Einen Moment bitte...

www.tim-deutschmann.de

1971 Aufrufe Bewertung

Die Würde des Lebens

In diesem Abschnitt bemühe ich mich um eine physikalische Definition der Würde von Lebewesen. Ich komme aufgrund der elementaren Physik auf den kleinsten Skalen nicht umhin zu sagen, dass die Würde von Lebewesen in komplementärer (gegensätzlicher) Beziehung zu den Mechanismen steht, die der 2. Hauptsatz der Thermodynamik[+] implizit beschreibt.

Beginn der Bezahlwand

Die existierende sichtbare Materie, die laut dem gegenwärtigen Wissensstand der Physik etwa 4,6% der Materie/Energie ausmacht, lässt sich grob in lebendige und nicht-lebendige Materie unterteilen, wobei die Definition einer scharfen Grenze im Detail zugleich schwierig wie interessant ist. Genau an dieser Grenze zwischen Lebendigem und Totem spielen sich die zwei gegensätzlichen Phänomene ab, um die es in diesem Abschnitt geht.

Der Kern der Würde von Lebewesen ist die grundlegende Eigenschaft und Fähigkeit von Materie, sich selbst so zu organisieren, dass Leben daraus entsteht und sich selbst reproduziert, die sog. Autopoiesis[+]. Im Gegensatz dazu hat tote Materie keine Würde. Mit der Beschreibung dieser zwei komplementären Phänomene, der 2. Hauptsatz und der Selbsterhalt des Lebens, hält man von einem theologischen Standpunkt aus betrachtet das in der Hand (begreift man), was man vielleicht als die „göttlichen Prinzipien der Zerstörung und der Schöpfung” bezeichnen könnte, die rechte und die linke Hand Gottes, wenn man will.

Noch eine zweite Motivation zur Definition des folgenden Begriffs von Würde möchte ich hier geben.

Mit dem Zinsmechanismus, der seit Tausenden Jahren die Ökonomien[+] des Menschen treibt, haben wir dem (toten) Geld die Fähigkeit zu wachsen[+] einverleibt, denn halten die Schuldner den Vertrag ein und zahlen den Gläubigern den Zins, dann entstehen dem Geld Nachkommen, die Zinsen. Ein eingehaltener Leihvertrag mit 0 % Zins kann dementsprechend als Erhalt des Geldes interpretiert werden. Mit dem Zinsmechanismus verleiht der Mensch dem Geld die Fähigkeit zur Reproduktion und also quasi Würde, doch ist diese Würde keine intrinsische Eigenschaft des Geldes, sondern wir Menschen schreiben sie dem Geld zu. Das Geld vermehrt sich nicht wirklich von alleine, „arbeitet nicht“, wie gerne behauptet wird, sondern durch seinen Verleih wird es in ein mehr oder weniger komplexes Geflecht menschlicher Austauschbeziehungen eingenistet, z.B. in ein Unternehmen, das ein Darlehen aufnimmt, und entzieht diesem Geflecht den Zins als Teil des Mehrwerts. Daher verleihen der Zinsgläubiger und -schuldner dem Geld seine Würde.

Nun haben Beziehungen aber zwei Seiten. Der Zins wird nicht aus dem Nichts erschaffen, sondern er ensteht aus der Tilgung einer aus dem Nichts erschaffenen Zinsschuld. Der Zins wird der Umwelt des sich reproduzierenden und wachsenden[+] Geldes entnommen, dort quasi als das Produkt menschlichen und nichts-menschlichen, doch lebendigen Stoffwechsels[+] extrahiert. Ein Teil des lebendigen Stoffwechsels[+] dient also bei wachsender[+] Geldmenge[+] zunehmend nicht mehr dem Selbsterhalt des Lebens, sondern der Würde des Geldes.

Das Leben ist bei wachsender[+] Geldmenge[+] zunehmend fremdbestimmt und in seiner Würde, der Fähigkeit zum Selbsterhalt, beeinträchtigt, was wir in der Abhängigkeit der übergroßen Mehrheit der Menschheit vom Eigentum[+] einer kleiner und mächtiger werdenden Minderheit und im Artensterben[+] beobachten. Die Lebewesen in der Umwelt des Geldes sind also nicht nur der natürlichen Erosion ausgesetzt, beschrieben durch den Hauptsatz der Thermodynamik und beobachtbar an der Alterung alles Lebendigen, sondern von ihnen frisst bei wachsender[+] Geldmenge[+], zunehmender Einnistung des Geldes in die menschlichen Beziehungen und immer weiterem Vordringen der "zivilisierten" Menschheit in die Lebens- und Rückzugsräume der übrigen Spezies nicht nur das universelle Raubtier Zeit[+], sondern über den Zinsmechanismus auch noch der Reproduktionsvorgang der "Kunstspezies Geld".

Die Einschränkung der Selbstbestimmung der Lebewesen in der Umwelt des Geldes bestehen darin, dass sie vom Menschen genutzt werden. Sie werden zu Nutzwesen der Menschwirtschaft. Mit zunehmender "Reife" des kaptialistischen Prozesses, die auch im Grad der Verflechtung des Geldes mit der zivilisierten Menschheit und des Eingedrungenseins in alle realen Austauschbeziehungen gemessen werden kann, stellt sich also immer drängender die Frage, ob es eine Art Grenze der Würde von Lebewesen gibt und wo diese liegt, ab wann also Lebewesen außerhalb ihres Nutzens[+] für die "zivilisierte" Menschheit nicht mehr für sich lebensfähig sind.

Die Schwerpunkte dieses Abschnitts können wie folgt festgehalten werden: Es geht um den Zusammenhang zwischen der Entropieänderung[+] und dem Zinsmechanismus, das Wachstum[+] von Lebewesen, der als Ordnungs[+]- und Akkumulationsvorgang[+] begriffen werden kann, und also um die Entropieänderung[+] lebendiger Prozesse, die auf den ersten Blick scheinbar negativ ist, da Lebewesen sich offensichtlich "ordentlich" halten, obwohl der 2. Hauptsatz beschreibt, dass Materie dazu neigt, unordentlicher zu werden – die Entropieänderung[+] "toter Prozesse" ist positiv. Fernziel und Motivation ist es, das Wachstum[+] von Lebewesen mit der Kapital-Akkumulation[+], die beobachtbare Evolution[+] realwirtschaftlicher Unternehmungen, aber auch die berufsbedingten Handlungsweisen mit der natürlichen Evolution[+] und schließlich die kapitalistische Menschheit mit einer Art parasitärem Superorganismus, einer „Makrobe“, einer Art lebender Gottheit vergleichbar zu machen.

