als ein bloßes Hin- und Herschieben von Werten, deren Gesamtsumme dadurch nicht verändert werden kann, so daß aller Wechsel in der Verteilung nur die fundamentale Erscheinung bedeutet, daß der eine jetzt besitzt, was der andere - freiwillig oder nicht - weggegeben hat. Diese Erhaltung der Werte entspricht ersichtlich einer pessimistisch-quietistischen Weltansicht; denn je weniger man uns imstande glaubt, wirklich neue Werte hervorzubringen, um so wichtiger ist es, daß auch keiner wirklich verloren gehe.

Alleine durch das Vorhandensein von Austausch und Handel lässt sich die beobachtbare, sich zuspitzende Verteilung des geltenden Toten[+], des Kapitals, nicht erklären, denn wenn alle miteinander in Austausch stehen und sich darum bemühen, die Äquivalente am Markt miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen, würde Eigentum[+] sich nicht so stark in der Hand von zahlenmäßig immer weniger Werdenden konzentrieren, wie es im Kapitalismus[+] der Fall ist. Vielmehr bedarf es einer Störung der Austauschbeziehungen, die die beobachtbare Akkumulation[+] erklärt.

Späteren Ausführungen konzeptionell vorgreifend, lässt sich die Umverteilungswirkung des Kapitalismus[+] dadurch erklären, dass einer der beiden Handelnden im Vergleich zu dem, was er gibt, weniger nimmt und der andere hingegen mehr nimmt, als er gibt. Des Einen Verlust ist des Anderen Gewinn. Was der Eine gibt, nimmt der Andere. Betrachtet man dabei nur die Abweichung des Gegebenen vom Genommenen, die Differenz, so ist im Tausch effektiv nur eine Hälfte einer neutralen Austauschbeziehung (freier Markt) vorhanden, also nur eine der beiden relativ zu einem ungestörten Tausch vorhandenen ineinander greifenden Teilhandlungen gegeben, denn der, der gibt, nimmt nichts, sondern nur der andere. Der andere hingegen gibt nichts, sondern nimmt nur. Eine Anomalie (eine Störung) der Austauschbeziehung ist also dann gegeben, wenn einer der beiden Handlungen nicht stattfindet, wenn es also für den Einen keinen Gegenleistung seines Hingegebenen gibt.

Eine Störung von Gegebenem und Genommenem liegt vor, wenn einerseits mehr gegeben als genommen und andererseits mehr genommen als gegeben wurde.

Diese Anomalie kann rechnerisch am einfachsten aus einer Störung des Wertverhältnisses (z.B. den realen Arbeitsgehalten[+]) der ausgetauschten Güter entstehen und ist in einer Differenz der Werte dargestellt. Hierbei spielt die subjektive Messung des Werts der Güter eine letztendlich entscheidende Rolle. Die Anomalie stellt sich in einer Störung der neutralen (fairen, ausgeglichenen, im Gleichgewicht, unter der Erfüllung des nomischen Gleichgewichts befindlichen, die Grundbedingung der doppelten Kontingenz[+] erfüllenden) Austauschbeziehung, des freien Marktes also, dar.

Wie später noch deutlich werden wird, sind Märkte, also die Austauschbeziehungen des Geldnetzwerks, im Kapitalismus[+] im Allgemeinen nicht frei, sondern in unterschiedlichsten Formen durch die Zinsnahme der Eigentümer[+] des Kapitals bedingt (konditioniert). Die Störung, die Anomalie der Austauschbeziehung ist eine Störung des Preises, denn der Preis ist das Wertverhältnis der ausgetauschten Güter.

