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Riemann-Koordinaten

Untersucht man Gründe für Haltungen und Handlungen von Menschen, so gelangt man in den Bereich der sogenannten Triebe, der Affekte, Emotionen und Gefühle. Das menschliche Gehirn hat im Verlauf der Evolution[+] zwei Organe ausgebildet, die zentral am Erleben der zwei lebenswichtigsten Gefühle Begehren und Angst[+] beteiligt sind, nämlich die Amygdala, die auch als »Angstzentrum[+]« bezeichnet wird und der Nucleus accumbens, das »Belohnungsausweisungszentrum« des mesolimbischen Systems.

Beginn der Bezahlwand

Von außen ist es nicht immer klar erkennbar, welchem dieser beiden Affekte ein Mensch in seinem Handeln folgt, wenn es überhaupt nur diese beiden Möglichkeiten[+] gibt. Den Zusammenhang von begehrend- und ängstlich-triebhaften Handlungen und Haltungen mit dem Gleichgewicht der Bestimmung beschreibt Karen Horney 1937 in Der neurotische Mensch unserer Zeit[+] wie folgt:

Ich beabsichtige mit meiner Auffassung nicht, den normalen Charakter dieser Triebe zu leugnen, möchte jedoch den Standpunkt aufrechterhalten, dass sie alle auch dazu dienen können, Beruhigung gegen gewisse Ängste[+] zu schaffen und ferner, dass sie durch die Übernahme dieser protektiven Funktion ihre Eigenschaften verändern und etwas völlig anderes werden.

Ich kann diese Veränderung am besten durch eine Analogie[+] erklären.

Wir können auf einen Baum klettern, weil wir unsere Kraft und Geschicklichkeit prüfen wollen und die Aussicht von oben genießen möchten, oder wir können hinaufklettern, weil ein wildes Tier uns verfolgt. In beiden Fällen klettern wir auf den Baum, doch die Motive für das Klettern sind verschieden. Im ersten Fall tun wir es aus Vergnügen, im zweiten treibt uns die Furcht und wir müssen es aus deren Verlangen nach Sicherheit heraus tun. Im ersten Fall sind wir frei, zu klettern oder nicht, im zweiten zwingt uns die dringliche Notwendigkeit[+] dazu. Im ersten Fall können wir uns den Baum aussuchen, der uns am besten dünkt, im zweiten bleibt uns keine Wahl wir müssen vielmehr den ersten erreichbaren Bauen nehmen und es muss noch nicht einmal ein Baum sein; es kann auch eine Fahnenstange oder ein Haus sein, wenn sie nur dem Zweck[+] dienen, uns zu schützen.

Der Unterschied in den Triebkräften ergibt auch einen Unterschied der Gefühle und des Verhaltens. Wenn uns ein direkter Wunsch nach Befriedigung irgendwelcher Art treibt, wird unsere Haltung Spontaneität und Unterscheidungsvermögen aufweisen. Wenn wir jedoch von der Angst[+] getrieben werden, so wird unser Fühlen und Handeln zwangsmäßig und wahllos sein. Sicherlich gibt es Zwischenstufen. In Naturtriebe wie Hunger oder Geschlechtstrieben, die hauptsächlich durch physische[+], aus Entbehrungen stammende Spannungen erzeugt werden, kann sich die physische[+] Spannung zu einem solchen Grad aufgespeichert haben, dass die Befriedigung zwangsmäßig und mit einem solchen Mangel an Unterscheidungsvermögen gesucht wird, wie dies sonst nur für angstbedingte Triebe charakteristisch ist.

Außerdem besteht ein Unterschied in der erlangten Befriedigung -- ganz allgemein ausgedrückt, ist es der Unterschied zwischen Vergnügung und Beruhigung. Doch ist der Unterschied weniger scharf, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Befriedigung von Instinkten wie Hunger oder Geschlechtstrieb ist ein Vergnügen, wenn jedoch die körperliche Spannung aufgespeichert wurde, ähnelt die so erlangte Befriedigung sehr stark derjenigen, die durch die Befreiung von einer Angst[+] erzählt wird. In beiden Fällen handelt es sich um eine Erlösung von einer unerträglichen Spannung. Was die Intensität anlangt, so können Vergnügen und Beruhigung gleich stark sein. Die sexuelle Befriedigung, kann, wenn sie auch ihrer Art nach verschieden ist, genauso stark sein, wie die Empfindungen eines Menschen, der plötzlich von einer intensiven Angst[+] befreit worden ist; und ganz allgemein kann das Streben nach Beruhigung nicht nur genauso stark sein wie die Naturtriebe, es kann vielmehr auch eine ebenso starke Befriedigung gewähren.
Karen Horney[+], Der neurotische Mensch unserer Zeit[+], 1937.

Aufbauend auf Karen Horneys Der neurotische Mensch unserer Zeit[+] von 1937 veröffentlichte Erich Fromm 1941 sein Buch Die Furcht vor der Freiheit. Beide Werke überlappen inhaltlich mit dem Hauptwerk von Fritz Riemann Grundformen der Angst von 1961.

In diesem Abschnitt wird unter Berücksichtigung der Arbeit[+] von Fritz Riemann die Gesamtheit aller (teils pathologischen, neurotischen) Ängste[+] in vier Kategorien aufgeteilt, von denen jeweils zwei sich als miteinander unvereinbar bzw. gegensätzlich darstellen. Fritz Riemann zufolge lässt sich das Verhalten eines Menschen in vier Kategorien der Angstabwehr[+] unterteilen, von denen sich jeweils zwei einander gegensätzliche Typen auf jeweils einer Achse eines Koordinaten-Systems, das sogenannte „Riemann-Thomann-Kreuz“, befinden. Wenn man sich umhört, wird Riemanns Modell[+] von einigen als eine "populärwissenschaftliche Version der klassischen Neurosenlehre" angesehen.

Das sog. „Riemann-Thomann-Kreuz“.

Die gegensätzlichen Typen nennt Riemann Antinomien (griechisch anti = ‚gegen‘, nomos = ‚Gesetz‘). Die Vorgehensweise der Unterteilung des vollkommen Unbestimmten, des Ganzen, in zwei komplementäre, gegensätzliche Teile ist in der Logik ein fundamentales Prinzip. Die einander ergänzenden Teile heißen in der Philosophie Dichotomien und ermöglichen die Ausbildung von Denkstrukturen.

Die Dichotomien sind der eigentliche Kern des Riemann'schen Modells[+]. Die Vertreter der einen Riemann'schen Kiste fürchten das Positivum und streben nach dem Negativum, bei den anderen ist es umgekehrt. In einem späteren Abschnitt wird das Modell[+] erweitert, denn viele der komplementären Begriffe lassen sich zu tieferliegenden, fundamentaleren Begriffen zusammenfassen.

Wie im Verlauf der Erläuterung des Modells[+] Riemanns deutlich werden wird, sind es die zwei für das Dasein von Lebewesen im Allgemeinen oben bereits erwähnten wesentlichen Affekte Angst[+] und Begehren, und es sind in der sozialen Interaktion zentralen Modalitäten Freiheit[+] und Zwang[+], die in das Modell[+] eingehen. Wie gezeigt werden wird, geht es vornehmlich um das Geben und Nehmen in Austauschbeziehungen und um das Gleichgewicht der Bestimmung. Der Zweck[+] der Erweiterung ist es, das Riemann'sche Modell[+] mit den wesentlichen Wirkmechanismen des Kapitalismus[+] in Beziehung zu setzen um so die von Riemann gefundenen Kisten zu erklären.

Angst und Zwang

Warum denn dringt und dringet wieder
Mir Todesangst durch Mark und Bein?
Was rieselt durch die starren Glieder
Und schüttelt mich wie Fieberpein?

Hat alte Blutschuld eingeschrieben
Mich einst in der Lebend'gen Buch?
Sind mir nicht rein die Hände blieben
Von des Verbrechens ew'gem Fluch?

Verbirgt ein mörderischer Sünder
Sich unter meiner Ahnen Zahl
Und schwingt auf Kind und Kindeskinder
Ein zorn'ger Gott den Rachestrahl?

Nichts weiß ich von so dunklen Spuren,
Von eigner fluchbelegter That,
Ich wandle durch des Lebens Fluren
Schlicht wie ein Andrer meinen Pfad.

Hab' ich zu kühn nach hellem Wissen,
Nach ungefärbtem Licht gestrebt,
Den Schleier allzukeck zerrissen,
Der sich um Kinderaugen webt?

O nein, ich habe nie gezaget
Vor dem Popanz der feigen Welt,
Ich hab' es immer drauf gewaget,
Daß auch die Irmensäule fällt.

Warum denn dringt und dringet wieder
Mir Todesangst durch Mark und Bein?
Was rieselt durch die starren Glieder
Und schüttelt mich wie Fieberpein?

Es steht ein altes Wort geschrieben,
Es schwebt mir vor. Wie heißt es nur?
Halbhell ist mir's im Geist geblieben,
Mir klingt's wie: Angst[+] der Kreatur.

Ja, das wird's sein! Ihr Athem bebet,
Weil jeder Tag nur Schuldnerfrist,
Sie stirbt voraus, derweil sie lebet,
Sie weiß: sie ist nicht, weil sie ist.

O, mög' es ein Gewitter enden!
Um Sturm und Blitze fleht mein Schmerz,
O, send' ein Gott, die Angst[+] zu wenden,
Mir jähe Schrecken in das Herz!

Vor Geistern auf dem Schlachtfeld stehen,
Das legt sich auf die Brust wie Blei
Kann ich dem Feind in's Auge sehen,
Wird wohl der Athem wieder frei.

Und schreitet er in Feindes-Reihen
Voran, der gründlich stets verfuhr:
Es sei! Der Tod nur kann befreien
Von aller Angst[+] der Kreatur!