The physics of entropy and the origin of life; How did complex systems emerge from chaos? Physicist Sean Carroll explains.

Entropie-Änderung bei lebendigen und toten Systemen

Physik beschreibt zunächst einmal nur tote Materie. Der erste Hauptsatz, die Energie- und Massenerhaltung, gilt für alle Formen von Materie im ganzen Universum, so die bisher nicht widerrufene Annahme. Der zweite Hauptsatz besagt, dass die Entropieänderung[+] geschlossener, d.h. auch vollständig beschriebener, Systeme immer nur positiv ist. Entropie[+] ist ein Maß für Unordnung. Eine positive Entropieänderung[+], bedeutet, dass die Unordnung zunimmt. Der zweite Hauptsatz gilt streng genommen erst einmal nur für tote Materie und geschlossene Systeme, doch wird der Begriff der Entropie[+] nach Pionierarbeiten wie der von Erwin Schrödinger in seinem Buch What Is Life?, und Physikern der Gegenwart wie z.B. Jeremy England auch auf lebendige Systeme angewandt.

Der Begriff der Entropie[+] ist zentral im Gebäude der Thermodynamik. Er bedeutet nach einer gängigen Interpretation in etwa Unordnung oder auch Strukturlosigkeit. Tote Materie hat die Eigenschaft, dass sie sich nicht von alleine ordnet, sondern eher von alleine „unordentlich“ wird. Die Entropieänderung[+] toter Materie ist also positiv. Das Ungleichheitszeichen des zweiten Hauptsatzes der Thermdynamik besagt dieser Interpretation zufolge, dass in geschlossenen Systemen die Entropie[+] höchstens erhalten bleibt, i.d.R. jedoch mit der Zeit[+] zunimmt. Die Entropiezunahme[+] der Natur erkennen wir in den Phänomenen der Alterung, des Verschleißes, der Abnutzung bei toter Materie, des Alterns, Gammelns, Rottens und Schimmelns bei lebendigen oder schon toten Lebewesen. Die Gesetze der Physik beziehen sich i.d.R. auf tote Materie. Die Phänomene der Dissipation[+], der Diffusion, der Erosion und allgemein das Streben ins Gleichgewicht sind Ausdruck der dahinterliegenden Natur"kraft" der Entropiezunahme[+].

Zunächst versuche ich, die nahezu sicher als tot zu bezeichnende Materie von der übrigen Materie abzugrenzen. An der (Komplexitäts-) Grenze dieser Betrachtung befindet sich derjenige physikalische Prozess, der im Folgenden als Schöpfung bezeichnet wird. Schöpfung fasse ich im Wesentlichen in einer Art Reproduktionsvorgang (vgl. Reproduktionskopplung zwischen Kapital und der kapitalistischen Menschheit) auf, der sich selbst zur Ursache[+] hat, sich selbst also auch Wirkung ist, dessen Antrieb oder Betrieb endogen (innen entstehend, im Gegensatz zu exogen, außen entstehend) ist. Reproduktion ist eine Art „Resonanzphänomen[+]“ jedenfalls etwas Zyklisches, in dessen Kern eine (vitale) Selbstbezogenheit (vgl. zum Begriff der Selbstreferenzialität in der Systemtheorie) steht. Der Lebenswille eines Lebewesens stellt sich (auch) darin dar, dass sich das Lebewesen selbst Mittel[+] zu seinem Fortbestand ist, dass es Ursache[+] sein will für sein weiteres Bestehen und das Bestehen seiner Nachfahren. Tote Materie grenzt sich durch das Fehlen der Eigenschaft der endogen verursachten Reproduktion von lebendiger Materie ab, ist daher an sich relativ „langweilig“, dafür jedoch leichter zu beschreiben als lebendige Materie.

Tote Materie, Wechselwirkung von Atomen, Molekülen und Riesenmolekülen und die Schöpfung

Die gesamte Materie der Erde unterliegt der Gravitation, den Scheinkräften, hervorgerufen durch die Erdrotation und der Strahlung durch die Sonne. Die sogenannte Kontinuumsmechanik beschreibt die Bewegungen und die Deformation gasförmiger, flüssiger und fester toter Materie, nämlich die Atmosphäre, mit ihrem Klima die Ozeane, Meere und Flüsse mit ihren Strömungen und Turbulenzen und die thermischen und friktiven Wechselwirkungen der Landmassen mit den flüssigen und gasförmigen Kontinua.

Innerhalb ihrer kontinuumsmechanischen und thermischen Einbettung in das Gravitationsfeld[+] der Erdmasse sind für die Physik von der einfachsten bis zur komplexesten, aber gerade noch „toten“ Materie vor allem die elektromagnetischen Wechselwirkungen zwischen ihren Konstituenten bestimmend und dominierend. Die Chemie ist die Naturwissenschaft, die die Beobachtung und die mathematische Beschreibung dieser elektromagnetischen Wechselwirkungen zum Gegenstand hat. Die anderen beiden Kräfte der Natur, die elektro-schwache und die starke Wechselwirkung spielen auf der Betrachtungsebene gewöhnlicher, makroskopischer und mikroskopischer Prozesse lebender Materie praktisch keine Rolle.

Erster und zweiter Hauptsatz: Energie und Massenerhaltung und Entropieänderung

Die Thermodynamik bildet einen großen Teil des mathematisch-theoretischen Fundaments unseres gesamten technischen Wissens. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik[+] geht auf Heraklits Flusslehre zurück. Wir Physiker nennen es das Prinzip der Irreversibilität, den immer positiven Entropiefluss. Hier am 27.07.2018 zitiere ich Georg Simmel[+], einen der drei Begründer der deutschen Soziologie[+], 1901 in "Philosophie des Geldes[+]", zum zweiten Hauptsatz und dem im Gelde erschaffenen künstlichen Perpetuum Mobile.