Liegt am Ort und in der Zeit[+] des Zustandekommens der Austauschbeziehung - beim Tausch gegen Geld ist dies der Markt - eine Störung vor, so muss gefragt werden, warum einer der beiden Partner etwas gibt, für das er keine Gegenleistung erhält. Es gibt bei der Modalität dieses Handelns zwei Extrem- und sämtliche Mischformen. Die Extremformen sind: er tut es freiwillig oder er ist dazu gezwungen. Mischformen sind, dass er er sowohl freiwillig als auch gezwungenermaßen tut oder „weder-noch“, es ist ihm egal. Bei einer Störung ist es grundsätzlich interessant danach zu fragen, was eigentlich die Ursache[+] für die Störung ist oder, mit anderen Worten, wer oder was eigentlich darüber bestimmt, wieviel gegeben und wieviel genommen wird.

Wie hier gezeigt, lässt sich in allen Austauschbeziehungen grundsätzlich das Gleichgewicht der Bestimmung mitdenken, das ein vom unmittelbaren Tausch untrennbarer Teilaspekt ist, der über das effektiv Ausgetauschte bestimmt. Unmittelbare sprachliche Verknüpfungen zwischen dem Gleichgewicht von Geben und Nehmen (goldene Regel) und dem Gleichgewicht der Bestimmung finden sich in den Worten Forderung, das der Ausdruck des Begehrens und Haben Wollens von etwas ist und dessen Hingabe erzwingen will und Schuld, das mindestens zwei Bedeutungen hat, nämlich eine monetäre und eine nicht monetäre, sondern moralische, ethische, straf- oder zivilrechtliche. Die Schuld ist dann durch eine Zahlung oder Hingabe von Geld oder irgend eine Form der Buße, Sühne oder Wiedergutmachung tilgbar (siehe das Kapitel über personale Wert in Simmels Philosophie des Geldes[+]). Man erkennt hier den engen Zusammenhang beider Gleichgewichte: der Fordernde will die Hingabe von etwas erzwingen. Wir dem Fordernden die Forderung (gesellschaftlich, rechtlich) zugestanden, überwiegt seine Freiheit[+] gegenüber der Freiheit[+] desjenigen, von dem gefordert wird und der also, wie auch der Schuldige, unter einem Zwang[+] steht hinzugeben.

Soziologisch besonders interessant wird es, wenn über Märkte systematisch und flächendeckend große Teile der Bevölkerung monetären Hingabezwängen aufgrund der Verteilung von Zinsschulden unterworfen werden, die subliminal, also unterhalb der Bewusstseinsschwelle, wirken. Dies ist ein gewöhnlicher Vorgang im Kapitalismus[+], man nennt das Prinzip „Schuldgeldsystem“ (vgl. mit Kredittheorie und dem Prinzip des Kerbholzes) und es führt zu dem, was man vielleicht als „kapitalistische Erziehung“ oder auch „monetäre Sozialisation“ bezeichnen könnte. Die systematischen Störungen des Gleichgewichts des Gebens und Nehmens und des Gleichgewichts der Bestimmung bewirken Formungen der Seelen.

Interpenetration und Sozialisation

In den Austauschbeziehungen zur Umwelt, den sozialen Systemen, bilden sich in der Sprache Niklas Luhmanns psychische[+] Systeme aus. Psychische Systeme befinden sich in der Umwelt sozialer Systeme, und umgekehrt sind soziale Systeme die Umwelt psychischer[+] Systeme. Das dynamische Überlappen der Systeme bezeichnet Luhmann[+] als Interpenetration, und da es sich dabei um alle möglichen Wechselwirkungsformen zwischen Systemen handelt, muss Interpenetration immer auch im Hinblick auf das Gleichgewicht von Geben und Nehmen betrachtet werden.

In Soziale Systeme, Kapitel 6: Interpenetration, Abschnitt 8 schreibt Niklas Luhmann[+] zu den Prämissen seines Sozialisationsbegriffs

  1. Probleme der Kausalität[+] werden als sekundär angesehen gegenüber Problemen der Selbstreferenz.
  2. Alle Informationsverarbeitung gewinnt ihren takeoff nicht an Identitäten (z.b. Gründen), sondern an Differenzen [Kontrasten, Unterschieden, Widersprüchen, Unpässlichkeiten, ...].
  3. Wir waren genötigt, Kommunikation (als konstituierende und reproduzierende Autopoiesis[+]) und Handlung (als konstituiertes Element sozialer Systeme) zu unterscheiden.
  4. Der Mensch ist Umwelt sozialer Systeme.
  5. Das Verhältnis von Mensch und sozialen System wird unter dem Gesichtspunkt von Interpenetration begriffen.

