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Teleologische Reihen

Durch die philosophische, soziologische und speziell durch die dem Utilitarismus zuordenbare Literatur zieht sich das „Denkschema“ von Mittel und Zweck, nach dem Handlungen hinsichtlich Zielgerichtetheit (griechisch telos ist das Ziel) und Nutzen[+] eingeordnet werden können (z.B. Simmels Philosophie des Geldes[+]). Im Mittel[+]-Zweck[+]-Denkschema ist der Zweck[+] das Ziel der Handlung, das Wozu, und das Mittel[+], das Was und Wie, soll seiner Erreichung dienen.

Mittel[+] können Handlungen sein aber auch z.B. Werkzeuge. Mittel[+] und ihre Anwendung verursachen Veränderungen des Seins. Auch Zwecken[+] können bestimmte Seinszustände zugeordnet werden, z.B. ein Sättigungsgefühl, eine Befriedigung, das Gefühl etwas Bedrohliches oder Gefährliches abgewendet zu haben usw., also irgendeine typischerweise vorteilhafte, „positiv konnotierte“, angenehme, Art zu sein die typischerweise von einem Belohnungsempfinden gekennzeichnet ist. In Aussagen, die Handlungen begründen, wie z.B. „Ich baue Tomaten selbst an, um das Gefühl zu haben, dass ich mich noch selbst versorgen kann“ oder „um sicher zu sein, dass in meiner Nahrung keine Giftstoffe sind“ wird der Zweck[+] dem Mittel[+] (z.B. der Handlung) sprachlich mit dem Wort „um“ zugeordnet.

Das unter Einsetzung bestimmter Mittel[+] auf die Erreichung von Zwecken[+] gerichtete Handeln wird auch als teleologisch bezeichnet, weil es auf ein Ziel ausgerichtet ist. Das Mittel[+] verbindet zwei Seinszustände miteinander, es dient der Überführung des Selbst von einem in den anderen Zustand. Das Wort Zweck[+] steht i.d.R. synonym für Ziel, Sinn, Absicht, Motivation und im Allgemeinen für eine vorgestellten Wirkung die auch in einer bestimmten Affektanregung bestehen kann.

Beginn der Bezahlwand

Kausalität und die Länge teleologischer Reihen

Eng verknüpft mit dem Begriff der Teleologie ist der der Kausalität[+]. wobei der letztere der tieferliegendere (näher am Physikalischen) von beiden ist. Die Kenntnis von Kausalzusammenhängen, das Wissen, ist die Voraussetzung teleologischen Handelns. Erst dadurch, dass Zusammenhänge zwischen Ursachen[+] und Wirkungen bekannt sind, können bewusst, absichtlich, eben zielgerichtet, Ursachen[+] herbeigeführt werden, die die angestrebten Wirkungen (das jeweilge Ziel) haben. Die erzeugten, herbeigeführten Ursachen[+] sind demnach Mittel[+], die aufgrund des bekannten Kausalzusammenhangs folgende Wirkung ist der Zweck[+].

Schematische Darstellung einer teleologischen Reihe.

Das folgende Zitat verbindet das Mittel[+]-Zweck[+]-Schema mit dem Prinzip der Kausalität, wobei die Kenntnis der Kausalität[+] die Voraussetzung für teleologisches Handeln ist.

Eine Handlung, die eine bestimmte Wirkung im Auge hat, die sich durch Herbeiführung einer oder mehrerer Ursachen[+] auszulösen trachtet, nennen wir eine «Zweckhandlung[+]». Zweckvoll[+] handeln oder wirken können wir nur in einer Welt, die kausal[+], d.h. nach Ursache[+] und Wirkung gegliedert ist.

Diese kausal[+] gegliederte Welt, die Wirklichkeit des heutigen Abendländers, und die objektive Außenwelt der Physik sind also ein und dasselbe. Es ist die Welt eines Lebewesens, das im zweckvollen Handeln, im Bewirken seine wesentliche Bestimmungen sieht. Es ist ja auch in der Tat ein wesentliches Merkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet, Zweckhandlungen[+] planmäßig vollbringen zu können, d.h. aus dem Wissen um die kausale[+] Gliederung der Welt seine Tätigkeit selber zu bestimmen. [Anmerkung: Hier irrt Uexküll. Heute sind zahlreiche Beispiele für tierisches Zweckhandeln[+] bekannt, z.B. Krähen, die Nüsse auf Straßen schmeißen, weil sie wissen, dass darüber hinweg fahrende Autos die Schalen knacken lassen oder Dolen, die mehrstufige Angelwerkzeuge zur Erbeutung von Maden in verrottenden Bäumen bauen.]

Erschöpft sich nun das Tätigsein des Menschen in Handlungen, die er nach verstandesmäßigen Überlegungen von Ursache[+] zu Wirkung plant und dann willensmäßig ablaufen lässt? Wir wissen sehr gut, dass eine ganze Reihe, wenn nicht die überwältigende Mehrzahl menschlicher Handlungen nicht auf solchen verstandesmäßigen Überlegungen beruht. Wir essen, schlafen, trinken, hassen und lieben, ohne dabei den Verstand und den von ihm geleiteten Willen zu bemühen. - Und auch die Tätigkeit des Künstlers läuft nicht nach verstandesmäßig in Überlegungen von Ursache[+] zu Wirkung ab.

Nur wer von vornherein an der Überzeugung festhält, die objektive Wirklichkeit der Physik sei auch zugleich die ursprünglich gegebene Welt, wird sich nicht davon abbringen lassen, dass auch diese Handlungen, ebenso wie die Zweckhandlungen[+], kausal[+] ablaufen. Für ihn wird es nur eine psychologische Frage sein, ob der Handelnde um Ursache[+] und Wirkung weiß, oder ob er «unbewusst» zweckvoll handelt. Er erfindet als Stütze seiner Überzeugung eine unpersönliche Instanz, die mit menschlichem Intellekt ausgerüstet dafür zu sorgen hat, dass alles, was geschieht, doch nur von Ursache[+] zu Wirkung abläuft. Diesen «deus mechanicus», diesen hypothetischen Weichensteller der Kausalität[+], liebt er dann in den Namen «Natur» zu verhüllen und kann sich nicht genug darüber wundern, wie intelligent und zweckmäßig diese Natur mit den kausalen[+] Gegebenheiten umzugehen weiß.