'Angst[+]' von Friedrich Theodor Vischer (* 30.06.1807, † 14.09.1887)

Mit Vorgriff auf die Absicht, mit der das Riemann-Thomann-Modell[+] hinzugezogen wird, müssen zunächst die zwei Begriffe Angst[+] und Zwang[+] eingeführt werden. Ein Blick auf die Etymologie des Wortes Angst[+] liefert:

Angst[+] Angst[+] f. 'beklemmendes Gefühl des Bedrohtseins, Furcht'.
Die nur im Kontinentalwestgerm. bezeugten ahd. angust f. (8. Jh.), mhd. angest f. m., mnd. angest, anxt m., mnl. anxt m., anxte f., nl. angst m., afries. ongost, angst gehen auf germ. *angusti- bzw. *angustu- zurück, Abstraktbildungen zum Adjektiv germ. *angu- (s. eng).
Die mit dem Zugehörigkeitssuffix ie. -st- gebildeten Abstrakta bezeichnen das, 'was mit der Eigenschaft 'eng' verbunden ist', 'das Engsein, den Zustand der Enge (Beklemmung)'; vgl. Krahe in: PBB 71 (1949) 238.
Eine andere Bildungsweise zeigen die im folgenden genannten außergerm. Verwandten. Aind. [...] 'Angst[+], Bedrängnis', [...]
'Ein-, Zusammenschnürung (der Kehle), Bedrängung, Not, Enge, Gefangenschaft', lat. angustus (aus *angostos) 'eng, schmal', angustia, meist im Plur. angustiae 'Enge, Beklemmung, Schwierigkeiten' gehören zu einem von der gleichen Wurzel ie. *ang?h- 'eng, einengen, schnüren' gebildeten es- /os- Stamm ie. *ang?hes-, *ang?hos- 'Beklemmung, Bedrängnis'.
Im Nhd. wird Angst[+] in bestimmten festen Wendungen nicht mehr als Substantiv empfunden: mir ist, wird angst (und bange); vgl. auch angst machen. - ängstigen Vb. 'angst machen, in Angst[+] versetzen', mhd. engstigen (12. Jh.; vgl. das Adjektiv frühnhd. engstig 'sorgsam, eifrig, bange') für älteres, heute meist nur in gehobener Sprache verwendetes ängsten, ahd. angusten (8. Jh.), mhd. angesten, mnd. ang(e)sten, mnd. mnl. anxten. ängstlich Adj. 'furchtsam, voll Angst[+], besorgt', ahd. angustl?h (9. Jh.), mhd. angestlich, engestlich, mnd. ang(e)stl?k, mnl. anxtelijc.
Das Wort Angst[+] ist also verwandt mit dem Wort eng. Angst[+] wird von vielen Menschen als eine Einengung des Bewusstseins erlebt. Beim Erleben von Angst[+] schnürt sich Manchem die Kehle zu, der Mund kann trocken werden, die Kniee weich. Im schlimmsten Fall hat die Bewusstseinseinengung zur Folge, dass der Ängstliche das Bewusstsein verliert und nur noch unbewusst handelt. Enge bezeichnet die Eigenschaft eines Freiraums kleiner zu sein als ohne die Enge. Enge ist also weniger Freiheit[+], Beschränktheit oder Mangel an Raum.

Das zweite fundamental wichtige Wort in dieser Betrachtung ist der Zwang[+]. Auch hier wird zunächst die Wortherkunft nachgeschlagen:

Zwang[+] zwingen Vb. ‘gewaltsam zu etw. nötigen, zu etw. veranlassen, mit etw. fertig werden, etw. meistern’. Das stark flektierende Verb ahd. thwingan (8. Jh.), twingan (9. Jh.) ‘zwingen, unterjochen, beherrschen, festbinden’, mhd. twingen, dwingen, auch quingen, (seit 14. Jh.) zwingen ‘(zusammen)drücken, pressen, (be)drängen, nötigen, einschließen, beherrschen, bändigen’, asächs. thwingan ‘zwingen, bedrängen’, mnd. dwingen, mnl. dwinghen, nl. dwingen, afries. thwinga,[...] ‘zwingen, quälen’ lassen sich lediglich mit [...] ‘gerät in Bedrängnis’ vergleichen. Daraus ist ein Ansatz ie. [...] ‘bedrängen’ erschließbar. Ob (bei einer ie. Auslautvariante auf -k-) auch toch. AB ‘einzwängen’, lit. (Wasser) ‘stauen’, refl. ‘sich versammeln’ und (unnasaliert) griech. sáttein ‘vollstopfen, festdrücken, bepacken, beladen, ausrüsten’ hier anzuschließen sind, ist zweifelhaft. Als Grundbedeutung für das germ. Verb ist ‘einen Körper durch Gewaltanwendung zusammenpressen’ anzunehmen; übertragener Gebrauch im Sinne von ‘überwältigen, überwinden, meistern, bedrängen, einengen, rügen’ ist in ahd. Zeit[+] bereits voll ausgeprägt. tw- Anlaut (bei Notker einsetzend, vereinzelt schon im 9. Jh.) herrscht im Mhd. (bis etwa gegen Ende des 15. Jhs.), zw- Anlaut setzt im 14. Jh. ein. Häufig sind Fügungen wie zu etw. gezwungen ( ‘genötigt, verpflichtet’) sein (15. Jh.), sich gezwungen ( ‘genötigt’) sehen (17. Jh.). – zwingend Part.adj. ‘bedrückend, verpflichtend, unabdingbar’ (16. Jh.), ‘schlüssig, folgerichtig, überzeugend’ (18. Jh.); geläufig zwingende Not (17. Jh.), bes. zwingendes Gesetz (16. Jh.), dann rechtssprachlich zwingendes Recht[+]Recht[+], das keine abweichende Regelung durch Vereinbarung unter den Betroffenen zuläßt’ (19. Jh.). bezwingen Vb. ‘überwältigen, meistern’, ahd. bithwingan ‘einengen, zügeln’ (8. Jh.), mhd. betwingen ‘bedrängen, beengen, bändigen, (er)zwingen’. Zwinger m. ‘von innerer und äußerer Mauer, von Schloß- oder Stadtmauer und Graben begrenzter Raum, in dem der vorgedrungene Feind überwältigt werden soll’, allgemein ‘Befestigungsanlage’ (15. Jh.), auch (da im Zwinger zu dessen Bewachung starke Hunde oder Bären gehalten wurden) ‘Tiergehege, Käfig’ (ebenfalls 15. Jh.), mhd. twingære, twinger, zwinger ‘Dränger, Überwältiger, Zwingherr (d. i. Grundherr mit Hoheitsrechten über Land und Leute)’; [...] ‘gewaltsamer, heftiger Mensch’ (Hs. 12. Jh.). Zwang[+] m. ‘Druck, Nötigung durch Macht, Androhen von Gewaltanwendung’, ahd. thwang ‘Zügel’ (um 900), githwang ‘Zucht, Zwang[+]’ (9. Jh.), mhd. twanc (auch zwanc) ‘Beengung, Gewalt, Einschränkung, Not, Bedrängnis’, ablautendes Verbalabstraktum. zwängen Vb. ‘gewaltsam einengen, Druck ausüben, pressen’, ahd. thwengen ‘bedrängen, züchtigen, beängstigen’ (9. Jh.), mhd. twengen (auch zwengen) ‘Zwang[+] antun, drücken, zusammenpressen, bändigen’, mnd. dwengen ist Kausativum zu dem unter zwingen (s. d.) behandelten Verb. zwangsläufig Adj. ‘zwingend eintretend, unabwendbar, notgedrungen’ (19. Jh.).

Von welchem Raum ist in der Etymologie der Angst die Rede?

Der Laut 'ng' findet sich auch in den Worten Zwang[+] und Strenge wieder. Beide Worte legen eine die Freiheit[+] einengenden Wirkung auf die Selbstbestimmung nahe. Der von der Angst[+] eingeengte Raum ist also der Raum der Möglichkeiten[+] selbstbestimmt zu handeln. Liegt die Ursache[+] dieser Einengung der Selbstbestimmung außerhalb des Selbsts, heisst die Einengung der Selbstbestimmung Zwang[+], liegt sie innerhalb, dann heisst sie Angst[+].

Dagegen ist zum einen einzuwenden, dass man sich ja auch selbst zwingen kann etwas, zu tun. Die Entscheidung, dies zu tun beruht jedoch für gewöhnlich auf einer Angst[+], das vermutete Eintreten eines als schlecht bewerteten Ereignisses in der Zukunft durch das „Sich-Selbst-Zwingen“ abzuwenden.

Der zweite Einwand ist, dass dem Selbst von außen Ängste[+] eingeredet werden können, bzw. Angst[+] von außen gemacht werden kann. Dies dient jedoch nahezu immer dazu, das Selbst zu einer bestimmten Handlung zu zwingen. Der unmittelbare Zwang[+] ist in diesem Fall eher etwas wie eine Manipulation oder Suggestion.

Karen Horney schreibt direkt zum zirkulären Zusammenhang von Angst[+] und Zwang[+]:

Kindliche und neurotische Bedürfnisse haben nur ein Element gemeinsam -- ihre Hilflosigkeit -- und auch diese hat in jedem Fall eine verschiedene Grundlage. Abgesehen davon entwickeln sich die neurotischen Bedürfnisse unter völlig anderen Bedingungen. Um diese noch einmal zu wiederholen: sie bestehen aus Angst[+], aus dem Gefühl, nicht liebenswert zu sein, aus der Unfähigkeit, an irgendeine Form der Liebe zu glauben und aus einer allgemeinen Feindseligkeit. Das erste Merkmal, das uns an dem neurotischen Liebesbedürfnis auffällt, ist eine Zwangsmäßigkeit[+]. Sobald ein Mensch durch starke Angst[+] getrieben wird, muss dies notwendigerweise einen Verlust an Spontaneität und Biegsamkeit zur Folge haben. Einfach ausgedrückt bedeutet es, dass es für den Neurotiker kein Luxus ist, sich Liebe zu verschaffen; es ist auch nicht vorwiegend eine Quelle vermehrter Kraft und Freude, sondern eine vitale Notwendigkeit[+]. Der Unterschied ist der zwischen einem „Ich möchte gerne geliebt werden und genieße es, wenn man mich liebt.“ und: „Ich muss unter allen Umständen geliebt werden.“ Oder es ist der Unterschied zwischen einem Menschen, der isst, weil er einen guten Appetit hat, das Essen genießt und imstande ist, wählerisch zu sein und einem Menschen, der am Verhungern ist und wahllos alles in sich hineinschlingen muss und jeden Preis dazu zu zahlen bereit ist.
Karen Horney[+], Der neurotische Mensch unserer Zeit[+], 1937.

Ängste[+] treten oft beim Erleben unbekannter Situationen auf. Ist es für den Menschen nicht möglich, die Erfahrungen im Gedächtnis auf die gegenwärtige Situation zu übertragen, dann erlebt der Menschen oft eine Art von Unsicherheit, die sich zu einer handfesten Angst[+] entwickeln kann. Doch sogar die Einschätzung der gegenwärtigen Situation entspringt dem Gedächtnis. Die Welt ist im Allgemeinen nicht so wie sie erscheint, und so wirken Ängste[+] oft derart, dass sie den Raum der Möglichkeiten[+] zu handeln auf das schon Bekannte, die Erfahrung, einengen. So werden viele Räume von Möglichkeiten[+] durch die Angst[+] gar nicht erst betreten.