Davon ausgehend, dass die ersten beiden Hauptsätze der Thermodynamik fundamentale Bilanzen und Erosions- und Diffusionsprozesse beschreiben, können sie in Form der Energie- und Massenerhaltung sowie als Satz über die Zunahme der Entropie in Parametern von Wachstumsgesetzen[+] ausgedrückt werden. Zum ersten Hauptsatz gehören demzufolge Erhaltungsgrößen der Masse und der Energie, und der zweite Hauptsatz ist in negativen Exponenten von Wachstumsgesetzen dargestellt.

Man kann die Entropie[+] implizit aus dem ersten Hauptsatzes ableiten über ein Integral über die Zeit[+]. Die entscheidende Frage ist immer, was man als das (tote!) System betrachtet und wie genau seine Grenze aussieht. Die Frage der Grenzziehung ist bei natürlichen Oberflächen eine höchst komplexe. Wir sind uns jedoch darüber einig, dass der zweite Hauptsatz auch für Lebewesen gelten muss und dass er sich im Altern und Sterben und schließlich in der Vergänglichkeit aller Materie darstellt.

Keine Umkehr möglich: Die Nichtgleichgewichtsthermodynamik von werdendem und verbleibendem (sich erhaltendem) Lebensartigem. Hier ist das berühmte Werk "What is Life?" von Erwin Schrödinger[+] zu den physikalischen Grundlagen der Molekularbiologie[+].

Negativzins der Natur

Im Vorgriff auf spätere Ausführungen sei hier in diesem Zusammenhang auch der Zins als der Exponent eines Wachstumsgesetzes, nämlich dem der Geldmenge[+], erwähnt. Umgangssprachlich formuliert kann demzufolge gesagt werden, dass das Universum bzw. Gott „Zins” von aller Materie (lebendiger oder toter) nimmt, wogegen sich das Lebendige wehrt, indem es das von der Zeit[+] Entrissene ersetzt und wohlmöglich hinzubaut (Subsistenz, Reproduktion und Wachstum[+]). Im Folgenden wird der Ausdruck Negativzins der Natur synonym für den auf den zweiten Hauptsatz zurückführbaren negativen Wachstumsexponenten[+] der betrachteten (toten, materiellen) Struktur verwendet.

An der Irreversibilität physikalischer Prozesse, also an der Zunahme der Entropie[+] der betrachteten Systeme, ist der Fortschritt der Zeit[+] erkennbar, weswegen der Negativzins der Natur umgangssprachlich auch als Zahn der Zeit[+] (u.a. Shakespeare) bezeichnet wird. Der negative Zins ist demzufolge als das Phänomen des Alterns, der Erosion, des Zerfalls, des Verschimmelns, Vergammelns, Verrottens überall sichtbar. Der Negativzins in der Natur bewirkt eine ständige Umverteilung von geordneten Strukturen, lebendigen wie toten, weg. Heraklit formulierte diese Beobachtung im Rahmen seiner Flusslehre in dem Satz panta rhei[+], „alles fließt“.

Die Simulation der thermokinetischen Dynamik von Riesenmolekülen aus Zellen von Lebewesen, deren Struktur bekannt ist, liefert faszinierende Blicke auf die Frage, was eigentlich das Leben ist. Lebewesen bestehen im Kern aus an sich toten Molekülen, die in ihrem thermokinetischen („zufälligen“) Zusammenspiel das hervorbringen, was wir als Lebendigkeit bezeichnen. Lebendigkeit ist in diesem Sinn komplexe physikalische Wechselwirkung oder, in anderen Worten, Geist.

Das Phänomen der Lebendigkeit

Für lebendige Materie gilt der zweite Hauptsatz scheinbar nicht so wie für tote Materie, denn das Wachstum[+] eines Lebewesens ist ein Ordnungsvorgang[+]. Die Entropieänderung[+] eines lebendigen Prozesses ist scheinbar negativ! Dies gilt nur für den Raumbereich des Lebewesens, also seinen Körper, jedoch nicht für den Raumbereich, der die relevante Umwelt und das Lebewesen einschließt. Lebewesen produzieren also durch ihren Stoffwechsel[+] so viel Entropie[+], dass insgesamt der zweite Hauptsatz doch erfüllt ist.

Zum Nachweis der Behauptung kann man sich eine hermetisch abgeschlossene Box um das Lebewesen herum denken. Ist die Box klein, dann stirbt das Lebewesen nach kurzer Zeit[+], wenn alle Ressourcen innerhalb der Box verbraucht sind. Ist die Box größer, dann dauert das Sterben ein wenig länger, kann jedoch unter Umständen lange hinausgezögert werden, unter Umständen sogar über mehrere Generationen. Doch wird das Sterben nur aufgehalten werden können, wenn es eine Energiequelle innerhalb der Box gibt bzw. einen konstanten Zufluss von Energie in die Box hinein. Für das geschlossene 'System Erde' ist diese Energiequelle die Sonne.

Es gab am Anfang der 1990er Jahre ein Experiment, um zu testen, ob es möglich ist, einen geschlossenen Stoffkreislauf für eine interstellare Reise mit einem Raumschiff aufzubauen. Das Experiment und sein Nachfolger hießen Biosphäre 1 und 2.

Lebewesen sind geordnete Materieansammlungen, wobei sich Sinn und Zweck[+] der Ordnung[+] aus den reproduktiven Bedürfnissen des Lebewesens ergeben. Sie bemühen sich ständig darum, durch Stoffwechsel[+] und Einbau der von außen aufgenommenen Materialien und Stoffe in die innere Struktur darum, die innere Ordnung[+] aufrecht zu erhalten. Das Lebewesen kann seinen Lebensprozess, seine Ordnung[+] und Struktur nur dadurch aufrecht erhalten, dass es seinen Stoffwechselvorgang[+], also den Stoffaustausch über (die) seine (System-) Grenze hinweg, aufrechterhält und die damit akkumulierte[+] Materie gemäß seinem im Inneren vorhandenen Bauplan in seine Struktur einbaut oder diese mit der akkumulierten[+] Materie "repariert".