Abgesehen davon, dass es ein Widersinn ist, von einem unbewussten Zweck[+] zu sprechen, ist es ein noch viel größerer Widersinn, einen Naturbegriff zu konstruieren, der einerseits das Kausalprinzip selbst repräsentiert, andererseits aber mit einem menschenähnlichen Verstand ausgerüstet wird, um dieser Kausalität[+] zum Trotz zweckmäßige Einrichtungen hervorzubringen. So oft wir diesen «deus mechanicus ex machina sive natura» Beifall klatschen, wenn wir entdecken, wie zweckmäßig ein Vorgang im organischen Geschehen abläuft, klatschen wir in Wahrheit nur uns selber Beifall zu dafür, dass wir den Zweck[+] erfunden und den Kausalvorgang konstruiert haben. Die Natur kennt keine Zwecke[+], die kennt nur der nach kausalen[+] Prinzipien arbeitende menschliche Verstand.

Diesem menschlichen Verstande, der durch die Struktur seiner Denkregeln die Voraussetzung für einen zweckvolles Handel bietet, entspricht die physikalische Wirklichkeit und zwar vermuten wir ja, dass dieses Entsprechen von Verstand und kausal[+] gegliederter Außenwelt nicht zufällig ist.

Wenn wir an unserer Voraussetzung festhalten, dass der Gegenstand einer Untersuchung gewissermaßen einen Ausdruck der Haltung des Untersuchers darstellt, so würde das bedeuten, dass die physikalische Außenwelt einen Ausdruck der Haltung des wirkenden Menschen darstellt, oder dass die physikalische Wirklichkeit der Wirkwelt des Menschen entspricht. Es wäre ferner möglich, dass der menschliche Verstand diese Wirkwelt erst begründen und in fortgesetzten Anstrengungen aufbauen muss, dass also die physikalische Wirklichkeit keine ursprüngliche, sondern eine abgeleitete Welt darstellt. Wenn sich das erwiesen ließe, so würde damit neben und vor der physikalischen Wirklichkeit eine andere Wirklichkeit sichtbar werden, in der «Wirken» nur nun etwas ganz anderes bedeutet als ein «Bewirken» physikalische Abläufe.
S.26 in Ernesto Grassi und Thure von Uexküll[+], Wirklichkeit als Geheimnis und Auftrag[+], Die Exaktheit der Naturwissenschaften und die philosophische Erfahrung, Verlag Karl Alber, Freiburg im Breisgau, 1945.

Von teleologischem Handeln zu unterscheiden ist also das rein triebhafte (mechanische) Agieren, das an einen Seinszustand eine Handlung knüpft, ohne dass diese Handlung zweckmäßig ist. Bei diesem Handeln liegt der Zweck[+] näher an der Gegenwart, das Handeln ist reaktiv. Der Zweck[+] ist die Änderung des gegenwärtigen Zustands, wohin die Veränderung führt ist weniger geplant und unbeherrschter. Vernünftiges Handeln ist also teleologisch, ist auf einen Zweck[+] in der Zukunft gerichtet und unterstellt das Mittel[+] diesem Zweck[+], während triebhaftes, nicht teleologisches Handeln an der Zwecklosigkeit[+] erkennbar ist.

Simmel[+] schreibt:

Der große Gegensatz aller Geistesgeschichte: ob man die Inhalte der Wirklichkeit von ihren Ursachen[+] oder von ihren Folgen aus ansieht und zu begreifen sucht - der Gegensatz der kausalen[+] und der teleologischen Denkrichtung - findet sein Urbild[+] an einem Unterschiede innerhalb unserer praktischen Motivationen. Das Gefühl, das wir Trieb nennen, erscheint als an einen physiologischen Vorgang gebunden, in dem gespannte Energien auf ihre Lösung drängen; indem jene sich in ein Tun umsetzen, endet der Trieb; wenn er wirklich ein bloßer Trieb ist, so ist er »befriedigt«, sobald er durch das Tun sozusagen sich selbst los geworden ist. Diesem gradlinigen Kausalvorgange, der sich im Bewusstsein als das primitivste Triebgefühl spiegelt, stehen diejenigen Aktionen gegenüber, deren Ursache[+], soweit sie sich als Bewusstseinsinhalt kundgibt, in der Vorstellung ihres Erfolges besteht.

Wir empfinden uns hier gleichsam nicht von hinten getrieben, sondern von vorn gezogen.

Das Befriedigungsgefühl tritt infolgedessen hier nicht durch das bloße Tun ein, in dem der Trieb sich auslebt, sondern erst durch den Erfolg, den das Tun hervorruft. Wenn etwa eine ziellose innere Unruhe uns zu einer heftigen Bewegung treibt, so liegt ein Fall der ersten Kategorie vor; der zweiten, wenn wir uns die gleiche Motion machen, um einen bestimmten hygienischen Zweck[+] damit zu erreichen; das Essen ausschließlich aus Hunger gehört in die erste, das Essen ohne Hunger, nur um des kulinarischen Genusses willen, in die zweite Kategorie; die Sexualfunktion, im Sinne des Tieres ausgeübt, in die erste, die in der Hoffnung eines bestimmten Genusses gesuchte in die zweite.

Dieser Unterschied scheint mir nun nach zwei Seiten hin wesentlich zu sein. Sobald wir aus bloßem Triebe heraus, also im engeren Sinne rein kausal[+] bestimmt handeln, so besteht zwischen der psychischen[+] Verfassung, die als Ursache[+] des Handelns auftritt, und dem Resultat, in das sie ausläuft, keinerlei inhaltliche Gleichheit.

Der Zustand dessen Energien uns in Bewegung setzen, hat insofern zu der Handlung und ihrem Erfolge so wenig qualitative Beziehungen, wie der Wind zu dem Fall der Frucht, die er vom Baum schüttelt.

Wo dagegen die Vorstellung des Erfolges als Veranlassung gefühlt wird, da decken sich Ursache[+] und Wirkung ihrem begrifflichen oder anschaubaren Inhalte nach.