Karen Horney 1937 zur Grundangst

In Der neurotische Mensch unserer Zeit[+] beschreibt Karen Horney eine Grundangst, die mit einer Grundfeindseligkeit verknüpft ist und die mit der Zeit[+] im Umweltkontakt ein kaskadenartig aufeinander aufbauendes „seelisches Korsett” von Abwehrreaktionen und -haltungen erzeugt, nämlich die jeweils individuelle Neurosenstruktur.

Obwohl die Reichweite der sich manifestierenden Formen der Angst[+] oder der Schutzmaßnahmen unendlich groß und bei jedem Einzelnen verschieden ist, ist die Grundangst überall mehr oder weniger die gleiche und nur in ihrem Ausmaß und ihrer Intensität verschieden. Man kann sie ganz allgemein als ein Gefühl beschreiben: klein, unbedeutend, hilflos, verlassen und gefährdet einer Welt gegenüberzustehen, die darauf aus ist, einen zu missbrauchen, zu betrügen, anzugreifen, zu demütigen, zu verraten oder zu beneiden. Eine meiner Patientinnen drückte diese Empfindung in einem Bild aus, das sie ganz spontan malte, wo sie selbst als hilfloses, nacktes Baby im Mittelpunkt[+] der Szene saß, von allen Arten bedrohlicher menschlicher und tierischer Ungeheuer umgeben, die im Begriff waren, über sie her zu fallen.

[...]

Ist nicht die Haltung einer Grundangst und Feindseligkeit gegen Menschen, die wir als einen wesentlichen Bestandteil von Neurosen beschrieben haben, eine "normale" Haltung, die wir alle, wenn auch vielleicht in geringerem Maß, heimlich haben? Wenn wir diese Frage bedenken, müssen wir zwischen zwei Gesichtspunkten unterscheiden.

Wenn das Wort "normal" im Sinn einer allgemeinen menschlichen Haltung benutzt wird, könnte man sagen, dass die Grundangst tatsächlich ein normales Zubehör dessen ist, was die deutsche philosophische und religiöse Sprache als "die Angst[+] der Kreatur" bezeichnet hat. Was dieser Ausdruck sagen will, ist, dass wir im Grunde alle hilflos sind Kräften gegenüber, die mächtiger sind als wir selbst, wie Tod, Krankheit, Alter, Naturkatastrophen, politische Ereignisse oder Unfälle. Wir erkennen dies zum ersten Mal in der Hilflosigkeit der Kindheit, doch begleitet uns diese Erkenntnis durch unser ganzes Leben. Diese existentielle Angst[+] der Kreatur hat mit der Grundangst das Element der Hilflosigkeit größeren Mächten gegenüber gemein, bedeutet dies nicht gleichzeitig eine Feindseligkeit seitens dieser Mächte.

Wenn das Wort "normal" jedoch bedeuten soll: "für unsere Kultur normal", könnte man dies sagen: ganz allgemein wird Erfahrung einen Menschen unseres Kulturkreises dahin bringen (vorausgesetzt, das sein Leben nicht zu behütet ist!) sich je reifer er wird, desto reservierter gegen andere Menschen zu verhalten, vorsichtiger in Bezug auf sein Vertrauen ihnen gegenüber zu werden und besser darüber Bescheid zu wissen, dass menschliche Handlungen oft nicht unmittelbar und direkt sind sondern von Feigheit und Selbstsucht diktiert werden. Wenn der Betreffende ein ehrlicher Mensch ist, wird er sich mit einbeziehen; wenn nicht, wird er all dies deutlicher in anderen sehen. Kurz, er entwickelt einer Haltung, die mit der Grundangst durchaus verwandt ist. Jedoch gibt es dabei folgende Unterschiede: der gesunde und reife Mensch fühlt sich nicht hilflos gegen diese menschlichen Mängel und er besitzt nicht die völlige Unterscheidungsunfähigkeit, die man in der neurotischen Grundhaltung findet. Er erhält sich die Fähigkeit, ein großes Maß echter Freundlichkeit und echten Vertrauens einigen Menschen gegenüber beizubehalten. Vielleicht kann man diese Unterschiede der Tatsache zu schreiben, dass ein gesunder Mensch seine unglücklichen Erfahrungen zu einer Zeit[+] machte, wo er sie verarbeiten konnte, während der neurotische Mensch sie in einem Alter hatte, wo er ihrer nicht Herr werden konnte und infolge seiner Hilflosigkeit mit Angst[+] auf sie reagierte.

Die Grundangst hat definitive Wirkungen auf die Haltung der Betreffenden gegen sich selbst und gegen andere. Sie bedeutet eine emotionelle Isolierung, die desto schwerer zu ertragen ist, als sie mit dem Gefühl einer tiefen Schwäche des eigenen Wesens verbunden ist. Sie bedeutet eine Erschütterung der eigentlichen Grundlage des Selbstbewusstseins. Sie enthält den Keim eines potentiellen Konfliktes zwischen dem Wunsch, sich auf andere zu verlassen und der Unmöglichkeit, dies zu tun, aus Gründen des tiefen Misstrauens und der Feindseligkeit gegen sie. Es bedeutet außerdem, dass der Betreffende seiner tiefen Schwäche wegen den Wunsch empfindet, jede Verantwortung auf andere zu schieben und beschützt und besorgt zu sein, dass jedoch, kraft seiner Grundfeindseligkeit, viel zu viel Misstrauen existiert, um diesen Wunsch befriedigen zu können. Die unabwendbare Folge ist, dass er den größten Teil seiner Energien darauf verwenden muss, sich Beruhigung zu verschaffen.

Je unerträglicher die Angst[+] ist, desto durchgreifender müssen die Schutzmaßnahmen werden. Innerhalb unserer Kultur gibt es hier Hauptwege, in denen ein Mensch versucht, sich gegen die Grundangst zu schützen: Liebe, Unterwürfigkeit, Macht und Distanzierung.
aus „Der neurotische Mensch unserer Zeit[+]”, 1937, Kapitel V.

Unlust, Angst und Aggression

In seinem Buch Grundformen der Angst beschreibt der Psychoanalytiker Fritz Riemann an vielen, über das Buch verstreuten Stellen seelische Mechanismen, die mit den Grundformen der Angst[+] in Verbindung stehen. Er definiert die Worte, die er benutzt und setzt sie mit den Grundängsten in Beziehung. Zu Unlust, Angst[+] und Agression schreibt er[1]:

Wahrscheinlich lösen ursprünglich Unlust und Angst[+] erst die Aggression aus, wobei Unlust sowohl die Vorform, die archaische Form der Angst[+] in unserer Frühzeit ist. In dieser haben wir die späteren Möglichkeiten[+] der Unlust Verarbeitung und Angstüberwindung[+] noch nicht zur Verfügung, sondern sind der Unlust und Angst[+] hilflos ausgeliefert. Was sie in der Frühzeit auslöst, sind intensive Frustrationen wie Hunger, Kälte, Schmerzen, Störungen des eigenen Rhythmus und der Integrität des Lebensraums, Überbelastungen der Sinnesorgane und Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Überfremdung des eigenen Seins, zu viel überrennende Nähe und Eingriffe anderer, Einsamkeit. Angst[+] ist in dieser Zeit[+] also vor allem intensive Unlust, in jenen Situationen fallen beim Kleinkind Angst[+] und Aggression zeitlich praktisch noch zusammen: was Unlust und Angst[+] auslöst löst gleichzeitig Aggression und Wut aus.

Damit stellt auch Riemann Ängste[+] in den Gegensatz zu Formen des Begehrens, also Lust, Gier, sexuelles Begehren, Neugier, usw..

Das Riemann-Thomann-Modell

Fritz Riemanns Buch Grundformen der Angst grob zusammenfassend, werden im Folgenden die Eigenschaften und Merkmale der schizoiden[+], der depressiven[+], der zwanghaften[+] und schließlich der hysterischen[+] Persönlichkeit skizziert. Jeweils zwei der vier Angsttypen[+] stehen sich auf den zwei Achsen des Riemann-Thomann-Modells gegenüber.

Ich möchte hier in aller Deutlichkeit auf den Modellcharakter[+] der hier betrachteten Extremformen von Persönlichkeitsmerkmalen hinweisen. Niemand passt perfekt in eine der Kisten, die Riemann gefunden hat, doch kann wenigstens ich mit einiger Sicherheit sagen, dass Menschen, die sich selbst in diesen Kisten wahrnehmen und diese dann gegebenfalls auch wechseln können, eine „ergodische“ Persönlichkeitsstruktur haben, die sich in nahezu jeder sozialen Umgebung zurecht findet. Riemann schreibt dazu[1, S. 66]:

Wenn hier und im Folgenden die »positiven« Vertreter der einzelnen Strukturtypen in der Beschreibung zu kurz kommen, liegt es daran, dass das Prinzipielle der vier Persönlichkeitsstrukturen gerade an den randständigen Formen klarer aufzuzeigen ist; ich hoffe, dass niemand daraus eine Wertung ableitet; jede Struktur hat ihre Möglichkeit[+] der Entfaltung zu hohem Niveau.

[...]

Wie wir im letzten Kapitel sehen werden, besteht bei allen vier Persönlichkeitsstrukturen die Neigung zur Faszination durch den jeweiligen Gegentypus; darin möchte ich einen uns unbewussten Drang zur Ergänzung, zur Befreiung von krankmachenden Einseitigkeit sehen; denn wir können keinen der vier Grundimpulse einfach auslassen und vor der ihm entsprechenden Angst[+] ausweichen, ohne Schaden zu nehmen.

Achse Bezeichnung und Gegenstand der Angst[+] Abkürzung Tiersymbol
Zeit[+]-, Veränderungs-, Transformations-Achse

Zeitdimension[+]

Geist, Himmel, Vorstellung, Theorie
Hysterie[+]

(Wechselausrichtung)

von altgriechisch hystéra Gebärmutter (Kreativität)
Angst[+] vor Notwendigkeit[+] und Festlegung
H
Zwanghaftigkeit[+]

(Dauerausrichtung)
Angst[+] vor Vergänglichkeit und Wandel
Z
Raum-, Beziehungs-, Integrations-Achse

Sozialdimension

Körper, Erde, Realität, Praxis
Depression[+]

(Näheausrichtung)

von lateinisch deprimere „niederdrücken“
Angst[+] vor Selbstwerdung
D
Schizoidie[+]

(Distanzausrichtung)

griechisch schizein „abspalten“
Angst[+] vor (Selbst-) Hingabe und Nähe
S
Das Riemann-Thomann-Modell. Das RT Modell[+] basiert auf Riemanns Hauptwerk Grundformen der Angst (1961). Bei den Tiersymbolen ist zu bemerken, dass es sich um je ein Raub- und ein Beutetier des Himmels und der Erde handelt.
Im Folgenden fasse ich die aus meiner Sicht wichtigsten Aussagen Riemanns in ein „Kondensat“ zusammen. Die Textteile, die ich hier zusammentrage entstammen also fasst ganz der Arbeit[+] Riemanns und sind also vollständig als Zitate (!) gekennzeichnet.