Für die Frage nach der Netto-Entropie[+]-Bilanz des lebendigen Prozesses ist der räumliche Bereich, in dem die Entropieänderung[+] gemessen wird, entscheidend. Zieht man die Grenze der Betrachtung an der Körpergrenze des Lebewesens, dann scheint der 2. Hauptsatz verletzt, weil innerhalb der Grenze die Ordnung[+] erhalten bleibt. Erst wenn man den Lebensraum und die also die Nahrungsgrundlage des Lebewesens in die Betrachtung einbezieht, ist der 2. Hauptsatz erfüllt und die Entropieänderung[+] nimmt zu.

Während der Wachstumsphase[+] der Lebewesen nehmen sie von ihrem Lebensraum mehr als sie ihm geben. Sie akkumulieren also, um zu wachsen[+]. Mathematisch ausgedrückt "nehmen sie Zins von ihrem Lebensraum", während sie wachsen[+]. Ihre Wachstumsrate[+] und ihr Zuwachs werden durch einen positiven Exponenten beschrieben.

Die adulten Lebewesen bemühen sich sicherzustellen, dass die Wachstumsrate[+] der Nachkommen insgesamt positiv ist, bis der Nachwuchs seinen Lebensprozess selbstständig aufrecht erhalten kann und dem Negativzins, also den Erosivkräften der Umwelt, widerstehen kann. Junge, nicht-adulte Lebewesen sind jedoch im Hinblick auf ihre Vital- und Abwehrkräfte noch nicht so stark wie adulte. Heranwachsende[+] Lebewesen können dem Negativzins der Umwelt, dem Erosivcharakter des Universums bestehend in der Witterung, dem Angriff durch chemische Radikale in der Umwelt und in der Nahrung noch nicht so standhalten wie adulte Lebewesen.

Ab der Mitte ihres Lebens erzeugen Lebewesen durch Fortpflanzung eine jüngere und mutierte Mischversion je eines männlichen und weiblichen Individuums der Population. Auf diese Weise haben Lebewesen einen Weg gefunden, den Zerfall, die Erosion, also den Negativzins, der jedes Individuum einer Population irgendwann sterben lässt, durch Fortpflanzung zu überwinden. Ein Teil der Erbinformation, das vor dem Zerfall zu Bewahrende, lebt in den Nachkommen weiter.

Tote, mit dem Lebendigen unverbundene Materie hingegen zerfällt vollständig. Ein totes Stück Materie, wie z.B. ein Stein, zerfällt, wird zu Sand, der langsam weiter zerfällt bis fast nichts mehr von ihm übrig ist. Ein Stück Eisen am Meer rostet, bis das Eisenoxid sich überall hin verteilt hat. Ein ehemals lebendiges Stück Materie, wie z.B. ein Stück Holz verrottet und wird vollkommen von Pilzen, Insekten und Mikroorganismen verstoffwechselt. Eine (Tier-) Leiche verwest, indem Insekten ihre Eier hineinlegen und so ihren Nachkommen mit dieser Nahrung zum Leben verhelfen.

Lebewesen verbringen die Mitte ihres Lebens mit der Vorbereitung des Nachwuchses auf das Leben, bevor sie im letzten Drittel des Lebens langsam abbauen und dann irgendwann dem Negativzins erliegen, sterben und dann tot sind, sobald der Geist den Körper ganz verlassen hat.

Das Leben hat also einen Weg gefunden, den Negativzins zu überwinden, nämlich den Selbsterhalt, die Fortpflanzung und erfolgreiche Aufzucht der Nachkommen. Über die Anzahl der Nachkommen einer Population und über ihr Fortbestehen entscheidet das Gleichgewicht zwischen der Population und der Umwelt. Es findet aufgrund der Eigenschaften der Lebewesen, des verfügbaren Nahrungsangebots und den sonstigen Umweltbedingungen, wie z.b. der Konkurrenzsituation mit anderen Arten eine Selektion[+] statt. Die am besten an die Umweltbedingungen Angepassten überleben und zeugen Nachkommen, die wiederum die Eigenschaften enthalten, die die Eltern überlebensfähig machten.

Im Moment hängt der Streit der Kreationisten und der Evolutionstheoretiker[+] u.a. an der Frage wie Flagella entstanden ist. Ich halte diese Frage ganz ehrlich gesagt für ein „Luxusproblem der Erkenntnistheorie”, eine blödsinnige Diskussion. Ich betrachte die Arbeit[+] dieses Wissenschaftlers als den Hinweis für das Zutreffen der These, dass es vor der Zinsnahme des Menschen vom Menschen nur „einen einzigen Kapitalisten“ gab, der das Leben erschaffen hat, nämlich dieses Universum mit seinen Regeln, dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik[+] oder eben, mit anderen Worte „Gott”.

Die Grenze zur Esoterik

Lebewesen betreiben offensichtlich „Entropie[+]-Management“. Die Evolution[+] beruht letztlich im Kern darauf, Entropieflüsse[+] zu kontrollieren. Die Notwendigkeit[+] dazu ergibt sich aus der Gegebenheit des ersten und zweiten Hauptsatzes. Die Fähigkeit, die Entropie[+] zu kontrollieren, ist eine Entgegnung des ersten und zweiten Hauptsatzes, die die zeitweilige Überwindung des Gesetz des Zerfalls bedeutet und also das Leben ermöglicht.

Der Zerfall, die Desintegration, die Erosion, all das ist etwas Zerstörerisches. Das Gegenteil von Zerfall ist eine Form von Zusammenhalt und Wiederzusammenfügung. Das Leben und die Liebe sind die Antwort auf den Tod und den Hass. Der Prozess des Lebens ist also eine Art „Resonanzphänomen[+]“, bei dem die aufgrund der Naturgesetze[+] für tote Materie zu erwartenden Entropieflüsse[+] immer wieder umgekehrt werden, um einen Abfluss von Ordnung[+] nach Außen bzw. einen Zufluss von Unordnung nach Innen abzuwehren.