Die Ursache[+] der Aktion ist indes auch in diesem Falle die reale - wenn auch wissenschaftlich nicht näher formulierbare - Kraft der Vorstellung bzw. ihres physischen[+] Korrelats, die von ihrem Gedankeninhalt durchaus zu trennen ist. Denn dieser Inhalt, der ideelle Sachgehalt des Handelns oder Geschehens, ist an und für sich absolut kraftlos, er hat nur eine begriffliche Gültigkeit und kann nur insoweit in der Wirklichkeit sein, als er der Inhalt einer realen Energie wird: sowie die Gerechtigkeit oder die Sittlichkeit als Ideen niemals eine Wirksamkeit in der Geschichte üben, das vielmehr erst können, wenn sie von konkreten Mächten als Inhalt des Kraftmaßes derselben aufgenommen werden.

Der Kompetenzstreit zwischen Kausalität[+] und Teleologie innerhalb unseres Handelns schlichtet sich also so: indem der Erfolg, seinem Inhalte nach, in der Form psychischer[+] Wirksamkeit da ist, bevor er sich in die der objektiven Sichtbarkeit kleidet, wird der Strenge der Kausalverbindung nicht der geringste Abbruch getan; denn für diese kommen die Inhalte nur, wenn sie Energien geworden sind, in Betracht, und insofern sind Ursache[+] und Erfolg durchaus geschieden, während die Identität, die die ideellen Inhalte beider zeigen, wiederum mit der realen Verursachung überhaupt nichts zu tun hat.

Von tieferer Bedeutung für die jetzige Aufgabe ist die andere Differenz, durch die sich das triebhafte und das vom Zweck[+] geleitete Wollen gegeneinander charakterisieren.

Sobald unser Handeln nur kausal[+] (im engeren Sinne) bestimmt wird, ist der ganze Vorgang mit der Umsetzung der drängenden Energien in subjektive Bewegung beendet, das Gefühl der Spannung, des Getriebenwerdens ist gehoben, sobald die Aktion als Folge des Triebes eingetreten ist.

Der Trieb lebt sich mit der ihm natürlichen Fortsetzung in Bewegung vollständig aus, so dass der gesamte Vorgang innerhalb des Subjekts beschlossen bleibt. Ganz anders verläuft der Prozess, der durch das Bewusstsein des Zweckes[+] geleitet ist.

Dieser geht zunächst auf einen bestimmten objektiven Erfolg des Tuns und erreicht seinen Abschluss durch die Reaktion dieses auf das Subjekt bzw. des Subjekts auf ihn.

Die prinzipielle Bedeutung des Zweckhandelns[+] liegt also in der Wechselwirkung, die es zwischen dem Subjekt und Objekt stiftet. Indem schon die bloße Tatsache unserer Existenz uns in diese Wechselwirkung verwebt, hebt das zweckbestimmte Handeln sie in die Innerlichkeit des Geistes. Durch eben dies stellt sich unser Verhältnis zur Welt gleichsam als eine Kurve dar, die vom Subjekt aus auf das Objekt geht, es in sich einbezieht und wieder zum Subjekt zurückkehrt.

Und während freilich jede zufällige und mechanische Berührung mit den Dingen äußerlich dasselbe Schema zeigt, wird es als Zweckhandeln[+] von der Einheit des Bewusstseins durchströmt und zusammengehalten.

Als Naturwesen betrachtet sind wir in fortwährender Wechselwirkung mit dem natürlichen Dasein um uns herum, aber in völliger Koordination mit diesem; erst im Zweckhandeln[+] differenziert sich das Ich als Persönlichkeit von den Naturelementen außerhalb (und innerhalb) seiner.

Oder, anders angesehen: erst auf der Grundlage solcher Scheidung eines persönlich wollenden Geistes und der rein kausal[+] betrachteten Natur ist jene Einheit höherer Stufe zwischen beiden möglich, die sich in der Zweckkurve[+] ausdrückt. Dieses prinzipielle Verhältnis wiederholt sich, mit gewissen Abschwächungen, an dem Unterschied, den man zwischen der Arbeit[+] des Kulturmenschen und des Naturmenschen zu finden meint: jene gehe regelmäßig und methodisch, diese unregelmäßig und stoßweise vor sich; das heißt, die erstere fordere eine willenshafte Überwindung der Widerstände, die unser Organismus der Arbeit[+] entgegensetze, während die andere nur die Auslösung der in den psychischen[+] Zentren angehäuften Nervenkraft sei.

Das ist nun nicht so gemeint, als ob der eigentliche Zweck[+] jedes Zweckhandelns[+] im handelnden Subjekt selbst liegen müsste, als ob der Grund, um dessentwillen irgendein Objektives verwirklicht wird, immer in dem Gefühle bestünde, das es rückwirkend in uns erregt. Wenn dies in den eigentlich egoistischen Handlungen stattfindet, stehen daneben doch unzählige, in denen jene Inhaltsgleichheit zwischen Motiv und Erfolg nur den Erfolg im Sinne des Objekts, des außer-subjektiven Geschehens betrifft; unzählige Male nimmt die innere Energie, aus der unser Handeln hervorgeht, ihrer Bewusstseinsseite nach nur ihren sachlichen Erfolg in sich auf und lässt die auf uns selbst zurückkehrende Weiterwirkung desselben ganz außerhalb des teleologischen Prozesses. Zwar, wenn nicht der Erfolg unseres Tuns schließlich ein Gefühl in uns auslöste, so würde von seiner Vorstellung nicht die bewegende Kraft ausgehen, die ihn zu verwirklichen strebt.

Allein dieses unentbehrliche Endglied des Handelns ist darum noch nicht sein Endzweck; unser teleologisch bestimmtes Wollen macht vielmehr sehr oft an seinem sachlichen Erfolge halt und fragt bewusst nicht über diesen hinaus. Suchen wir also die Formel des Zweckprozesses[+] in seinem Gegensatz zu dem kausal[+]-triebhaften - wobei dahingestellt bleibt, ob dieser Gegensatz etwa nur ein solcher der Betrachtungsweise, sozusagen ein methodologischer ist - so ist es die, dass das Zweckhandeln[+] die bewusste Verflechtung unserer subjektiven Energien mit einem objektiven Dasein bedeutet, und dass diese Verflechtung in einem doppelten Ausgreifen der Wirklichkeit in das Subjekt hinein besteht: einmal in der Antizipation ihres Inhaltes in der Form der subjektiven Absicht und zweitens in der Rückwirksamkeit ihrer Realisierung in der Form eines subjektiven Gefühls. Aus diesen Bestimmungen entwickelt sich die Rolle des Zweckes[+] im Lebenssystem.