Luhmann[+] definiert Sozialisation wie folgt:

Die oben genannten Theorieprodukte können uns jetzt als kontrollierte Prämissen dienen. Als Sozialisation wollen wir ganz pauschal den Vorgang bezeichnet, der das psychische[+] System und das dadurch kontrollierte Körperverhalten des Menschen durch Interpenetration formt.
[...]
Der Begriff übergreift damit mehrere Systemreferenzen, er übergreift positiv und negativ zu wertende Effekte, er übergreift erst recht konformes und abweichendes, krankhaftes ( z.b. neurotisches) und gesundes Verhalten. Sozialisation in diesem Sinne ist kein erfolgsträchtiges Geschehen ( das allenfalls missglücken kann ). Eine Theorie, die den Sozialisationsbegriff auf die Erzeugung von angepasstem, erwartungskonformem Verhalten festlegt, könnte die Entstehung gegenteiliger Verhaltensmuster nicht erklären, und sie wäre auch hilflos gegenüber Feststellungen wie der, dass gerade Anpassung neurotische Züge tragen kann und dass es Steigerungszusammenhänge von Anpassung und Neurosen gibt.

Er betont damit die Nähe dieses Sozialisationsbegriffes zu einem Begriff aus der Psychologie, der Neurosenstruktur, bzw. Neurosendisposition. Norbert Elias[+] nennt das Produkt der Sozialisation die sich im psychischen[+] System durch die Kopplung bzw. Interpenetration mit dem Beziehungspartnern gebildete „Kontakt-“ und „Schnittstellenform“ seelische Form. Was in der der Psychologie Neurosenstruktur genannt wird, sind also verinnerlichte Bestimmungen, erlernte Kausalitäten[+], Regeln, Gesetze, Normen und Verhaltensanpassungen.

Simmel[+] schreibt außerdem:

So sind die Normen -mag man sie mit Plato und Schopenhauer die Ideen, mit den Stoikern die Logoi, mit Kant das Apriori, mit Hegel die Stufen der Vernunftentwicklung[+] nennen -nichts als die Arten und Formen der Relativitäten selbst, die sich zwischen den Einzelheiten der Wirklichkeit, sie gestaltend, entwickeln.

Sie sind selbst nicht in demselben Sinn relativ, wie die ihnen untertanen Einzelheiten, da sie deren Relativität selbst sind. Auf dieser Grundlage wird es verständlich, dass das Geld, als der abstrakte Vermögenswert, nichts anderes ausdrückt, als die Relativität der Dinge, die eben den Wert ausmacht, und doch zugleich als der ruhende Pol den ewigen Bewegungen, Schwankungen, Ausgleichungen derselben gegenübersteht.

Insofern es das letztere nicht tut, wirkt es eben nicht mehr seinem reinen Begriffe nach, sondern als Einzelobjekt, das allen anderen koordiniert ist.

Nur ganz missverständlich könnte dagegen eingewandt werden, dass in der Geldleihe und dem Wechselgeschäft doch Geld für Geld gekauft wird, und dass es deshalb, trotzdem es hier in der Reinheit seines Begriffes verbleibt, sich die Relativität der Einzelwerte aneignete, die es doch nicht haben, sondern nur sein sollte.

Dass das Geld die Wertrelation der unmittelbar wertvollen Dinge untereinander ausdrückt, enthebt es freilich dieser Relation und stellt es in eine andere Ordnung[+]. Indem es die fragliche Relation mit ihren praktischen Konsequenzen verkörpert, erhält es selbst einen Wert, mit dem es nicht nur in das Tauschverhältnis zu allen möglichen konkreten Werten tritt, sondern mit dem es auch innerhalb jener ihm eigenen, jenseits der Konkretheit stehenden Ordnung[+] Relationen unter seinen Quanten anzeigen kann.