Die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung[+] und Struktur ist die Selbstliebe, das Sich-selbst-beieinander-Halten und Zusammen-Nehmen. Die Selbstliebe ist der notwendigste Ausdruck dieser Resonanz[+]. Zur Selbstliebe gehört die richtige Ernährung und das Wissen darum, wie man seinen Körper führen muss, damit seine Struktur und Ordnung[+] erhalten bleibt, also die Unordnung draußen bzw. auf einem verträglichen Niveau bleibt. Zur Selbstliebe gehört auch, in einem zeitlich erweiterten Zweck[+] des Fortbestands über das Leben des Individuums hinaus die Erweiterung des Selbsts um das Selbst eines zweiten Individuums. Zur Erreichung dieses Zwecks[+] erweitert das Individuum seinen Selbstbegriff um ein zweites Individuum mit entgegen gesetztem Geschlecht, das es zur (inter-) sexuellen Fortpflanzung benötigt. Die Erweiterung des Begriffs der Selbstliebe enthält die Pflege der Paarbeziehung des daraus entstehenden Nachwuchses. Alles signifikant relevante, akkumulierte[+] Wissen wird aus dem Gedächtnis an den Nachwuchs weiter gegeben und so Körper und Geist erhalten. Gedächtnis ist bei diesem Vorgang nicht nur die Summe der Erinnerungen, das Wissen und die Erfahrungen, also der Geist und seine physische[+] Einprägung in das Gehirn, sondern auch das genetische Gedächtnis, die physische[+] Erinnerung an die genetischen Vorfahren.

Warum Körpermasse Energie enthält

Wenn man sich also klar macht, auf welche Weise alle Lebewesen Entropiemanagement[+] betreiben und praktisch versuchen, durch Stoffwechsel[+] ihre innere Ordnung[+] aufrecht zu erhalten, sich also zu erhalten (Subsistenz, Reproduktion), dann versteht man, dass die Körpermasse von Lebewesen der über die Lebenszeit integrierten NETTO Stoffwechselleistung[+] entspricht und also ebenfalls die Einheit Energie hat. Ich mache mir das wie folgt klar: Was ich esse, um am Leben zu bleiben, hat gelebt und gestoffwechselt wie ich. Stoffwechsel[+] ist aber die allgemeinste Definition der Arbeit[+]. Also verleibe ich mir, wenn ich esse, die in der Körpermasse der Nahrung akkumulierte[+] Lebensstoffwechselleistung, also die über die Lebenszeit integrierte Stoffwechselleistung[+] der ehemals lebendigen Nahrung, ein. Arbeit[+] ist aber Energie, und also bestehen alle Lebewesen aus Energie.

Nimmt man unsere Körper bis ins vorläufig Letzte, in Atome, auseinander, findet man nur Totes. Wie kann aber Leben existieren, wenn doch Leben die Voraussetzung für Leben ist? Man findet hier ein Henne-Ei-Problem, die besagte Resonanz[+], nur anders fomuliert. Ist diese Paradoxie nicht auch im Leib-Seele-Problem zu finden und im physikalischen Rätsel der Materie, die zwar begreiflich erscheint, doch nichts anderes als Wechselwirkung ist?

Ich habe diese zentrale Paradoxie des Lebens für mich dadurch verstanden, das ich erkannt habe, dass die ersten Lebewesen aus toter Materie bestanden haben und dass die Eigenschaft 'Lebendigkeit' in ihrer Anordnung, die zufällig so war, dass daraus autonom und autopoietisch[+] reproduktionsfähige Materie, als Leben, bestand.

Das Leben steckt also in der Komplexität der Anordnung von Materie. Wir sind aus komplex wechselwirkendem Totem gemacht. Wer das Leben liebt, der sorgt sich um seine Subsistenz. Fürchten muss man den Tod auch nicht, denn durch ihn wird das Weiterleben überhaupt erst ermöglicht. All zu gerne vergessen wir, dass alles, was wir essen, gelebt hat und für unser "Weitersein" gestorben ist. Wer den Tod nicht akzeptiert, der akzeptiert also auch nicht das Leben!

Man erkennt hier doch sicher, dass wir es mit einer Paradoxie zu tun haben. Die Systemtheoretiker haben uns Wege aufgezeigt, wie wir mit solchen Dingen klar kommen und die Paradoxien logisch einbeziehen können. Das Lebendige an sich ist scheinbar eine physikalische Paradoxie. Es scheint dem positiven Entropiefluss[+] widerstehen zu können, weil es (sich) ordnet!

Ich denke, dass das Problem im menschlichen Begriffsvermögen liegt. Wir haben Schwierigkeiten mit unbegreifbaren Phönomenen, die nicht von allem Übrigen abgrenzbar sind. Nur in unserem menschlichen Geist können wir Dinge als unabhängig von anderen betrachten. Die Natur lehrt uns in allen Details und jeder bisherigen Tiefe, dass dies ein Irrglaube ist. Das fängt ja schon bei der Messung an. Die Frage, ob etwas unabhängig von einer Beobachtung existiert, ist irrsinnig. Ihre Antwort ist paradox. „Es gibt kein Universum ohne seinen Beobachter”, sagen die radikalen Konstruktivsten.

Würde, Freiheit, Wollen und die Angst vor dem Tod

Totes hat keine Würde, nur Lebendiges hat Würde. Eine Sanddüne ist tot. Sie hat keinen Willen. Dass sie wächst[+], ist Wirkung äußerer (extrinsischer) Bedingungen und nicht Folge eines intrinsischen Wollens. Es ist durchaus entscheidend, ob die Handlung eines Etwas intrinsisch oder extrinsich motiviert ist, denn immerhin ist es gerade der (intrinsische) Wille zum (Über-) Leben, der lebendige von toter Materie unterscheidet. Ein wesentlicher Teil dieser Würde ist der Wille zum Überleben. Hört man auf zu essen, zu trinken oder zu atmen, dann wird man diesen stärksten aller Willen kennenlernen.

Ein großer Teil der intrinsischen Motivation von Lebewesen steht mit dem Begriff des instinktiven Triebes in Verbindung. Es gibt keinen stärkeren Instinkt als den Überlebenswillen. Die Forderungen dieses Urinstinkts[+] erscheinen als Zwang[+], sind aber letztlich intrinsisch motiviert. Wille und überlebenswichtige Teile des Ego sind daher Teil der Würde. Wer meint, dass der Eigenwille „überbewertet” sei, erkennt Lebewesen ihre Würde ab.