Es geht zunächst daraus hervor, dass sogenannte unmittelbare Zwecke[+] einen Widerspruch gegen den Begriff des Zweckes[+] selbst bedeuten. Wenn der Zweck[+] eine Modifikation innerhalb des objektiven Seins bedeutet, so kann dieselbe doch nur durch ein Tun realisiert werden, welches die innere Zwecksetzung[+] mit dem ihr äußeren Dasein vermittelt; unser Handeln ist die Brücke, über welche der Zweckinhalt[+] aus seiner psychischen[+] Form in die Wirklichkeitsform übergeht. Der Zweck[+] ist seinem Wesen nach an die Tatsache des Mittels[+] gebunden.

Hierdurch unterscheidet er sich einerseits vom bloßen Mechanismus - und seinem psychischen[+] Korrelat, dem Trieb -, in dem die Energien jedes Momentes sich in dem unmittelbar folgenden vollständig entladen, ohne über diesen hinaus auf einen nächsten zu weisen; welcher nächste vielmehr nur von dem unmittelbar vorhergehenden ressortiert.

Die Formel des Zweckes[+] ist dreigliedrig, die des Mechanismus nur zweigliedrig.

Triebhaftes, primitives, nicht telelologisches Handeln ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass der Erfolg, die Wirkung, das Ergebnis, einer Handlung, die eine Veränderung des gegenwärtigen, subjektiv als unangenehm empfundenen Zustandes bewirken soll in diesen zurück führt. Die zwanghafte[+] Handlung zur Verbesserung der Befindlichkeit ist gewohnt (das Zwanghafte[+] ist das Gewohnte) und führt zu einer Bestätigung und Verfestigung des Urzustandes[+]. Ein banales Beispiel ist der juckende Stich eines Insekts. Kratzt man sich, weil einen das Jucken stört, wird das Jucken in der Regel stärker. Komplexere nicht teleologische (unlogische, irrationale) Handlungen werden in der Psychologie in Verbindung mit dem Begriff des Wiederholungszwangs gebracht und als Zwangsstörungen behandelt.

Aus der Beobachtung erkennt man, dass im Verlaufe der Zivilisation die Länge der teleologischen Reihen immer weiter zugenommen hat. Am Anfang waren es (relativ) einfach Werkzeuge, die zur Erreichung (relativ) einfacher Zwecke[+] gebaut wurden. Zunächst wurde ein Werkzeug erschaffen, mit dem in der nächsten Stufe 2 der avisierte Zweck[+] erreichbar war. Heutzutage baut der Mensch Werkzeuge um damit komplexere Werkzeuge zu bauen, mit denen noch komplexere Werkzeuge gebaut werden mit denen dann irgendein Endzweck erreichbar ist.

Vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet ist die zeitliche Aneinanderreihung von Mittel[+] und Zweck[+] von zwei zeitlich getrennten seelischen Seinszuständen gekenneichnet. Die Phase der Anwendung des Mittels[+], die Mittel[+]-Phase, ist gekennzeichnet von irgendeiner Art konzentrierter Arbeit[+], bei der Affekte eine eher untergeordnete Rolle spielen und in die eher in der Domäne den Intellekts, des Über-Ichs liegt. Die an die Mittel[+]-Phase anschließende Zweck[+]-Phase hingegen ist eher durch einen seelischen Zustand von Belohnungsempfinden (Genuss, Sättigung, Befriedigung, Glück, Freude, Rausch, usw.) also der Affektiertheit des Es gekennzeichnet. Da im Verlauf der Entwicklung immer komplexerer Werkzeuge, also immer längerer teleologischer Reihen, die Mittel[+]-Phase gegenüber der Zweck[+]-Phase zeitlich (und auch räumlich: Globalisierung) immer weiter ausgedehnt wird, kommt es, zu einer Dämpfung der Affektivität, also immer ausgedehnterem Belohnungsaufschub.

Norbert Elias[+] bestätigt in Über den Prozess der Zivilisation empirisch diese auf philosophischem Wege gefundenen Ergebnisse Georg Simmels auf der Frage, wie sich im Verlaufe des Prozesses der Zivilsation das Über-Ich gebildet hat. Hegel und Simmel[+] benutzen nicht direkt das Wort Über-Ich, sondern sprechen vom objektiven Geist.

Synonyme und Analoga

Als Analoga telelologischer Reihen kommen auch die auf Grundsätzen, Paradigmen und Axiomen aufgebauten hierarchischen[+] Systeme von Wissen in Betracht. Ein Skizze davon, wie der Zins mit dieser Zunahme an Erkenntnissen zusammenhängt ist einfach gezeichnet: der Zins erzeugt eine (künstliche) Not (Knappheit des Geldes), und macht so Erkenntnis notwendig. Die Erkenntnis ist notwendig. Das gesamte Wissen besteht aus objektiven Notwendigkeiten[+], und wie Simmel[+] es in Kapitel 6.1. von Philosophie des Geldes[+] schreibt, ist die Entstehung des Wissens, der Erkenntnisgewinn, ähnlich strukturiert, wie die Tilgung eines Kredits (des Glaubens an die Idee): die subjektive Erkenntnis erfüllt objektive Anforderungen, Geld ist eine Forderung. Und so schöpft der Kapitalismus[+] auch Wissen aus der Realisierung von Ideen und mit Hilfe der Erkenntnis.

Den Fortschritt aufgrund der zinsverursachten Nöte, die Evolution[+] des Wissens, bezeichnet Marx[+] im Kapital mit dem Begriff der Stufenleiter der Produktion. Unternehmungen sind Verkörperungen des kooperativen Handelns aus Verkörperungen des kollektiven (objektiven, kommunistischen) Wissens. Wertschöpfungsketten zählen wohl zu den offensichtlichsten physischen[+] Realisierungen telelogischer Reihen.