Die Integrations- und Beziehungsachse und die äußere Bestimmung

Die Integrationsachse des RT-Modells[+] verläuft entlang der Einbindung/Einkopplung des betrachteten Individuums in das soziale Gefüge. Auf ihr stehen sich der schizoide[+] (S) und der depressive[+] (D) Typus gegenüber. Wie Riemann erläutert, liegen diesen zwei komplementären Kisten die Gegensätze von Nähe und Distanz zugrunde, das Geben und Nehmen und also das Gleichgewicht der Bestimmung im Körperlichen.

Riemann begründet das Verhalten des schizoiden[+] Typs mit einer vom ihm als brüchig und gefährdet erlebten Ich-Grenze in der Beziehung zu anderen, einem Unvermögen, sich gegenüber Reizen abzugrenzen, die unbewusstes Begehren wecken, ein Gefühl des Fremdbestimmtseins jedenfalls einen Verlust der Selbstbeherrschung und des Ich-Verlusts auslösen. Mit Fremdbestimmtheit, Bindung, Nähe und Hingabe hat umgekehrt der depressive[+] Typ des Riemann'schen Modells[+] keine Schwierigkeiten, da dieses Verhalten und diese Handlungen ihn erfolgreich vor der Selbstwerdung bewahrt, vor der er sich fürchtet. Dort wo der D-Typ[+] also Sicherheit sucht und so abhängig wird, strebt der S-Typ[+] nach Eigenständigkeit, also Selbstsicherheit und Unabhängigkeit an. Der Umgang mit und das Empfinden von Nähe und Distanz ist komplementär: Nähe gibt dem D-Typ[+] Sicherheit und Geborgenheit, während der S-Typ[+] sie als einschränkend und bedrohlich empfindet. In der Distanz hingegen empfindet der D-Typ[+] die Angst[+] vor dem Verlassenwerden und das auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein als bedrohlich, während der S-Typ[+] nur in der Distanz und Unabhängigkeit seine Selbstsicherheit entwickeln kann, die er braucht.

Es folgen die komprimierten Beschreibungen der beiden Typen der Integrationsachse des Riemann'schen Modells[+].

S-Typ

Verhalten und soziale Erscheinung

Kontaktlücke, Distanz zu Beziehungspartnern, versachlicht Beziehungen, lebt isoliert und einsam, lebt Selbstbewahrung, ist sprunghaft in der Nähe-Distanz-Ausrichtung, reagiert abweisend, feindlich und eventuell abrupt abstoßend auf Nähe. Er bricht leicht den Kontakt ab und zieht sich schnell zurück. Den Ausdrucksmöglichkeiten fehlen Mitteltöne[+], nur Extreme schwarz und weiß. Erscheint als fern stehend, distanziert, unpersönlich und kalt, arrogant, unnahbar, scheint schwer ansprechbar zu sein, seltsam, absonderlich, in seinen Reaktionen unverständlich, befremdlich und unbekannt, Außenseiter, grenzt sich durch sozialen Ausschluss ab, bemüht sich um Sicherheit und Schutz vor Überfremdung, Kontaktschwäche, Elefant im Porzellanladen, Verhalten schroff oder gar motorisch-expansiv, evtl. scharf, verletztend und brüsk. Aggressionen wenig, schlecht oder gar nicht in die reflektierte Persönlichkeit integriert mit z.T. triebhaften, archaischen Zügen. Karge Gefühlsäußerungen. Mangel an Lebenstechnik.

Nimmt sich mit zunehmender Nähe zurück, hat keine werbend-erobernde, verführend-hingebende Seite, Sexualität abgespalten, in Beziehungen emotional unbeteiligt, Gefühlskälte, es fehlen Vertrautheit und Innigkeit, ist bindungsscheu, neigt zu Fernbeziehungen, funktionalisiert das Liebesleben, kein zärtliches Vorspiel, keine Erotik, sehr direkt. Zweifelt am Geliebt-werden-können, fordert Bewährungsproben und Liebesbeweise, Sadismus, evtl. infantil gebliebene Sexualität. Theoretisch abstrakt-psychologische Kombinationsgabe für tendenziöse Umdeutungen und Psychologisierung. Eifersucht und Eifersuchtswahn, protektionistischer Beziehungswahn. Kurzfristige, intensive, aber wechselnde Beziehungen, evtl. Untreue in Dauerbeziehung. Abneigung gegen familiäre Bindung, Neigung zu Gruppenbildungen, Massenveranstaltungen.

Aggressive Triebabfuhr dient Entlastung von Spannungen, ist rücksichtslos, rein triebhafte Abreaktion, unkontrolliert, nicht eingeschmolzen in ein ganzheitliches emotionales Erleben, keine bremsenden Kräfte. Sadismus, verletzende Schärfe, eisige Kälte, Unerreichbarkeit, Zynismus. Ggf. sekundenschnelles Umschlagen von Zuwendung in feindselige Ablehnung, keine Mitteltöne[+], kein beherrschter, gekonnter, situationsangemessener Umgang mit Aggression.

Steigerungen: Kontaktgehemmte, Übersensible, Einzelgänger, „Originale“, Eigenbrötler, Käuze, Sonderlinge, Außenseiter, Asoziale, Kriminelle, Psychotiker.

Seelisches Erleben, Umweltwahrnehmung und Einstellung

Hat „radar-ähnliche”, fein reagierende Sensibilität in der Umweltwahrnehmung, hat einen „Schutzkreis“ und Schutzhaltungen, die Selbst-Empfindung in der Welt ist labil und ungeschützt, ganzheitliche Erlebniszusammenhang seiner seelischen Eindrücke, Antriebe und Reaktionen in verschieden hohem Maße zerrissen. Vitalimpulse isoliert, vom Gefühlsleben abgespalten. Integration der Erlebnis- und Gefühlsschichten in ihm im Verlauf der Sozialisation nicht geglückt. Zwischen Verstand und Gefühl, Rationalität und Emotionalität besteht ein großer Unterschied des Reifegrads; Gefühlsabläufe und Verstandeserfahrung verlaufen gleichsam isoliert, verschmelzen nicht zu einheitlichem Erleben. Frühe Orientierung an Verstandes- und Sinneswahrnehmungen bewirkten Verkümmerung der Gefühlsnuancen, kennt daher eher primitive Vorformen des Gefühls, der Affekte. In der Weltorientierung fast ausschließlich auf Sinneswahrnehmungen angewiesen.

Angst, Furcht und Vermiedenes

Er fürchtet persönliche, nahe Kontakte und Intimität, andere zu brauchen, auf andere angewiesen zu sein, Pflichten[+] ggü. anderen zu haben, empfindet die Umwelt als bedrohlich, sich selbst als offen und schutzlos, ungeborgen, ungeschützt, ausgesetzt, Angst[+] vor Hingabe. Zuneigung, Sympathie, Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität werden als potenziell gefährlich empfunden, fürchtet emotionale Bindungen, Lieben, sich Einlassen und Geliebtwerden. Fürchtet Reizüberflutung, Überfremdung, hat einen Schutzkreis, den er scharf verteidigt, ist im Umgang mit anderen unsicher, misstrauisch, weiß zu wenig von anderen, Angst[+] vor der Nähe, fürchtet den Halt in sich selbst zu verlieren und Selbstaufgabe, fürchtet ein Verschlungenwerden, das jeweils andere Geschlecht erscheint unvertraut und bedrohlich. Vermeidet intellektuell Banales und Flaches, lehnt Unechtheit und Fassadenhaftes ab, vermeidet Sentimentalität, Überschwänglichkeit, Gefühlsduselei.

Ausrichtung, Begehrtes und Werte

Unterscheidung von anderen, Unverwechselbarkeit, Unaustauschbarkeit, Einmaligkeit, Individualität, Autarkie[+], Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, Freiheit[+], Ungezwungenheit, Selbstbezüglichkeit, Selbstbewahrung, Selbsterhaltung, Egozentrizität, sucht Anonymität in der Masse. Er neigt zu Rationalisierung, Intellektualisierung und Berechnung, sucht Objektivität und Objektivierbarkeit, um Sicherheit, Halt und Abgelöstheit vom subjektiven Empfinden zu erlangen, Reflektion, Affektkontrolle, Lust am Zerstören, evtl. lustvolle Aggressivität, Kontaktaufnahme durch Aggression, Aggressive Form der Werbung, evtl. destruktiv-zersetzende soziale Wirkung. Sie sind Nihilisten, Zyniker, Skeptiker, Rationalisten, Atheisten, Theoretiker statt Praktiker, politisch revolutionär bis anarchistisch, haben einen Hang zu Abstraktem, Symbolismus, sind Kritiker, Satiriker oder Karikaturisten, evtl. ironisch-satirisch, sind eigenwillig, unkonventionell, originell, manchmal zukunftsweisend. Sie sind evtl. Auslöser großer Umschwünge, Pioniere und Initiatoren, haben Mut zur Wahrheit, vertreten kompromisslos und klar ihre Überzeugungen, haben zu allem eine selbstständige Meinung, einen scharfen Blick für Schwächen anderer, sind schwer täuschbar, im mitmenschlichen Kontakt unbequem.

D-Typ

Verhalten und soziale Erscheinung

Praktizieren und propagieren Hingabe an andere, hat Merkmale der Menschlichkeit überhaupt, das Du hat einen Überwert (Ich-Schwäche), starke Abhängigkeit vom Partner, Verschränkung von Brauchen und Lieben: „Ich brauche Dich, weil ich Dich liebe, ich liebe Dich, weil ich Dich brauche.“. Herdentrieb (Gegenstand der Massenpsychologie, das „Schwarmverhalten“ des Menschen), „Bindungsprotektionismus“, idealisiert v.a. nahe stehende Menschen, verharmlost und entschuldigt ihre Schwächen, übersieht ihre dunklen Seiten, will nicht Erschreckendes und Beunruhigendes wahrnehmen, Gefährdungen der vertrauensvollen Beziehung werden ignoriert, unterdrückt Zweifel und Kritik, geht Spannungen aus dem Weg, vermeidet Auseinandersetzungen des Friedens wegen, Schönfärberei, langanhaltende Naivität und Kindlichkeit, »Vogel-Strauß-Mentalität«, versteckt den Kopf vor den Abgründen des Lebens.