Würde ist das, was Lebendiges von Totem unterscheidet. Das kann nur das sein, was man als den Geist des Lebendigen bezeichnet, also die hyperkomplexe physikalische Wechselwirkung der Bestandteile lebendiger Materie mit sich selbst. Die Würde findet ihren Ausdruck auch in der "biochemischen Steuerung" des lebendigen Organismus. Das Wort "Steuerung" trifft es hier nicht ganz, denn diese Prozesse sind im Wesentlichen autopoietisch[+] und werden nur bedingt durch die Umwelt und das Bewusstsein gesteuert. Man nimmt einem Lebewesen die Würde, indem man ihm die Fähigkeit nimmt, sich selbst zu erhalten (Subsistenz), z.B. indem man ihm seinen Willen bricht oder die Verfolgung dieses Wollens unmöglich und es willenlos macht.

Es ist auch vollkommen klar, dass ein Lebewesen niemals unabhängig von seiner Umgebung existieren kann. Genau darin steckt seine Abhängigkeit und Heteronomie, und deswegen gibt es keine absolute Freiheit[+]. Erich Fromm spricht in diesem Zusammenhang von "primären Bindungen", aus denen wir uns vor langer Zeit[+] zurückgezogen haben. Im Alten Testament ist diesbezüglich vom "ewigen Bund" die Rede. Ich vermute, dass damit unsere Austauschbeziehungen zu den anderen Spezies gemeint sind. Infolgedessen gehört zum Schutz der körperlichen Integrität und des Fortbestands eines Lebewesen auch der Schutz des Fortbestandes seiner Umwelt, also der Lebensgrundlage.

In der Physik ist es mit der Wahrheit anders als die meisten vermuten. Wir können beschreiben, was und wie es ist, jedoch nicht warum.

Im Folgenden zitiere ich den Epilog des Buches Was ist das Leben (1944, pdf) von Erwin Schrödinger[+] über die Frage, was das Leben aus seiner Sicht ist und welche Rolle die stetige Entropiezunahme[+] für das Leben spielt. Wir können heute relativ klar lebendige und tote Materie voneinander trennen, doch dass auch lebendige Materie aus toten Atomen besteht, macht das Rätsel um das Wesen des Lebens umso spannender. Neben Paul Dirac und Werner Heisenberg hat 1944 nach dem Studium vedischer Schriften der bekannteste der drei Väter der Quantenmechanik[+] dieses grundlegende Werk zum Verständnis der molekularen Basis des Lebens angefertigt.

Die hier zitierte Textstelle entstammt dem letzten Teil des Buches und widmet sich einer subjektiven philosophischen Betrachtung, in der die Thematik aufgegriffen wird, die z.T. Gegenstand von Platons Phaidon, dem „Sterbeprotokoll” des Sokrates (pdf), ist. Die im Text genannte Zeitmarkt[+] 2500 vor Christus[+] fällt zusammen mit den Lebenszeiten Buddhas (um 500 v.Chr.) und Sokrates' (469 - 399 v. Chr.).

Über Determinismus und Willensfreiheit

Als Belohnung für all die Mühe, die ich auf die Darlegung der rein wissenschaftlichen Seite unseres Problems sine ira et studio verwandt habe, gestatte ich mir hier, meine eigene, notwendigerweise subjektive Ansicht über die philosophischen Schlüsse, zu denen es Anlass gibt, anzuführen.

Nach dem oben Vorgebrachten sind die raum-zeitlichen Abläufe im Körper eines Lebewesens, die seiner Geistestätigkeit und seinen bewusst oder sonstwie ausgeführten Handlungen entsprechen, wenn nicht strikt deterministischer, so doch statistisch-deterministischer Art (auch in Anbetracht ihrer komplexen Struktur und der allgemein anerkannten Deutung der physikalischen Chemie). Dem Physiker gegenüber möchte ich betonen, dass nach meiner Ansicht, die allerdings verschiedentlich nicht geteilt wird, die Unbestimmtheit der Quanten bei diesen Vorgängen keine biologisch wesentliche Rolle spielt, ausgenommen vielleicht durch Steigerung des Zufallscharakters von Vorgängen wie der Reifeteilung, der natürlichen und der durch Röntgenstrahlen hervorgerufenen Mutationen[+] und so weiter - und das ist sowieso unbestritten.

[Man stellte damals fest, dass Röntgenstrahlung das Erbgut verändert.]

Wir wollen diese Behauptung zunächst einmal als feststehende Tatsache betrachten, wie es wohl jeder unvoreingenommene Biologe tun würde, wenn nicht das wohlbekannte unangenehme Gefühl da wäre, das entsteht, wenn man »sich selber als bloßen Mechanismus erklären« soll. Man hat nämlich den Eindruck, dass sie der Willensfreiheit, die durch die unmittelbare innere Erfahrung verbürgt ist, widerspricht.

Unmittelbare Erfahrungen aber, so verschieden und ungleichartig sie auch sein mögen, können sich logischerweise gar nicht widersprechen. Wir wollen daher versuchen, ob wir nicht aus den folgenden beiden Prämissen den richtigen, widerspruchslose Schluss ziehen können:
  1. Mein Körper funktioniert als reiner Mechanismus in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen[+].
  2. Doch weiß ich aufgrund unbestreitbarer unmittelbarer Erfahrung, dass ich seine Bewegungen leite und deren Folgen voraus sehe, die entscheidend und höchst bedeutsam sein können; in diesem Falle empfinde und übernehme ich die volle Verantwortung für sie.
Die einzig mögliche Folgerung aus diesen zwei Tatsachen ist die folgende: Ich - Ich im weitesten Sinne des Wortes, d.h. jedes bewusst denkende geistige Wesen, dass sich als »Ich« bezeichnet oder empfunden hat - ist die Person, sofern es überhaupt eine gibt, welche die »Bewegung der Atome« in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen[+] leitet.

Wenn man einem Kulturkreis angehört, in dem gewisse Begriffe, die bei anderen Völkern einen weiteren Sinn hatten oder haben, eingeengt und spezialisiert worden sind, ist es gewagt, diesen Schluss in so einfachen Worten auszudrücken, wie es die Sache erfordert. Es klingt gotteslästerlich und wahnsinnig, wenn man sich der christlichen Ausdrucksweise bedient [z.B. 1. Korinther, 6:[12-20]] und erklärt: »Also bin ich der Liebe Gott.« Setzen wir uns aber für den Augenblick darüber hinweg und überlegen wir uns, ob die obige Folgerung nicht einem biologischen Beweise Gottes und der Unsterblichkeit zugleich am nächsten kommt.