Vergleich zwischen Sinn- und Kausal-Ordnung nach Thure von Uexküll

[...]

VI. Die beiden Wirklichkeiten und die geeinte Natur

1. Werk und Wirkung

Wir haben bisher den Begriff der Wirklichkeit immer so gebraucht, wie er durch die Suggestion[+] der modernen Naturwissenschaft in das allgemeine Bewusstsein eingegangen ist, d. h. wir haben «wirken» mit dem Hervorrufen einer Wirkung gleichgesetzt.

Macht man sich von dieser modernen Interpretation frei, die charakteristisch für das Denken des 19. Jahrhunderts ist, und erinnert sich wieder daran, das «wirken» ursprünglich von «Werk» hergeleitet ist, also die Handlung oder den Vorgang meint, in dem ein Werk konkret in Erscheinung tritt, so eröffnet sich uns der Ausblick auf eine ganz andere Wirklichkeit.

Trotzdem der Begriff der «Energie», im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Bedeutung als das «In-sich-haben eines Werkes» dort keinen Eingang gefunden, und das mit gutem Grunde:

«Arbeit[+]» und «Leistung» können noch als abstrakte Formen für rein quantitative Veränderungen dienen, aber der konkrete Charakter des Werkes macht einen solchen Gebrauch unmöglich.

Niemand wird auf den Gedanken kommen, die Entstehung eines künstlerischen Werkes, etwa des David von Michelangelo, als quantitative Veränderungen eines schon Bekannten, als Resultat mechanischer Einwirkung auf die Materie erklären zu wollen. Vielmehr ist es jedem klar, dass im künstlerischen Werk nicht das Bekannte in dieser oder jener Veränderungen, sondern «das Neue» Gestalt gewinnt. Dieses Neue hat bei seiner Entstehung dem Handeln des Künstlers das Gesetz vorgeschrieben, und es wäre absurd, das künstlerische Schaffen als ein rechnendes Experimentieren mit Marmorblöcken aufzufassen. Ebenso verfehlt wäre es aber, die Tätigkeit des Künstlers final als bewusste Zweckhandlung[+] interpretieren zu wollen; denn der Zweck[+], den ich erreichen will, setzt außer der Kenntnis der Ursachen[+] das Bild voraus, das mit dem Zweck[+] angestrebt wird. Die Entstehung dieses Bildes aber ist ja gerade das künstlerische Geheimnis, durch das er sich von jedem nachschaffenden oder kopierenden Epigonen unterscheidet.

In diesem Sinne handeln wir, wenn wir in der alltäglichen Welt durch zweckhaftes Wirken die sinnlichen Szenen nach schematischen Regeln abwickeln, epigonenhaft; denn wir können dort nur einen schon bekannten Schlussakt nachahmen und durch Variationen der physikalischen Ursachen[+] herbeizuführen trachten. Deshalb hat die sinnliche Welt auch im alltäglichen Leben den Charakter des Überraschenden, Unheimlichen oder Bedrückenden verloren. Wir spielen dort lediglich wie Bettler auf einem Leierkasten immer wieder die gleichen, abgedroschenen Melodien, und in der Welt des «Alltags» unterscheidet sich daher kein Tag vom anderen. Jeder wiederholt mit nur unwesentlichen Variationen die Szenen, die wir schon gestern und vorgestern gespielt haben. Will aber einmal eine Szene uns wieder ursprünglich ergreifen und «das Neue» mit uns verwirklichen, so erschrecken wir und haben gleich einen alltäglichen Schluss bereit, mit dem wir die lebendige Gewalt, die uns ergriffen hat, vergiften.

Die alltägliche Welt, in der die abgenutzten Trümmer eines einstmals ursprünglichen und phantastischen Geschehens nach zweckvollen Erwägungen hin und her geschoben werden, um das Leben möglichst rationell und ohne Überraschungen ablaufen zu lassen, ist - wir sagten es schon früher - nur das Produkt aus physikalischer Methode und verblichenen Erfahrungsbildern eines ehemals ursprünglichen Erlebens. Dort gehen wir nun zwischen schlechten und billigen Kopien alter Meisterwerke umher, die in ihren Nachahmungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Nirgends aber finden wir noch etwas, das den ursprünglichen Charakter eines «Werkes» aufwiese, wie er den künstlerischen Schöpfungen zukommt.

Freilich - ohne die schützende Atmosphäre der alltäglichen Welt würden die Menschen bald zugrunde gehen. Das Unmittelbare hat einen gefährlichen und zerstörenden Charakter, und in diesem Sinne hat Rilke recht, wenn er das unmittelbare Erlebnis des Schönen nur den Anfang des Schrecklichen nennt, dass wir noch gerade ertragen. Die alltägliche Welt stellt für uns eine Notwendigkeit[+] der Existenz dar, und sie ist mit ihren Bildern des ursprünglichen Erlebens, die von Generation zu Generation dem Unmittelbaren abgerungen wurden, ein Haus, an dem die ganze Menschheit gebaut hat. Sie ist im eigentlichen Sinne «unsere Welt». Umso notwendiger aber ist es, sich darauf zu besinnen, aus welchen Quellen sich unser Dasein nährt, und wieder Ehrfurcht vor denen zu lernen, denen wir die bequemen und gefahrlosen Bilder verdanken, mit denen wir jetzt gedankenlos hantieren; denn seitdem das Bewusstsein um den gefährlichen Charakter des Unmittelbaren geschwunden ist und wir den eigentlichen Wert der Erfahrungsbilder in Wort und Schrift vergessen haben, sind wir auch geneigt, jene mit dem Maßstab unserer Spielregeln zu messen, die als Erbauer der alltäglichen Welt das Nicht-alltägliche, die Begegnung mit dem Unmittelbaren bestehen mussten.

Nur noch vor dem Ursprünglichen[+], das im künstlerischen Werk Ausdruck und Gestalt gewinnt, stehen wir voll Ehrfurcht und Hochachtung, als fühlten wir dort noch die nicht-alltägliche Wirklichkeit. Die Werke der Natur aber haben wir uns längst gewöhnt, ohne Scheu als billige Schablone oder als sinnlose Zufallsprodukte zu betrachten.