Er zeigt die Extremformen der altruistischen Tugenden: überwertige Bescheidenheit, kann nichts annehmen, Unterordnung bis zur Selbstaufgabe, Überanpassung, evtl. masochistisches Verhalten und Hörigkeit, gibt eigene Wünsche auf, verzichtet auf sein Eigensein, überfordert sich evtl. selbst, brennt leicht aus, erlebt Enttäuschungen, weil nicht geäußerte Wünsche für andere unklar und unbestimmt, andere haben unzureichende Vorstellung vom Selbst des Depressiven, sie haben manchmal eine Gedächtnisschwäche, sind schwer merkfähig, vergessen schnell, Lernschwierigkeiten, leiden an Müdigkeit, Teilnahmslosigkeit, sie haben eine Abwehr gegen Reize, die ein Begehren wecken könnten, vermeiden die Besitznahme[+], sie haben die Fähigkeit zu einfühlender Identifikation, liebender Zuneigung, transzendierender Teilhabe. Bei großer Verlustangst und Identifikation leben sie durch den Partner, Synchronisation: Ausbildung kohärenten harmonisierten Verhaltens (siehe auch Kohäsion), Ko-Identifikation, Verschränkung, symbiotische Beziehung in der sich die Grenzen zwischen Ich und Du auflösen, stellt das eigene Wesen zurück, übernimmt die Ansichten und Meinungen des Partners. Es geschieht eine subtile Art des Missbrauchs des Partners, „erpresserische Form der Liebe“, möchte eigentlich den Partner beherrschen, Übertragung von Verantwortung zum Leben auf den Partner, Verstrickungstragödien, Beziehungen hängen nur noch über Angst[+]-, Mitleid- und Schuldgefühle zusammen, unter der Oberfläche befinden sich Hass und Todeswünsche.

Sie sind gemütshaft, gefühlswarm, haben eine Einfühlungsgabe, eine gewisse Schwermütigkeit und Anhänglichkeit im Gefühl, liebende Einfühlung, leichte Melancholie, eine gehemmte Aggressivität, wenig Ellenbogen, wenig kämpferisch, friedfertig, gutartig (Gutmensch), „sensible Vitalschwäche“, eine seelische Durchlässigkeit, Hautlosigkeit, Mangel an „dickem Fell“, darauf angewiesen, beschützt und gestützt werden, fordert die Bevaterung und Bemutterung heraus, phlegmatisches Verhalten, Bequemlichkeit.

Übernimmt bis weit über die eigenen Grenzen Verantwortung für andere, ist nie richtig er selbst und ungeübt im Nehmen.

Seelisches Erleben, Umweltwahrnehmung und Einstellung

Erlebt Ich-Werdung als Herausfallen aus der Geborgenheit, der Sicherheit der Konformität, empfindet Distanz, Ferne und Trennung als allein gelassen und verlassen werden, Individuation erscheint als Unterscheidung von anderen im Denken oder Fühlen (Abhängigkeit erzeugt Sicherheit), hat zu wenig Phantasie für das Böse im Menschen, das Menschenbild ist zu gut, sieht Entfremdung als Gefahr, bildet eine passive Erwartungshaltung aus, verzichtet auf die Belohnungserwartung, sie sehen die Früchte, die das Leben ihnen bietet, haben jedoch nicht gelernt, sie zu greifen (leidet an Tantalosqualen). Das geringe Selbstwertgefühl schwächt den Mut zum Nehmen, das Sich-Einverleiben, Zugreifen, Zupacken und Fordern, neigen zur Überschätzung anderer, die Verlustangst verhindert das Aufzeigen von Grenzen der Hingabe, Unsicherheit über Freiheit[+] und Bindung. Spannungen, Auseinandersetzungen und Konflikte erlebt er als quälend und unerträglich. Krisen mit Partner aufgrund von zu viel Nähe sind ihm unverständlich, Panik bei abrupter Entfernung des Partners, Bedürfnis nach Distanz beim Partner wird als mangelnde Zuneigung oder als fehlende Liebe gedeutet, Abhängigkeiten steigerbar bis Masochismus, Hörigkeit, Willenlosigkeit.

Meidet, unterdrückt Aggressionen, verlagert sie von außen nach innen, deutet sie um, verharmlost sie, macht Kleinigkeiten aus ihnen, entwickelt dabei ein Gefühl moralischer Überlegenheit, eine passive Aggressivität, eine erzwungene Harmonisierung, eine subtile Form der Gewalttätigkeit, duldet hingegen die Aggression des Partners, der Abstand schaffen will, entwickelt einen seelischen, moralischen oder sexuellen Masochismus, die im Selbst unterdrückten Aggressionen erlebt er dadurch im anderen, er überträgt den (normalerweise vorhandenen) inneren Impuls zur Selbstwerdung, den Individuationsimpuls, auf den Partner aus Angst[+] davor, mit dem an die Oberfläche dringenden Impuls die Bindung zu gefährden, auf Aggression des Partners reagiert er mit erzwungener Friedfertigkeit, erzeugt im Streit Schuldgefühle, macht den Partner wütend, vertieft die Bindung über die entstehenden Schuldgefühle, fordert Wiedergutmachung, so wird der „demütige Heilige“ zum Quäler, der (aggressive) „Sünder“ zum Gequälten. Das eigene Böse wird also auf den Partner übertragen und so Schuld und Schuldbindung erzeugt. Der Partner wird erstickt, gewissermaßen „weich vergewaltigt“.

Sublimierung des Auslebens von Aggressionen: Jammern, Klagen und Lamentieren, „alles zu viel“, „Menschen so böse und rücksichtslos“, sie haben dann eine anklagende Miene, erwecken Schuldgefühle beim Partner, zwingen ihn indirekt zu größerer Rücksichts- und Anteilnahme, zermürben damit den Partner, auch Selbstmitleid, Melancholie, Selbstbestrafung.

Sie zeigen Überbesorgtheit, das Ideologisieren von Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Demut, lammentierendes Jammern, Dulderhaltung bis zur Wendung gegen sich selbst in Selbstvorwürfen, Selbstanklagen, Selbstbestrafungen bis zur Selbstzerstörung. Körperliche Wirkungen sind die Somatisierung und andere körperliche Manifestationen des Selbsthasses.

Nicht gelebtes Subjekt-Sein und Sich-ausnutzen-Lassen führt zum Hassenmüssen, zu quälendem Neid, ohnmächtiger Schwäche und Bitterkeit, er muss die Affekte jedoch zudecken und Aggressions- und Individuationsimpulse unterdrücken.

Träger der Gemeinschaft.

Schweregrade: Kontemplation, Beschaulichkeit, stille Introvertiertheit, Bescheidenheit, Schüchternheit, Gehemmtheit im Fordern und Sich-Behaupten, Bequemlichkeit, rezeptive Passivität, passive Erwartungshaltungen, (Schlaraffenlanderwartungen an das Leben), Hoffnungslosigkeit, Depression[+], Melancholie, nicht selten am Ende Selbstmord, völlige Apathie, Indolenz und Süchte. Häufig besonders schroffer Wechsel zwischen hoffnungsvollen Lichtblicken und hoffnungsloser Verzweiflung.

Angst, Furcht und Vermiedenes

Angst[+], ein eigenständiges Ich zu werden, Angst[+] vor Ich-Werdung, Individuation, Eigensein, Selbstständigkeit, Angst[+] vor Ungeborgenheit, Distanz, Entfernung, Entfremdung, Verlust, verlassen Werden, Trennung, Einsamkeit, vermeidet (erlaubt sich nicht) das Äußern von Wünschen, Impulsen, Affekten und Trieben, die zur Ich-Werdung führen, meidet und fürchtet, unterdrückt Aggressionen, wenn sie bindungsgefährdend sind, Angst[+] vor einem „Bumerang-Effekt“ des eigenen aggressiven Verhaltens, vermeidet die Individuation, stellt Selbstwert und Ich zurück,

Ausrichtung, Begehrtes und Werte

Vertrauter Nahkontakt, Aufhebung der Distanz, Sehnsucht nach Liebe, will andere glücklich machen, sich selbst vergessen, die Getrenntheit der Individuen aufheben, denkt mehr an andere, als an sich selbst, will das Urbild[+] der »Mutter-Kind-Beziehung« wiedererwecken, bedingungslose Liebe, das Glück teilen, Harmonie, muss selbst „gut“ sein, altruistische Tugenden: Bescheidenheit, Verzichtsbereitschaft, Friedfertigkeit, Selbstlosigkeit, Mitgefühl und Mitleid, sich gegenseitig Bedürfnisse erfüllen.

Lieben, lieben-Wollen, geliebt-werden-Wollen, große Liebesfähigkeit, Hingabe- und Opferbereitschaft, geben ihren Partnern Geborgenheit, Gefühlsinnigkeit, Unbedingtheit der Zuneigung und Zuwendung, aufopfernde und selbstlose Liebe, Sexualität weniger wichtig als Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit.

Allerheiligstes ist Beziehung, Bindung Ideologie der „Friedfertigkeit“, Treue, relationale Beständigkeit, Hingabe, Ideologie des Verzichts, „emotionale Askese”, wehrt Neid mit moralischer Überlegenheit ab, Bescheidenheit, Demütigkeit, Friedfertigkeit und Bedürfnislosigkeit, Zurückstellung des Selbstwerts und des Ichs, einfühlsam, mitfühlend, mitleidend, denkt erst an den anderen, hat ein tiefes Fremdverständnis, Empathie, Hoffnung auf Erlösung von Leiden und Schulden, Sehnsucht nach Erlebnissen der Allverbundenheit und Einheit.

Die Transformationsachse, das Strukturmodell der Psyche und die innere Bestimmung

Die zweite Achse des Riemann'schen Modells[+] ist die Transformationsachse. Auf ihr stehen sich der zwanghafte[+] und der hysterische Typus gegenüber. Dabei geht es vorwiegend um innere Einstellungen in Bezug auf Veränderungen, Wandel, Festlegungen und Notwendigkeiten[+].