Das eine Quantum bietet sich als gegenwärtiges, das andere als versprochenes, das eine als in dem einen Bezirk akzeptiertes, das andere in einem anderen - dies sind Modifikationen, die zu gegenseitigen Wertrelationen führen, völlig unbeschadet der Tatsache, dass das Objekt, an dessen Teilquanten sie vorgehen, als Ganzes selbst die Relation zwischen Objekten von andersartiger Wertbedeutung darstellt.

Das Kind, die Frucht der Austauschbeziehung, das Dritte, das Es

Jedes materielle Ding hat durch seine Wahrnehmung eine immaterielle „Darstellung“ im Menschen (Dualität von Körper und Geist). Die Austauschbeziehungen der Menschen hinterlassen Spuren in der Welt und in der Seele. Diese Spuren sind die Kinder des Geistes.

In Philosophie des Geldes[+] beschreibt Georg Simmel[+] den insbesondere in den Tauschbeziehungen zutage tretende Wert als die oben genannte Diskrepanz (Differenz) von Haben und Wollen. Der Gegenstand ist das seiner Einverleibung (der Stillung des Wollens) Widersetzte, das sich im Eigentum[+] des Tauschpartners befindet. Der Gegenstand hat Wert, weil er von einem Tauschpartner gewollt wird und dem anderen gehört[1, S.73f]:

Ich führte schon oben Kants Zusammenfassung seiner Erkenntnislehre an: die Bedingungen der Erfahrung seien zugleich die Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung - womit er meinte, dass der Prozess, den wir Erfahrung nennen, und die Vorstellungen, die dessen Inhalte oder Gegenstände bilden, ebendenselben Gesetzen des Verstandes unterliegen.

Die Gegenstände können deshalb in unsere Erfahrung eingehen, von uns erfahren werden, weil sie Vorstellungen in uns sind, und die gleiche Kraft, die die Erfahrung bildet und bestimmt, sich in der Bildung jener äußert.

In demselben Sinne können wir hier sagen: die Möglichkeit[+] der Wirtschaft ist zugleich die Möglichkeit[+] der Gegenstände der Wirtschaft.

Eben der Vorgang zwischen zwei Eigentümern[+] von Objekten (Substanzen, Arbeitskräften[+], Rechten[+], Mitteilbarkeiten jeder Art), der sie in die »Wirtschaft« genannte Beziehung bringt, nämlich die - wechselseitige Hingabe, hebt zugleich jedes dieser Objekte erst in die Kategorie des Wertes.

Der Schwierigkeit, die von Seiten der Logik drohte: dass die Werte doch erst dasein, als Werte dasein müssten, um in die Form und Bewegung der Wirtschaft einzutreten, ist nun abgeholfen, und zwar durch die eingesehene Bedeutung jenes psychischen[+] Verhältnisses, das wir als die Distanz zwischen uns und den Dingen bezeichneten; denn dieses differenziert den ursprünglichen subjektiven Gefühlszustand in das die Gefühle erst antizipierende, begehrende Subjekt und das ihm gegenüberstehende, nun in sich den Wert enthaltende Objekt - während die Distanz ihrerseits auf dem Gebiete der Wirtschaft durch den Tausch, d. h. durch die zweiseitige Bewirkung von Schranken, Hemmung, Verzicht hergestellt wird. Die Werte der Wirtschaft erzeugen sich also in derselben Gegenseitigkeit und Relativität, in der die Wirtschaftlichkeit der Werte besteht. Der Tausch ist nicht die Addition zweier Prozesse des Gebens und Empfangens, sondern ein neues Drittes, das entsteht, indem jeder von beiden Prozessen in absolutem Zugleich Ursache[+] und Wirkung des anderen ist.