Versuchen wir nämlich die Natur nach finalen Gesichtspunkten zu begreifen, indem wir ihr ein zweckvolles Handeln zubilligen, so erniedrigen wir sie zu dem Alltäglichen, das nach einem irgendwo vorgefundenen Welt seine Zwecke[+] ausrichtet und dann epigonenhaft billige Kopien in Serienfabrikationen herstellt. Die Verfechter der Finalität des Organischen sind sich des Widerspruchsvollen ihrer Vorstellung nicht bewusst, das darin liegt, dass sie von Zwecken[+] reden und die Bilder vergessen, die diese voraussetzen.

Darum ist die Vorstellung einer rein mechanischen Natur, deren Erzeugnisse als statistisch zu erklärende Zufallsprodukte sich stoßender Materieteilchen entstanden sind, in sich konsequenter, wenn auch in ihrer Konsequenz nur absurder.

Eine Wirklichkeit, in der die Schöpfungen der Natur als Werk betrachtet werden, verzichtet auf die sinnlosen Erklärungsversuche des Unerklärlichen, wie sie eine moderne wissenschaftliche «Mythologie» betreibt. Für sie bedeutet die Entstehung des Werkes das Geheimnis, dessen Gesetzmäßigkeit in den Sinnbezügen beschlossen liegt, die das Werk offenbart.

Wenn wir so das Wesen der beiden Wirklichkeiten, der des Werkes und der der Wirkung gefasst haben, sehen wir auch, dass die exakte Naturwissenschaft unfähig ist, uns eine Erkenntnis der sinnlichen Welt zu vermitteln; denn die sinnliche Welt ist ja gerade das, was Sie aus ihrem System eliminiert. Eine Naturwissenschaft also, die es mit den konkreten Werken der Natur zu tun hat, kann niemals die Bestimmung haben, exakte Naturwissenschaft zu werden.

2. Die physikalische Methode als ursprünglicher Drang

Wir haben gesagt, dass die physikalische Methode und deren ideale Wirklichkeit nicht aus etwas anderem, weder dem ursprünglichen Erleben der konkreten phantastischen Szenen nach den Bildern der schematisierenden Vorstellungen abgeleitet werden kann, sondern unabhängig von diesen «da» ist. Auch ihr liegt ein ursprünglicher Drang zugrunde, der durch die physikalische Methode das Verhalten des Menschen bestimmt.

Vielleicht erscheint es uns widerspruchsvoll, diesen Drang zum Abstrahieren, zum Ableiten des Erfahrenen aus dem Bekannten auf eine Stufe mit dem Drang zu stellen, der sich in den phantastischen Szenen der sinnlichen Welt manifestiert, und doch erweist sich der zwingende Charakter der physikalischen Methode darin, dass sich der nach Zwecken[+] wirkende Mensch keinen Augenblick dieser Methode entziehen kann, sondern in jedem Moment seines Handelns durch sie gebunden bleibt. Der ursprüngliche Charakter dieser Methode kommt auch in dem axiomatischen Charakter der physikalischen Grundsätze unmissverständlich zum Ausdruck, die man sich vergebens bemüht, aus etwas anderem abzuleiten.

Wir können also die physikalische Methode begründet auf einen ursprünglichen Drang zurück führen; denn niemand wird auf den Gedanken kommen, die Grundsätze der Physik für eine Erfindung des Menschen zu erklären. Sie schlagen ihn viel mehr in ihren Bann, sowie er dem Drang zum physikalischen Wirken unterliegt, und stellen ihn als rechnendes Subjekt in eine Welt quantitativer Objekte.

Gerade wenn wir unser Augenmerk auf die Entwicklung der Physik als Wissenschaft lenken, wird es deutlich, dass die physikalische Wirklichkeit keinen von Anfang an fest vorliegenden Bereich darstellt, aus dem wir Maßstab, Zirkel und Logarithmentafel nur zu nehmen brauchen, um uns ihrer zu bedienen, sondern dass alles was sie ist, wie jede vorwirkliche Szene erst im Laufe einer Entwicklung entstanden ist, in der sich ein Drang manifestiert. Dieser Drang ist der Trieb zu «bewirken», und sein szenisches Gesetz ist die physikalische Methode, die gerade darum, weil sie das Gesetz einer in ihrer Entwicklung begriffenen Szene darstellt, immer klarer und deutlicher zum Vorschein kommt, je weiter die Szene fortschreitet, der idealen Wirklichkeit entgegen. Die umwälzenden Erkenntnisse der modernen Physik stellen nur einen Schritt auf diesem Weg von der primitiven Wirklichkeit zur idealen Wirklichkeit dar, in der sich die Methode rein manifestieren will. Was dem physikalischen Forscher widerfährt, ist im Grunde sehr einfach: Die Wirklichkeit, in der er aufwuchs, ist plötzlich nicht mehr wirklich. Es widerfährt ihm etwas, das die gewohnte, überlieferte Welt seines bisherigen Forschens zerreißt und ihn wieder unter das Gesetz des lebendigen Drangs stellt.

Das Wechselspiel zwischen Vorgestelltem und Wahrgenommenem, aus dem die alltägliche Wirklichkeit gespeist war, ist für ihn gestört. Ihm tritt plötzlich eine Wahrnehmung entgegen, für die sich trotz allen Suchens kein Vorstellungsschema finden lässt, das die Wahrnehmung zu einem alltäglichen Gegenstand ergänzt: Er steht vor einer vorwirklichen Erfahrung.

Diese besteht nun keineswegs aus einer Summe einzelner Sinnesempfindungen, wie die Positivisten uns einreden wollen – eine Wahrnehmung einzelner Sinnesempfindungen ist immer reine Konstruktion –, sondern sie besteht aus einem Zweifel, aus einer Frage und erst in diesem Zweifel, in dieser Frage erscheinen die einzelnen Sinnesempfindungen in der Einheit einer neuen Wahrnehmung. In diesem Zweifel aber, der den Forscher ergreift, kündigt sich die Gewalt des neuen ursprünglichen Wissens an, welche ihn und seine Welt verwandelt. Die alltägliche Wirklichkeit zerbricht – denn in ihr findet sich nichts, das den Zweifel befriedigen könnte, und der Forscher wächst[+] in ein neues Wissen und eine neue Wirklichkeit hinein, mit allen Ängsten[+], Erschütterungen und Abenteuern, denen wir in der Vorwirklichkeit des Phantastischen ausgesetzt sind. Die neue Wirklichkeit entsteht als – Wahn.