Z-Typ

Verhalten und soziale Erscheinung

Unterbindet, bremst, hemmt und verhindert Veränderungen, Neuerungen, neuen Erfahrungen, Entwicklungen auch die eigene, hält sie auf, schränkt sie ein, versucht sie zu verhindern und bekämpft sie. Erhält eisern Meinungen, Einstellungen, Grundsätze, Gewohnheiten, Gelerntes, Geglaubtes, Erkanntes. Sammelneigung, suchen das perpetuum mobile, erhebt eigene Ansichten und Theorien ins Allgemeine und Zeitlose[+], strebt ewige Gültigkeit, etwas die Zeit[+] Überdauerndes an, hält starr an Überkommenem fest, zeigt und lebt eine starre Unveränderlichkeit, immerwährende Fremd- und Selbstkontrolle, versucht Macht, Wissen und Übung zu erlangen, so dass nichts Ungewolltes und Unvorhergesehenes passiert, orientiert sein Handeln ausschließlich an Kausalzusammenhängen. Versucht, den Fluss des Unkontrollierbaren aufzuhalten, zaudert, zögert und zweifelt. Stellt Bedingungen, ist eisern-konsequent, zeigt hartnäckiges Zwingen- und Bändigenwollen der Gewalten des Lebens, hat Mangel an Elastizität, stattdessen Steifigkeit, Starrheit. Evtl. Wasch-, Grübel-, Zähl- und Erinnerungszwänge. Aus dem lebendig pulsierenden Rythmus des Lebens macht er gleichförmig-stereotypischen Takt. Er führt Machtkämpfe, ignoriert Andersartigkeit und Selbstbestimmung des Partners, fordert von ihm Anpassung und Fügung, leidet an Zwangshandlungen[+], deren Vermeidung ihn ängstigen.

Seelisches Erleben, Umweltwahrnehmung und Einstellung

Er hat ausgeprägte Vorurteile (siehe Urteile[+] a priori), es fehlt an Fähigkeit und Bereitschaft zur Neuorientierung. Er erwehrt sich der Regel tempora mutantur et nos mutamur in illis (die Zeit[+] ändert sich, und wir verändern uns in ihr). Dem Z-Typ[+] fehlt im Lebendigen und Natürlichen die Absolutheit und die Berechenbarkeit. Er fürchtet, dass bei Entspannung des inneren Zwangs[+], der Relaxation der inneren Anspannung, des sich-kontrollieren und sich zusammennehmen-Müssens das in ihnen Unterdrückte, Verdrängte oder im Äußeren das, was „nicht sein dürfe“, alles überschwemmen würde, wenn er es zuließe.

Empfindet Liebe als etwas Irrationales, Grenzüberwindendes, ein transzendentales Gefühlserleben bis hin zur ungehemmten Leidenschaft erscheint dem Z-Typ[+] als beunruhigend und gefährlich, Enthält dem Partner Freude, Spontaneität, spürbare Zuneigung, Abwechslung und Heiterkeit im Alltag vor. Partner wird funktionalisiert, soll pünktlich, genau, zuverlässig und reibungslos ohne eigene Wünsche und Gefühlsansprüche funktionieren, neigt zu programmierten Beziehungen, hat rigide und abwehrende Einstellung zur Unkontrollier- und Unüberschaubarkeit der Sexualität, der Lebensfreuden und Genussmöglichkeiten.

Angst, Furcht und Vermiedenes

Angst[+] vor „Chaos“ und Gesetzlosigkeit, Verlust des Unvergänglichen, Vertrauten, Gewohnten, Veränderungen, Vergänglichkeit und Zeitlichkeit[+], der Grundregel alles Lebendigen „alles fließt“ (panta rhei[+], 2. Hauptsatz), fürchtet Abnutzung. Er meidet Überraschungen, ungeprüftes Annehmen, Täuschung, Irrtum, Unübliches, Andersartiges, Verbotenes, Versuchungen, hat Angst[+] vor dem ersten Schritt, der Unübersehbares, Unkontrollierbares auslöst, Angst[+] vor Risiko, Wagnis, unbekümmerter Spontaneität, Wandlung und Vergänglichkeit, dem „Ende“, dem Tod. Fürchtet Verlust der Sicherheit, vermeidet Hinzulernen und Korrigieren bisheriger Erfahrungen (vgl. Begriff des Wiederholungszwangs). Fürchtet Neues und Ungewohntes, Ungewolltes und Unvorhergesehenes, Machtlosigkeit und Ohnmacht, fürchtet Lebendigkeit und Natürlichkeit, Angst[+] vor Lockerheit, losen Regeln, sich Andersartigem gegenüber zu öffnen, nachzugeben, sich ihm zu überlassen ohne immerwährende Fremd- und Selbstkontrolle, hat Angst[+] vor Selbstverantwortung, vermeidet Assoziation, das willkürliche, zufällige Kombinieren, das intuitive Agieren, Leidenschaft, das Zulassen von Spontaneität und spontanem Erleben, hält seine Einfälle zurück, spontane Reaktionen und Triebäußerungen wie Wut, Hass, Trotz und Feindseligkeit sind aus Strafangst angstbesetzt.

Ausrichtung, Begehrtes und Werte

Er hat Sehnsucht nach verlässlicher Wiederkehr und Dauer des Vertrauten, Gewohnten und für unveränderlich Gehaltenen, der Unverlierbarkeit eines geliebten, unwandelbaren Wesens. Er bevorzugt sicheres Wissen, gültige Erkenntnisse, Ordnung[+], absolute Naturgesetze[+], moralische Gesetzen und Ordnungsprinzipien[+], Formales, zeigt ein Streben nach Dauer, dem Erreichen von Zeitlosem[+], Ewigem, Absolutem, wünscht sich die Allgegenwärtigkeit von etwas Göttlichem. Konservatismus[+]: das Gleiche, Bekannte und Vertraute, sucht immergültige Prinzipien, unumstößlichen Regeln, ewige Gesetze, Systematisierung und Schemata. Er propagiert den Erhalt der festgehaltenen subjektiven Einstellung, Zuverlässigkeit, Entschiedenheit, das Recht[+] haben, Sicherungsbedürfnis, Vorsicht, Voraussicht, zielbewusste Planung auf lange Sicht, eine Einstellung auf Dauer, Unsterblichkeit, Unendlichkeit. Man findet bei ihm Traditionen familiärer, gesellschaftlicher, moralischer, politischer, wissenschaftlicher und religiöser Art, Dogmatismus, Konservatismus[+], von Prinzipientreue bis Fanatismus, Kontrolle, Pedanterie, Akribie, Macht, Wissen, Übungen und Exerzitien, Wissen ist Macht, sucht Verbindliches, Verlässliches, Kontrollierbares, Gewisses, Vorhersehbares, Berechenbares, Rationalisierung, Vernunft[+], Sachlichkeit, bevorzugt klare, entweder-oder-Ordnung[+] der Bestimmung (Hammer und Amboss). Er fügt sich gut in Hierarchien ein, propagiert Treue und Zuverlässigkeit, bis ins Sadistische reichende Prinzipientreue unter dem Deckmantel der Korrektheit, betont in der Beziehung Zeit[+] und Geld, Pünktlichkeit, Sparsamkeit, Leistungswille, hat einen straken Machttrieb, ein pedantisches Bedürfnis nach Exaktheit, Ordentlichkeit und starrer, unwandelbarer Kontinuität, betont die Konsequenz, teils aggressive, übermäßige Korrektheit, kämpft für Hygiene, Moral, Sitten, ist oft Vertreter des Patriarchats, Affektkontrolle, Selbstbeherrschung und Selbstzucht, Dressur und (militärischer) Drill, Lust auf Gewalt, Macht und Aggression sind bei ihnen in einer resonanten Wechselbeziehung, Solidität, Stabilität.

H-Typ

Verhalten und soziale Erscheinung

Der H-Typ[+] ist von Reizen, Neuem, sinnlichen Eindrücken fasziniert, vom Kennenlernen von Unbekanntem, der Freude am Wagnis, dem Risiko, dem „Nervenkitzel”, an Abenteuern, Erlebnissen und Erfahrungen, Neugier, er will Möglichkeiten[+] seines Wesens kennenlernen, zelebriert den Augenblick, hat einen Hang zum Opportunismus, zum von Augenblick zu Augenblick zu leben ohne feste Pläne und Ziele (im Gegensatz zum teleologischen Handeln des Zwanghaften[+]). Strebt eher nach der Freiheit[+] von etwas, als nach der Freiheit[+] zu etwas, opfert die Zukunft auf dem Teller der kurzfristigen Angebote der Gegenwart, lebt deswegen wie (ein Anarchist) in einer „Gummiwelt“, die nach Belieben und Willkür umgestaltet wird, weicht vor Konsequenzen des eigenen Handelns aus, relativiert, bagatellisiert, leugnet und ignoriert die Wirklichkeit, Realität, Tatsachen und Fakten, deutet sie um, erkennt sie nicht an, versucht sie zu sprengen, sich ihnen zu entziehen, sie damit abwehrend und davor ausweichend, ignoriert Kausalitäten[+], Zusammenhänge von Ursache[+] und Wirkung, lebt nach dem Motto nach mir die Sintflut, stapelt Erwartungen hoch, suggeriert Existenz von Zielen, die nicht im kausalen[+] Zusammenhang zu gegenwärtigen Handlungen stehen, hat naive Erwartungsvorstellungen, hat Schwierigkeiten, begehrende Affekte zu kontrollieren, Schwierigkeiten mit dem Aufschub von Belohnungen, die Bedürfnisspannung bei Diskrepanz von Haben und Wollen zu ertragen (können nicht gut sparen), neight zu Promiskuität, hat mangelnde Affekt- und Impulskontrolle, ingnoriert die Folgen des Handelns, Logik für ihn lästige Realität, entwickelt private Pseudologik, ist sprachlich manipulativ, strickt damit eine brüchige, fragile und auf Lügen basierende Scheinwelt, hat ein mangelndes Fehlergedächtnis, lernt nicht aus Fehlern, zeigt plastisches, formflexibles Verhalten, führt geschichtsvergessenes, gewissenloses Leben, ihr Leben hat etwas Punktförmiges, Fragmentarisches und Schillerndes, hat einen Mangel an Kontinuität, eine Pseudopersönlichkeit ohne Kontinuität, klare Konturen und charakterliche Prägung, hat chameleonartige Anpassungsfähigkeit, zu wenig Ich-Kontinuität (Charakter), ist unberechenbar und schwer zu fassen, verliert sich in Rollenspielen.

Er erkennt und stimuliert das Begehren im Partner, kann gut mit dem anderen Geschlecht umgehen, neigt zur narzisstischen, oberflächliche Partnerwahl (Stellung, Vermögen, Titel, Ansehen und äußere Vorzüge des Partners), hat Gewandheit, Verführungsvermögen, es sind nicht selten sadistische, despotische Männerfresserinnen (z.B. Herrinnen, Dominas, dämonisch-zerstörerische Frauen, Circes, die Männer benutzen, erniedrigen, sexuell hörig machen, sie physisch[+], psychisch[+]/seelisch oder materiell überfordern, ausnutzen, aussaugen, entmachten, »kastrieren«, indem sie ihre Männlichkeit abwerten) und herzensbrechende Schürzenjäger (oder Loverboys). Er sammelt „verbrauchte Partner” wie Trophäen, die ihren Selbstwert messen, zwingt Partner in einen Wettbewerb mit Konkurrenten, hat viele Trennungen und Neuanfänge aufgrund zu hoher Erwartungen, der Partner soll die subjektiven Entbehrungen des H-Typs[+] kompensieren, süchtiges, unbefriedbare Streben nach Bestätigung, Schuldübertragung und Schuldumkehr, verhält sich in logisch einengender Kommunikation elastisch, formflexibel und ausweichend.