Dadurch wird aus dem Wert, den die Notwendigkeit[+] des Verzichtes dem Objekt verleiht, der wirtschaftliche Wert.

Der hervorgehobene Satz verdeutlicht, dass Georg Simmel[+] im Tausch ein Drittes (ein drittes System) erkennt, das sich zwischen den Partnern (den miteinander tauschenden Systemen) befindet. Die Märkte sind diejenigen Orte im Geldnetzwerk, an denen es zu Übertragungen und Anpassungen von Bewertungsmustern kommt: es bilden sich Preise für Nutzgüter, Konsumgüter und Arbeit[+] (Wert der Arbeit[+], Selbstwert). Diese Übertragungen, die Anpassungen und Veränderungen der subjektiven Bewertungen sind die Wirkungen, die Kinder, des wirtschaftlichen Gesamtprozesses in den Seelen der Menschen.

Libido und Destrudo, Schöpfung und Zerstörung des Kindes

Der Mensch erschafft und hat in seinen Beziehungen viele Kinder. Jeder Gegenstand einer (Teil-)Beziehung, also jedes Produkt der Arbeit[+], jeder Strauß an Gefühlen gegenüber einem Beziehungspartner, jedes Inter-esse (lat. für dazwischen-Sein), das der Mensch hat und erschafft, ist ein Kind im Sinne der Dreifaltigkeit. Für gewöhnlich erfreuen sich die Menschen an ihrem Kinderreichtum.

Insgesamt betrachtet hat der Mensch über das, was er gibt und nimmt eine Austauschbeziehung zu seiner (Um-) Welt. Was er tut, seine Handlungen und seine Arbeit[+], seine Mühen und Kraftaufwendungen sind das Gegebene, während das Konsumierte, die genutzten und verbrauchten lebendigen und toten Dingen das Genommene sind. In der Austauschbeziehung, die er mit der Welt hat, ist die Wirkung seiner Existenz eine Schöpfung, die als Folge seiner Existenz sowohl in ihm selbst als auch in der Welt einen „Abdruck“ hinterlässt, das Kind, die lebendige Erinnerung und das lebendige Gedächtnis.

Sich den Kindern der Schöpfung (der Erschaffung) zuzuwenden und ihm hinzugeben entspringt dem fundamentalen Schöpfungstrieb der Liebe des Menschen (Libido). Für gewöhnlich verfolgt der Mensch mit dem, was er erschafft die Erreichung eines Zwecks[+], zu dem die Schöpfung das Mittel[+] ist, diesen zu erreichen. Bereits die Schöpfung gegen ein (universelles) Tauschmittel hinzugeben ist ein seelisch herausfordernder Akt. Der die eigene Schöpfung hingebende Mensch muss sich von seinem Werk trennen (abspalten) und es gehen lassen. Im Arbeitsverhältnis[+] muss die Geldmenge[+] zur Kompensation des „Aufwands“ an Liebe und Hingabe an die Schöpfung also ausreichend sein, wenn die goldene Regel eingehalten sein soll.

Das Entreißen des geliebten Kindes bringt im Menschen als emotionale Reaktion das Gegenstück der Schaffenskraft, die Kraft der Zerstörung Destrudo (Todestrieb, griechisch Thanatos) hervor. Die Trennung (Abspaltung) vom dazwischen Liegenden (dem Inter-esse, dem Kind) erzeugt also Hass, den der Mensch annehmen und verarbeiten muss. Der Hass ist umso größer, je größer die Liebe zum Kind war. War da keine Liebe zum Kind, wird da auch kein Hass sein, wenn es ihm genommen wird.

Liebe und Hass sind die zwei extremen Vergenzen der Beziehungen.

Im Laufe seines Lebens lernt der Mensch durch Erfahrung, Erziehung und Sozialisation mit der Liebe und dem Hass umzugehen und diese fundamentalen Empfindungen in eine sozial akzeptierte Handlung umzulenken, also Libido und Destrudo zu sublimieren.

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Tim Deutschmann

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