An sich ist die Einsicht nicht neu. Die frühesten Aufzeichnungen datieren meines Wissens mindestens 2500 Jahre zurück. Seit den frühen großen Upanishaden betrachtet die indische Philosophie die Gleichsetzung...

Atman = Brahman

(das persönliche Selbst ist dem allgegenwärtigen, alles umfassenden ewigen Selbst gleich)

...keineswegs als Gotteslästerung, sondern ganz im Gegenteil als die tiefste Einsicht in das Weltgeschehen. Das Streben aller Vedânta-Schüler war, kaum dass ihre Lippen Worte zu formen vermochten, darauf gerichtet, sich diesen größten aller Gedanken wirklich einzuverleiben.

Auch die Mystiker vieler Jahrhunderte haben unabhängig voneinander und doch in vollkommener Harmonie (den Partikeln eines Idealgases vergleichbar) die einzigartige Erfahrung ihres Lebens in Worten beschrieben, die sich zu dem Satz verdichten lassen:

Deus factus sum (»Ich bin Gott geworden«).

Dem westlichen Denken ist diese Vorstellung fremd geblieben, trotz Schopenhauer und anderen, welche sie vertraten, und trotz aller wahrhaft Liebenden, die beim Anblick des geliebten Wesens gewahr werden, dass Denken und Freuen ihnen gemeinsam und nicht nur ähnlich oder gleichartig sind. Allerdings sind die meisten zu sehr mit ihrem Gefühlsüberschwang beschäftigt, um noch klar denken zu können - und darin sind sie den Mystikern recht ähnlich.

Man erlaube mir einige weitere Bemerkungen. Bewusstsein wird nie in der Mehrzahl, stets nur in der Einzahl erlebt. Sogar in den pathologischen Fällen der Bewusstseins - oder Persönlichkeitsspaltung wechseln die zwei Personen, sie offenbaren sich nie gleichzeitig. In einem Traum spielen wir tatsächlich die Rollen verschiedener Personen zur gleichen Zeit[+], aber nicht ohne zu unterscheiden: Wir sind eine Person und handeln und sprechen als solche unmittelbar, während wir oft ungeduldig die Antworten oder die Reaktion einer anderen Person erwarten, ohne darauf zu achten, dass wir selbst ihr Reden und Handeln gerade so in der Hand haben wie unser eigenes.

Wie entsteht überhaupt die (von den Verfassern der Upanishaden so nachdrücklich bestrittene) Vorstellung der Vielheit? Das Bewusstsein findet sich in engster Beziehung und Abhängigkeit vom physikalischen Zustand eines begrenzten Teil des Stofflichen, des Körpers. (Man beachte die geistigen Veränderungen während der körperlichen Entwicklung in der Pubertät, beim Altern, beim Vergreisen usw., oder man denke an die Wirkungen von Fieber, Rausch, Narkose, Gehirnverletzungen usw.).

Nun gibt es eine große Vielzahl gleicher Körper. Daher liegt es nahe, sich Bewusstsein oder Geist in der Mehrzahl zu denken. Wahrscheinlich teilen alle einfachen und unverbildeten Menschen diese Denkweise mit den meisten westlichen Philosophen.

Von da zum Erfinden von Seelen - von so vielen Seelen, wie es Leiber gibt - ist es kein weiter Schritt, und die Frage liegt nahe, ob sie sterblich sind wie der Leib oder ob sie unsterblich und eines Eigendaseins fähig sind. Die erste Möglichkeit[+] will uns nicht recht eingehen, während die zweite die Tatsachen, auf welche sich die Hypothese von der Vielfalt stützt, einfach vergisst, übersieht oder verleugnet.

Aber es sind schon viel einfältigere Fragen aufgeworfen worden: Haben auch die Tiere Seelen? Man hat sogar gefragt, ob auch die Frauen oder nur die Männer eine Seele besitzen.

Folgerungen dieser Art erschüttern, auch wenn sie nur zögernd gezogen werden, das Vertrauen in die Vielheitshypothese, die allen offiziellen westlichen Glaubensbekenntnissen gemeinsam ist. Verfahren wir nicht noch viel unsinniger, wenn wir zwar ihren groben Aberglauben ausmerzen, aber doch ihre naive Vorstellung von der Vielheit der Seelen behalten und ihr durch die Erklärung »beikommen« wollen, dass auch die Seelen vergänglich seien und mit ihren Leibern zugrunde gingen?

Uns bleibt nur eins übrig: wir müssen uns an die unmittelbare Erfahrung halten, dass das Bewusstsein ein Singular ist, dessen Plural wir nicht kennen; dass nur Eines wirklich ist und das, was eine Mehrzahl zu sein scheint, nur eine durch Täuschung (das indische Maya) entstandene Vielfalt von verschiedenen Erscheinungsformen dieses Einen ist [Begriff des Universums]. Die gleiche Illusion entsteht in einer Spiegelgalerie, und in der gleichen Weise stellten sich der Gauri Sankar und der Mount Everest als ein und derselbe, aber von verschiedenen Tälern aus gesehene Gipfel heraus.

Nun haben wir allerdings den Kopf voll toller Gespenstergeschichten, die uns daran hindern, eine so einfache Lösung anzuerkennen. Man sagt mir z.b., ich könne den Baum da draußen vor meinem Fenster gar nicht wirklich sehen. Durch einen listigen Trick (der erst in seinen verhältnismäßig einfachen Anfangsstadien erforscht sei) werfe der wirkliche Baum ein Bild seiner selbst auf mein Bewusstsein und meine Wahrnehmung betreffe nur dieses Bild. Wenn ein anderer an meiner Seite stehe und den gleichen Baum ansehe, so werde dieser ebenfalls sein Bild auf dessen Seele werfen. Ich sehe meinen Baum und er sieht seinen (dem meinen bemerkenswert ähnlichen Baum), und was der Baum eigentlich an sich ist, wissen wir nicht.

Für diese Überspanntheit ist Kant verantwortlich.