Die Aggression ist elastisch, spontan, unbekümmert und oft unüberlegt, weniger nachhaltend und nachtragend zwischen Impulsivität und Willkür, eher personen- als sachbezogen, Agression dient Dramatisierung und Beeindruckung. Er ist schauspielerisch-darstellerisch begabt und auf Publikum ausgerichtet. Je größer Diskrepanz zwischen Schein und Sein, Wunsch-Ich und Real-Ich, desto größer Angeberei, unersättliche Geltungssucht, Imponiergehabe, Mangel an Selbsteinsicht, Selbstkritik und Selbstkontrolle, Aggression nicht selten unlogisch.

Seine Rollenspiele dienen dem Ausweichen vor der Realität, Vorstellung eines ihr Leben bestimmenden Wesens ist einseitig, kindlich-unreif, naiv und wundergläubig, ethisch inkonsequent. Er spielt in Kollektiven große und gefährliche Rollen, weil er rassistische, semitische, religiöse, ethnische oder völkische Feindbilder aufbaut. Er begeistert, reißt mit, ist suggestiv[+] begabt, kann das Lebendige wecken. Die Gefühlszuwendung ist eher spontan als gleichmäßig, aber fassadenhaft, inkonsequent, wechselt schroff zwischen Verwöhnen und Versagen, ist abhängig von Anerkennung und Bestätigung anderer, hat Glauben an Fassadenhaftes. Es fehlen Härte und Konsequenz.

Seelisches Erleben, Umweltwahrnehmung und Einstellung

Alles soll für sie relativ, lebendig und farbig bleiben, sie hängen nicht an der Vergangenheit, sind leicht ablenkbar durch Reize in der Umwelt. Er braucht das Gefühl der Freiheit[+] als Abwehr gegen das Gefühl der Einengung durch Ordnung[+] und Gesetzmäßigkeiten. Er lebt damit leicht in einer gefährlichen, illusorischen, unwirklichen Scheinwelt, einer Pseudorealität, in der es Phantasie, Wünsche und Möglichkeiten[+] gibt, jedoch keine (begrenzende) Realität, ist teils skrupellos, allein des eigenen Vorteils bedacht. Sie verdrängen, vergessen und ignorieren ihre Schuld am Chaos, das sie stiften und Unangenehmes. Er empfindet Pünktlichkeit, Zeitplanung[+] und Zeiteinteilung[+] als lästig, zu pedantisch oder kleinlich, ignoriert das Altern, Wahn ewiger Jugend, Ethik und Moral, gut-und-böse-Schemata sind für sie unverbindlich, relativier- und bezweifelbar. Die Welt ist für ihn angenehm plastisch und biegsam, Fehler sind umdeutbar.

Sex ist für sie ein Mittel[+] zum Zweck[+] der Steigerung des Selbstwertgefühls und des Ausbaus der Macht gegenüber dem Partner, sie wollen den Rausch der Machtausstrahlung ihres Wesens erleben, missbrauchen das Sich-Geben und Sich-Verweigern erpresserisch. Das Selbstwertgefühl ist gekoppelt an das begehrt und bewundert Werden, seine Eigenliebe bedarf immerwährender Bestätigung, er glaubt an illusorische Täuschungen einer überlegenen, unfehlbaren Idealehe, hat kein echtes, wahrhaftiges, gleich- und gegengeschlechtliches Vorbild, brüchiges Selbstbild, mangelnde Identität mit sich selbst, labiles Selbstwertgefühl, narzisstisch leicht kränkbar, starke innere Abhängigkeit zu seinen früheren familiären Bezugspersonen, Dreiecksbeziehungen, in denen unbewusst Rollenstellung zwischen den Eltern wiederholt wird, sie haben keine wahrhaftige, in sich stabile und konsistente Männlich- oder Weiblichkeit, ein schwaches Selbstwertgefühl, seelische Lücke zwischen der vorgeschobenen, brüchigen Geschlechterrolle und der Identität, illusorischen Erwartungsvorstellungen vom Leben, der Liebe, der Ehe und vom anderen und eigenen Geschlecht, kindliche Einstellung.

Er will mit Agression überraschen und überrumpeln, statt strategisch zu planen, Angriff ist für ihn die beste Verteidigung, er hat unbeschwerte, optimistische Erwartungsvorstellung vom Leben, sieht es farbig, reich, intensiv und füllig.

Angst, Furcht und Vermiedenes

Er fürchtet Endgültiges, Unausweichliches, Notwendigkeit[+], Begrenztheit seines Freiheitsdrangs[+], Einschränkungen der Möglichkeiten[+], Zwänge[+], festlegende Gesetzmäßigkeiten, Traditionen, Verbindliches, Verpflichtungen, Ansprüche auf ewige Gültigkeit, fürchtet das sich-Festlegen, das nicht-ausweichen-Können, er sträubt sich gegen Gesetze des Lebens und der Natur, meidet oder negiert Geschlechterrollen, das Altern und den Tod, (soziale) Konventionen, kollektive Spielregeln aller Art, Vorschriften, Gesetze und das (physikalische) Prinzip der Kausalität[+]. Er fürchtet die unvermeidlich begrenzenden Seiten des Lebens und der Welt. Er weicht vor dem Verzicht, dem Warten und der Verantwortung des eigenen Handelns aus. Angst[+] vor Festlegung und (logischer) Notwendigkeit[+], Verpflichtungen und Endgültigem, Gefangenheit, Klaustrophobie, hat evtl. Tierphobien, er vermeidet Langeweile.

Er hat Angst[+] vor dem Nicht-liebenswert-Sein, ihm fehlt Geduld, Ausdauer und Durchhaltevermögen in der Weiterverfolgung der von ihm angestoßenen Veränderungen.

Ausrichtung, Neigungen, Begehrtes und Werte

Wandlung, Risikoaversität, Veränderung und Freiheit[+], alles Neue, Nutzung aller gegenwärtigen Möglichkeiten[+] für Lustgewinn, hält sich für die Zukunft das weite Feld der Möglichkeiten[+] offen, ohne konkrete Planung (vgl. zum Begriff der Ergodizität und der adiabatischen (reversiblen) Zustandsänderungen), vergangensheitsab- und zukunftszugewandt, opfert dafür Gegebenes, Herkömmliches, Bestehendes, genießt das Bad in Reizen, hat Neigung, von Wünschen besessen zu sein, starken Drang zur Sofortbefriedigung und persönliche Freiheit[+].

Er liebt Rausch, Extase, Leidenschaft, Höhepunkte des Erlebens, ist fasziniert von grenzüberschreitenden Erfahrungen, ist in Beziehungen intensiv, leidenschaftlich und fordernd, sucht Selbstbestätigung, ist ein Meister der Erotik, der Erzeugung einer erotischen Atmosphäre, Flirts, der Koketterie, der Verführung und der Suggestion[+]. Ist neugierig, lebenshungrig, will Liebe in allen Facetten, Formen und Gestalten kennenlernen, liebt Glanz, Pracht, Feste und Feiern als Gast und als Gastgeber, versucht im Mittelpunkt[+] zu stehen durch Charme, Temperament, Gewandtheit und Direktheit, liebt das Sensationelle, ist als Partner wie wie ein Kanarienvogel: farbig, Lebendigem zugewandt, spontan, impulsiv, genussfroh, phantasiereich und verspielt, Sucht nach Rausch und Reiz, zärtliches Vorspiel, erotisches Spiel, Wunsch begehrt und bestätigt zu werden, hoher Liebesanspruch, fordert Liebesbeweise,

Konkurrieren, Rivalisieren, Werben, Erobern, Geltungsstreben, Sich-bewähren-Wollen,

Beruflich liberal[+], revolutionär mit Hang zum Sensationellen, populistisch begabt, persönlichkeitsgebundene Flexibilität, nach Niederlagen „Stehaufmännchen“, risikofreudig, dem Augenblick angemessene elastische, spontane Reaktion, Wendigkeit, Kontaktfreudigkeit und -fähigkeit, Sei zeigen Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft, können repräsentieren, können Anschein, Fassaden und symbolhafte Bedeutungen errichten, können improvisieren, überraschen und überrumpeln, sind begabt durch starke Wunsch- und Einbildungskraft, Ausdrucksfähigkeit und Darstellungsfreude, Sie sind risikofreudig, wagemutig, eigenwillig, unternehmenslustig, neugierig, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen, improvisierend, ausprobierend, elastisch, plastisch, lebendig, oft sprühend, mitreißend, lebhaft, spontan, sind gute Gesellschafter, nie langweilig, bewirkt Veränderung, rüttelt an Traditionen, veralteten, starren Dogmen, überschreitet Grenzen und ist suggestiv[+].

Verallgemeinerte Riemann Koordinaten

[...]

Die neutrale Position auf der Bestimmungs- und der Werteachse

Als wichtig hervozuheben ist nun, dass die jeweils neutralen Positionen auf beiden Achsen nicht absolut definierbar sind. Sicher gibt es bestimmte Werte und auch Verhaltensweisen in Bezug auf Andere die nahezu einen absoluten Gültigkeitsanspruch haben.

Zu diesen nahezu absoluten Werten gehören in den Religionen die religiösen Gebote, in der Moraltheorie die Sitten und in der Kultur die Gebräuche und Riten, jedoch sind eben für die meisten dieser Werte Situationen konstruierbar in denen der Zwanghafte[+] ein Problem bekommt, während der Hysterische unbeschadet aus der Situation hervorgeht.

Auch ist die Unterscheidung zwischen Depression[+] und Schizoidie[+] schwierig, insbesondere wenn man einbezieht, dass die Verhaltensweisen durch frühere Beziehungspartner erlernt bzw. durch Zwang[+] anerzogen wurden und somit derjenige, der von außen betrachtet scheinbar schizoid[+] handelt, in (seiner) Wirklichkeit heteronom / depressiv[+] gegenüber einem früheren Beziehungspartner oder seinem Selbst in einer der früheren Beziehung handelt. Zum anderen verschwinden in Liebesbeziehungen die Grenzen zwischen Autonomie und Heteronomie, wodurch die Unterscheidung zwischen depressivem[+] und schizoidem[+] Verhalten eine komplexe Frage darstellt.