Nirgends ist hier Willkür oder planloses Herumprobieren mit vorliegenden Objekten, womit wir so leicht die Tätigkeit des Forschers oder Erfinders verwechseln, sondern immer ist der Forscher an das Gesetz der Szene gebunden, die sich entfalten will. Die physikalische Methode bestimmt in jedem Augenblick die Richtung der Experimente und die Gültigkeit der Resultate. Und so entsteht schließlich –als Geburt aus dem Unmittelbaren – das neue Wissen und die neue Wirklichkeit. Nirgendwo lässt sich das so deutlich verfolgen wie in der Auflösung der klassischen oder euklidischen Physik in die neue Physik der Quantenlehre.

In diesem Sinne ist also die objektive Wirklichkeit nur eine Wahnwelt unter anderen, und die physikalische Methode ist das szenische Gesetz, unter dem sie entsteht. Die Szenenfolge des sinnlichen Wahns reißt ab, die Dimension des Geheimnisses versinkt, und neu und unableitar davon taucht in der Dimension des Rätsels der Wahn der physikalischen Wirklichkeit auf, in der die Vorstellungs-Bilder konkreten Wissens wie Münzen auf ihren Wert geprüft werden, der ihren Kurs in der neuen Welt bestimmen soll.


VII. Schluss

Das ist der Standpunkt, zu dem unsere Untersuchung geführt hat. Fragen wir nun nach dem Ausblick, der sich von dort eröffnet, so sehen wir zunächst Folgendes:

Natur kann niemals als etwas Vorhandenes aufgefasst werden, das schon fertig vor uns liegt, sondern Natur entsteht immer neu in wechselnden Szenen des Wahns. Jedes Mal ist sie darin das noch nie Dagewesene, das plötzlich erscheint und mit seinem Erscheinen uns und die Welt verwandelt. Auch die objektive Wirklichkeit der exakten Naturwissenschaft ist nur eine Möglichkeit[+], in der das Phantastische sich uns offenbart. Sie ist nur ein Teilausschnitt der Natur und das Rätsel nur eine Erscheinungsform des Geheimnisses.

Darum muss eine Naturauffassung, in der Rätsel und Geheimnis gleichgesetzt werden, in sich selbst widerspruchsvoll sein, denn die Natur als physikalische Wirklichkeit deuten, heißt sie mit einer nur beschränkten Möglichkeit[+] ihres eigenen Repertoires identifizieren.

Weil aber in der Wirk-Welt des Menschen der physikalische Forscher als bewirkendes Subjekt einer Natur als Objekt gegenüber tritt, glaubt er die Natur von außen als unbeteiligter Beobachter betrachten zu können und vergisst, dass er auch darin nur eine Figur ihres Spieles bleibt.

Hinter diesem Vordergrund wechselnder Bilder ahnen wir die Vision einer großen allumfassenden Natur, deren schöpferischer Drang die lebenden Wesen geheimnisvoll aus dem Verborgenen aufsteigen lässt als Werke und Werkzeuge ihres Schöpfungswillens.

Wir sehen die sinnliche Welt wie einen Strom vorüber fließen, aus dem Welle um Welle die verschiedenen Szenen des Wahns auftauchen, weiterströmen und uns in ihrem Strudel mit fortziehen. Nur in ihnen sind wir lebendig, nur in ihnen ist Sinn und Gestalt. Aus den Fluten dieses Stroms aber steigt als einziges unter allen Lebewesen der Mensch an die Ufer einer kahlen und steinigen Insel, die Welt der Vorstellung und der physikalischen Wirklichkeit. Er findet hier feste Form und Materie, aber kein Leben.

Diese Insel hat nun das Menschengeschlecht von Generation zu Generation bebaut, und in wohlgeordneten Kanälen fließt jetzt das Wasser des Stromes durch die Fährten und Felder unserer alltäglichen Welt. Aber der Spiegel des Grundwassers steigt und fällt nach unberechenbaren Gesetzen, und mit ihm kann das Leben aus unserer scheinbar so sicheren Landschaft plötzlich zu entschwinden beginnen. Dann veresiegen die Gräben, die edlen Pflanzen verdorren, dann stirbt der Wahn, und die alltägliche Welt wird eintönig und arm. Unter den anspruchslosesten Gewächsen der primitiven Bedürfnisse muss der Mensch dann ein ärmliches Leben fristen.

Jetzt aber drohen andere Gewalten aus dem Unmittelbaren ihn zu vernichten. Stürme fahren von weither über das ungeschützte Gestade, auch sie unberechenbar und nicht vorherzusehen, wie das Steigen und Fallen des Flusses. Sie überfallen die Seelen der Menschen mit ungebändigten Leidenschaften, entwurzeln die dürftigen Sträucher und Pflanzen auf den Klippen und vernichten mit Unwetter und Umsturz die mühsam bebauten Ansiedlungen. Über den im Gewöhnlichen erstarrten Menschen bricht das Chaos herein. Die Natur pflügt ihren Acker. Über den Trümmern einer untergegangenen Epoche aber leuchtet eine neue Zukunft auf, in der neue Menschen vielleicht einmal die geöffnete Erde mit neuem Leben bebauen, das sie dem Unmittelbaren abringen.

Das ist die Vision einer Natur, die grossartig und gewalttätig, segensreich und zerstörend, schrecklich und wunderbar auch den Menschen zu den Figuren ihres Spiel zählt. Ihrem Schoße entquellen die lebendigen Wellen des Stromes, die Stürme der Luft, ebenso wie die einsame Klippe, auf der sie ihr merkwürdigstes Kind, den Menschen angesiedelt hat.