Basis-Transformation

Es ist wichtig, doch nicht ganz einfach, das Zwanghafte[+] in den Einschränkungen der Möglichkeiten[+], den Gestaltungen und Formungen des Handelns in einen gesunden, „normalen“ und einen kranken, abnormalen Anteil zu trennen.

Innerlich geht es dem Menschen um den Umgang mit seinen Werten insbesondere um Veränderung / Wandlung bzw. Festlegung. Die dazugehörige Achse bezeichnet Riemann als Transformationsachse (Zeit[+]-Achse im Riemann-Thomann-Modell[+]) auf der sich die Zwanghaften[+] mit einer Angst[+] vor Wandlung und die Hysterischen mit einer Angst[+] vor Festlegung und Unausweichlichkeit gegenüber stehen. Eine Veränderung kann also als eine Erweiterung des Raums der Erfahrung angesehen werden.

Die Integrationsachse (Raum-Achse im Riemann-Thomann-Modell[+]) hingegen bemisst die Beziehung des Menschen mit seinen (äußeren) Beziehungspartnern. Es stehen sich dort Depressive, die Angst[+] vor der Selbstwerdung haben, und Schizoide, welche Angst[+] vor (Selbst-)Hingabe haben, gegenüber. In einer Austauschbeziehung hat der Schizoide Angst[+] davor, sich in seiner Selbstbestimmung dem Beziehungspartner hinzugeben, ihm also einen Teil der Bestimmungs über sich selbst zu übertragen.

Die vier Kategorien von Riemann können direkt mit dem Zins und dem nomischen Gleichgewicht in Beziehung gesetzt und verallgemeinert werden.

Riemann Koordinaten 2.0
Sozio-ökonomische und sozial-psychologische Koordinaten des verallgemeinerten Riemann-Modells[+]: die Transformationsachse wird zur Achse des Umgangs mit den Werten und die Integrationsachse wird nomische Achse. Der innerseelische Ich-Prozess betrifft den Umgang mit Werten (Transformations- / Werte-Achse in den Riemann Koordinaten). Dem Handeln des Ichs in Beziehung zu Anderen ist die Integrations- / Bestimmungs-Achse im Riemann-Thomann-Modell zugeordnet, auf der es zur Einstellung eines Gleichgewichts kommen soll.

Auf der Integrationsachse geht es im Wesentlichen darum, wer in einer Beziehung bestimmt, weswegen die Integrationsachse auch als nomische oder auch als Bestimmungsachse verallgemeinert werden kann. Der Depressive hat Angst[+] über sich selbst zu bestimmen, also Angst[+] vor Autonomie und wird alles tun, um eine Situation herbeizuführen, in der das eigene Selbst überwiegend durch Andere bestimmt wird. Hingegen hat der Schizoide Angst[+] vor Heteronomie und wird folglich eine Lebenssituation anstreben, in der er über Andere bestimmen kann.

Die Transformationsachse, auf der es um Veränderungen geht, kann man auch als Werteachse bezeichnen. Ein Mensch richtet sein Handeln nach äußeren und inneren Werten (Regeln und Gebote) aus. Zwanghafte[+] oder auch Wert-konservative[+] Menschen erzwingen in Ihrem Handeln das Festhalten an diesen Werten und vermeiden deren Hinterfragung, sie fügen sich ihren Werten, selbst wenn sie dabei starke Emotionen aushalten müssen. Im Gegensatz dazu halten die Hysterischen oder Wert-Liberalen[+] Werte und Regeln eher für einengend, hinterfragen sie ständig und geben sich eher Ihren Affekten und Emotionen hin. In Bezug auf Werte (Regeln und Gebote) sind die hysterischen[+] Persönlichkeiten also eher „unstrukturiert“.

Die Übersetzung der Charakter- und Persönlichkeitsmodelle von Fritz Riemann und Erich Fromm

Schaut man sich ein wenig in Bezug auf alte Literatur um, findet man schon bei den alten Griechen Modelle[+] für den Charakter des Zivilisationsmenschen, und nicht erst seit der Zeit[+] Jesu[+], der vier Charaktere bei der Rezeption seiner Lehre erkannte (Matthäus 13, Gleichnis vom Sämann). Auch die Frage, warum hauptsächlich vier Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) im Hauptteil des neuen Testaments kanonisiert wurden, lässt sich vermutlich in diesem Zusammenhang beantworten.

Etwa 20 Jahre nach der Veröffentlichung von Erich Fromms Die Furcht vor der Freiheit 1941 veröffentlichte Fritz Riemann 1961 sein Werk, das später wie bereits oben erwähnt von einigen Soziologen und Ökonomen zum Riemann-Thomann Modell erweitert wurde. Nach dem Studium von Die Furcht vor der Freiheit war es mit möglich, die Modelle[+] Riemanns und Fromms aufeinander abzubilden. Wie ich hier aufzeigen möchte, besteht eine enge Beziehung zwischen diesen beiden Modellen[+], die zudem die wirtschaftswissenschaftliche Idealfigur des Homo-Oeconomicus enthält. Ich will versuchen zu begründen, wie all dies miteinander zusammenhängt und wie diese Modelle[+] oder Idealformen mit den Mechanismen des Geldsystems korrelieren.

Es ergibt sich folgende Zuordnungstabelle:

Achse Fromm Riemann
Integrationsachse Sadismus Schizoidie[+]
Masochismus Depression[+]
Transformationsachse Spontaneität Hysterie[+]
Konformität Zwanghaftigkeit[+]
Die Integrationsachse, auf der es um soziale Macht geht, ist bei Fromm die Kollusion zwischen Sadisten (Schizoiden) und Masochisten (Depressiven). Auf der Transformationsachse hingegen geht es um Einstellung und Veränderung. Da stehen die Konformisten (Zwanghaften) den Spontanen (Hysterischen) gegenüber.

Einordnung des Riemann-Thomann-Modells zu Begriffen Kants und Luhmanns

In der Systemtheorie Luhmanns sind die Affekte (hier besonders Angst[+] und Begehren) der Zeitdimension[+] zugeordnet, siehe auch Zeitwahrnehmung, während die Modalitäten Freiheit[+] und Zwang[+] wirklich in der Sozialdimension existieren.

Sinnliche und affektive Wahrnehmung mit dem Fluss der Zeit[+] zu verbinden geht mindestens auf Immanuel Kant zurück, der den Zusammenhang in Kritik der reinen Vernunft erläutert[3, u.a. §4]. Sein ist am Ende (im Hirn!) immer Sinn, und das Sein ist in der Zeit[+], also verläuft sinnliche und affektive Wahrnehmung parallel zum Fluss der Zeit[+]. Der Zeitfluss[+], die Zeitdimension[+] ist bei Riemann der Transformationsachse zugeordnet.

Die obligatorische Anschauungsform des Raumes[3, u.a. §2f] (ein „Nicht-Raum“ ist nicht denkbar) unterteilt sich in der Systemtheorie in Sach- und Sozialdimension. An dieser Stelle ist zunächst allein die Sozialdimension von Interesse, die bei Riemann der Integrationsachse entspricht.

Störungen der Sozialdimension entstehen in der Sachdimension, in der Beziehung von Menschen zu Sachen. Überhaupt ist die Sachdimension entscheidend für die Ausbildung sozialer und psychischer[+] Systeme, wie in der ökonomischen Betrachtung des Riemann-Thomann-Modells analysiert wird.

Folgende Tabelle dient der Zuordnung:

Dimension
(Luhmann[+])
Achse
(Riemann)
Anschauungsform
(Kant)
Sozial- Integrations- Raum
Zeit[+]- Transformations- Zeit[+]

In Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme ist ein fester Bestandteil des Bewusstseinsprozesses die autopoietische Reproduktion des Sinns. Das Abbilden (vermeintlich) unbekannter Reize auf (vermeintlich) Bekanntes im Bewusstseinsprozess dient dem Zweck[+], das aktuelle Reizmuster mit in der Vergangenheit erfahrenen Reizmustern zu identifizieren, also eine entsprechende (neuronale) Zuordnung/Verweisung vorzunehmen/zu finden, um Zugriff auf dazu passende, anschlussfähige Handlungen zu erlangen und also angemessen auf die Situation, die sich im Reizmuster darstellt, reagieren zu können.

Die zwei Bedeutungen des Wortes Projektion sind hier gleichzeitig zutreffend: Projektion in der Psychologie ist die (unbewusste) Zuschreibung von eigenen Gefühlszuständen (affektiven Reize) auf Äußeres. In der Neurophysiologie ist die Projektion (lt. Wikipedia)

Projektion [als Projektion wird] „die örtlich möglichst exakte Zuordnung von somatischen und psychischen[+] Funktionen zu bestimmten Bereichen im Zentralnervensystem verstanden. Sie geht davon aus, dass es bestimmte Zentren von Nervenzellen im Gehirn gibt, die eine spezifische Leistung an einer bestimmten Stelle vollbringen.“
Quelle: wikipedia.org.
Ein spezieller Begriff für die Autopoiesis[+] (grob Selbst -Erhalt, -Schaffung oder -Organisation) ist in diesem Zusammenhang das Wort Selbstreferenz (lat. referre zurückbringen). Die Grenzen des Anwendbarkeit der Selbstreferenz skizziert z.B. der Spruch „Man soll nicht generell von sich selbst auf andere schließen.“, doch welche Möglichkeiten[+] hat man denn Unbekanntes einzuordnen, wenn nicht durch Projektion von Bekanntem und Hinterfragen?

Das Gehirn des Menschen ist also konservativ[+] in dem Sinn, dass es ständig und automatisch versucht, Unbekanntes auf Bekanntes im Raum der Erfahrungen zurückzuführen, um nicht in eine vollkommen unbestimmte Situation zu geraten, für die es gar keine Erfahrungen gibt. Ein Nichtschwimmer scheut den Sprung in das kalte Wasser, vollkommen alleine in einer fremden Stadt mit fremden unbekannten Menschen auszugehen, erscheint manchem Menschen als ein Wagnis.

Mit Verweis auf Die Kritik der reinen Vernunft bedeutet dies, dass das Gehirn versucht Urteile[+] a priori abzurufen und zu bilden. Es bildet ein Modell[+] der äußeren Welt, das sowohl in seinen Reizschemata als auch in den Mechaniken und Gesetzmäßigkeiten, den Kausalitäten besteht. Die Urteile[+] a priori bestehen also in der Erinnerung an sinnliche Erfahrung in der erlernten Kenntnis von Zusammenhängen zwischen Ursachen[+] und Wirkungen.

An das Vorherige lassen sich die Abschnitte über Sinn und Denken, Fühlen und Verstehen anschließen.

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Tim Deutschmann

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