Wir aber sollten lernen, dass wir durch das eintönige Aufnehmen und Abwiegen des steinigen Bodens in Ursache[+] und Wirkung niemals die Gesetze der Natur erkennen, sondern nur die Regel, die sie unserem Handeln als Wirken vorschreibt. In dem lebendigen Wandel der Fluten aber sollten wir ihren Worten lauschen und den Sinn ihrer Sprache zu erkennen suchen.
Thure von Uexküll[+], 'Wirklichkeit als Geheimnis und Auftrag[+]', Die Exaktheit der Naturwissenschaften und die philosophische Erfahrung, Verlag Karl Alber, Freiburg im Breisgau, 1945.

Existenz als Zweck

In einer Ökonomie[+] mit dem universellen Tauschmittel Geld ist das Mittel[+] zur Erreichung irgendwelcher Zwecke[+] oft, aber nicht immer (!) der Erwerb von Geld, wobei die erworbene Geldmenge[+] ein Maß für den damit einhergehenden Handlungsspielraums bzw. der monetären Freiheit[+] (Begriff des Raums der monetären Möglichkeiten) ist. Unter der Benutzung der erworbenen Geldmenge[+] können von der momentan Existenz ausgehend höhere Zwecke[+] erhoben und deren Erreichung angestrebt werden. Fest mit dem Begriff der Existenz ist der Eigentums und Besitzstand verknüpft, der auch als gesellschaftlicher Status bezeichnet wird.

Grundzweck: das Existenzminimum

Grundvoraussetzung zur Erreichung „höherer“ Zwecke[+] ist die Erreichung des Existenzminimums. Das Existenzminium ist ein grundsätzlicher Zweck[+] zu dessen Erreichung Lebensmittel notwendig sind. Zu den Lebensmitteln gehören Nahrung und Kleidung aber auch Obdach und höhere Güter, wie Kommunikation, Energie und Bildung. Das Leben am Existenzminimum ist eine schuldfreie Daseinsform. Die Menschrechte fordern für alle Menschen den Zugang zu vielen der die minimale Existenz sichernden materiellen Güter. Bei den einverleiblichen Gütern ist Eigentum[+] Grundvoraussetzung, wenn durch die Einverleibung die Grundschuld (also das Bedürfnis) ausgeglichen werden soll. Manche andere Existenz sichernde Güter können besessen werden. Zum Beispiel kann eine Wohnung gemietet werden muss also nicht Eigentum[+] sein. Im Kapitalismus[+] erfordert die Rentabilität aus Sicht des Wohnungseigentümers die Verlangung eines Mietzinses[+], der den natürlichen und nutzungsbedingten negativen Zins der Wohnung übersteigt. Ein Mensch, der zur Miete wohnt zahlt also im Allgemeinen mehr, als er zahlen müsste, wenn er Eigentümer[+] der Wohnung wäre.

Die Sicherung der Existenz bedeutet die Aufrechterhaltung eines Stroms von Besitz[+]- und Eigentumsgütern[+], der den natürlichen und und nutzungsbedingten Zerfall und Verbrauch der Güter des Bedarfs kompensiert und der zum Erhalt der Existenz ausreichend ist.

Höhere Zwecke - höhere Formen der Existenz

Im Kapitalismus[+] gibt es oberhalb des Existenzminimums eine kritischen Ansammlung von Gütern durch deren Eigentum[+] oder Besitz[+] in Kombination mit einem entsprechenden Wissen höhere Zwecke[+] mit relativ geringem Arbeitsaufwand[+] erreichbar werden, Vergleich zum Begriff der kritischen Masse. Dieser kritische Eigentums und Besitzstand ist abhängig vom Zinsniveau[+] und der Geldmenge[+], die zum dauerhaften Erhalt des Existenzminimums notwendig sind. Georg Simmel[+] schreibt zu dieser Schwelle in Philosophie des Geldes[+][1, S. ]:

Ich werde noch öfters davon zu sprechen haben, wie - in tiefem Zusammenhang mit der Schwellenbedeutung der Geldquanten - das Geld in ausserordentlich hohen Summen eine besondere, der leeren Quantitätshaftigkeit sich enthebende, gleichsam individuellere Gestalt gewinnt.

Ist diese nur im Kapitalismus[+] existierende ökonomische Schwelle, die zinsneutrale Schicht, von der Simmel[+] auch und gerade im Zusammenhang mit Reizen und Bewusstsein häufig spricht, die Luhmann[+] später mit dem Begriff der Differenz als eine Form des Reizkontrasts und einer Unterscheidung in Verbindung bringt, und ab der ein Mensch dazu in der Lage ist, unter Nutzung des Eigentums[+] und Besitzes[+] ohne Zuschüsse von Außen zu existieren, also die eigenständigen Existenz erreicht, stellt sich die Frage, wonach der so eigenständige Mensch streben soll.

Teleologisches Handeln einer Gruppe

Dies ist eine sowohl individuelle, als auch nicht allgemein beantwortbare Frage. Die Frage nach der Erhebung höherer Zwecke[+] einer Gemeinschaft ist zentraler Gegenstand des öffentlichen Diskurses in einer Demokratie. Im Kapitalismus[+] sollte der Mensch, der die eigenständige Existenz erreicht hat, seinen durch seinen Eigentums[+]- und Besitzstand[+] immer wieder neu entstehenden Reichtum dazu nutzen, die höchsten Zwecke anzustreben.

In einer Gesellschaft, die vor einer Herausforderung steht, deren Erfüllung zum obersten Zweck[+] erhoben wird, sollte zunächst ein Konsens darüber gebildet werden, wie das Wertverhältnis in Bezug auf unterschiedliche Zweck[+]-dienliche Mittel[+] absolut wirklich ist. Mit „absolut“ ist hier eine mehrheitsfähige Bewertung bezeichnet. Die Frage der Bewertung ist im Allgemeinen so komplex wie der Zweck[+] bzw. das die dazugehörige Mittel[+], wobei sich oft die Komplexität des Zwecks[+] an der Komplexität des zu seiner Erreichung notwendigen Mittels[+] bemisst. Die Aufgabe des unternehmerischen Prozesses besteht in der Konstruktion des Mittels[+]. Grundsätzlich gilt, dass bei einem arbeitsteiligen Prozess die Komplexität der Prozessorganisation die Komplexität des Mittels[+] spiegelt. Dezentrale Problemstellungen erfordern dementsprechend dezentrale Arbeitsorganisation[+].

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Querverweise auf 'Teleologische Reihen'

Tim Deutschmann

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