Sobald man aber das Bewusstsein als ein singulare tantum betrachtet, wird die Kantische Betrachtungsweise passenderweise durch die Feststellung ersetzt, dass offensichtlich nur ein Baum da steht und all der Bilderzauber eine Spiegelfechterei ist.

Und doch haben wir alle den unbestreitbaren Eindruck, dass die Gesamtheit unserer persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen eine Einheit bildet, die von derjenigen irgendeiner anderen Person durchaus verschieden ist. Wir nennen diese Einheit unser »Ich«.

Was ist dieses »Ich«?

Bei näherem Zusehen wird es sich meines Erachtens herausstellen, dass es etwas mehr ist, als nur eine Anhäufung einzelner Gegebenheiten (Erfahrungen und Erinnerungen), nämlich sozusagen die Leinwand, auf welcher diese festgehalten sind. Und man wird bei eingehender Selbstprüfung gewahr werden, dass das, was man wirklich unter dem »Ich« versteht, eben jener Grundstoff ist, auf dem sie gesamthaft aufgetragen sind. Es kann geschehen, dass man in ein fernes Land verschlagen wird und alle Freunde aus den Augen verliert und fast vergisst; man wird neue Freunde gewinnen und sein Leben mit diesen ebenso intensiv teilen wie zuvor mit den alten. Die Erinnerung an das frühere Leben verliert im neuen Leben immer mehr an Bedeutung. Man mag dazu kommen, vom »Jüngling, der ich war«, in der dritten Person zu sprechen, und wahrscheinlich steht einem der Held des Romans, den man gerade liest, näher, jedenfalls scheint er einem viel lebendiger und vertrauter. Und doch liegt kein Bruch, kein Todesfall dazwischen. Und selbst wenn es einem geschickten Hypnotiseur gelingen sollte, alle früheren Erinnerungen in einem Menschen auszulöschen, so würde man doch nicht feststellen, dass er ihn getötet hat. In keinem Fall ist hier ein Verlust persönlichen Daseins zu beklagen.

Und das wird auch nie der Fall sein.

Anmerkung zum Epilog

Der hier vertretenen Standpunkt deckt sich mit dem, was Aldous Huxley[+] unter dem sehr geeigneten Titel Perennial Philosophy vorträgt. Sein prächtiges Buch London, Chatto and Windus (1946) vermag nicht nur den Sachverhalt an sich besonders gut zu erklären, sondern auch den Umstand, warum er so schwer verständlich ist und zu leicht Widerspruch erweckt.

Wie der Mensch seit über 6.000 Jahren versucht, selbst an die Stelle des Schöpfers zu treten

Woher kommt der Jugendwahn und warum wollen einige Zivilisationsmenschen den Tod überwinden? Meine Antwort darauf lautet: weil ihnen der Kapitalismus[+] suggeriert, den Zeitfluss[+] umkehren zu können. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik[+], der das Gammeln, Rotten, Schimmeln und Altern mathematisch beschreibt, beschreibt den Negativzins der Natur. Genau dieses Naturgesetz[+] pervertiert der positive Zins und schafft so die Illusion, dass Totes wachsen[+] könne und der Tod überwindlich sei.

Die Einheit des Zinses ist die einer Frequenz, einer Wachstumsrate[+]! Mit dem Zins verleihen wir dem geltenden Toten[+] künstlich Würde. Wir erschaffen also im Kapitalismus[+] eine Art künstliches Lebewesen, eine Art „metaphysische[+] Makrobe”, die uns über unseren Gruppenzusammenhang zu seinem Wachstum[+] beherrscht und uns Lebenszeit in Form von Arbeit[+] zur Tilgung der Kreditzinsen abpresst. So betrachtet ist die kapitalistische Menschheit zusammen mit ihrem Kapital eine Art Super-Organismus, die durch ihren Wachstumsprozess[+] den Wirt, also das Leben in der Umwelt, systematisch verzehrt und vernichtet, denn auch das Geld hat wie die Körpermasse von Lebewesen die Einheit Energie, weil Geld immer durch Arbeit[+] zur Tilgung der Kreditzinsen entsteht: Arbeitskraft[+] integriert über den Weg oder Arbeitsleistung[+] integriert über die Zeit[+]. Wer also Geld hat, kann ihm, indem er es bei positivem Zins spart, sich die über die Zeit[+] zur Tilgung der Kreditzinsen integrierte Leistung, also die Lebensenergie der Zinsschuldner einverleiben.

Im Grunde genommen haben wir Menschen, die wir 6k bis 13k Jahre lang Zinsen genommen haben, so bewiesen und demonstriert, wie der natürliche Schöpfungsprozess funktioniert. Es ist die Art und Weise, wie wir den Gewinn maximieren, welcher die künstliche Evolution[+] erzeugt hat: wir verknappen die Energie – das Geld ist letztendlich ein Äquivalent der Arbeit[+], also ein Äquivalent der Energie die zur Tilgung des Kreditzinses aufgewandt wird – und selegieren Gutes und Böses. Die Knappheit erzeugt den Wettbewerb der Arten, und die Selektion[+] bestimmt, welche Art weiterlebt und welche stirbt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass der wahre Schöpfer das ganz genauso tut. Wenn wir die Evolution[+] also verstehen wollen, dann können wir uns auch die Geschichte des Zivilisationsmenschen anschauen und analysieren, wie wir mit dem Geld umgehen und den Gewinn maximieren und dann diese Erkenntnis durch Übertragung, dazu benutzen, um zu erklären, wie der wahre Schöpfer in der Evolution[+] sein Werk tut.

Was kann man hier mitnehmen?

Die Entropie[+] als ein „Unordnungsmaß“ ist ein Indikator, der anzeigt, ob ein Stück Materie lebendig ist oder nicht. Wachsende lebendige Materie ist ein Ordnungsvorgang[+], hat also für sich negative Entropieänderung[+], wächst[+] also mit positivem Zins. Tote Materie ordnet sich nicht von alleine, hat also von Natur aus einen negativen Zins. Lebewese haben zur Entgegnung des zweiten Hauptsatzes unterschiedliche, spezifische, insgesamt aber ähnliche Formen des „Entropie[+]-Managments“ entwickelt, und in diesen Formen der Selbstbehauptung gegenüber dem Tod besteht ihre Würde.

Die Eigenschaften aller Lebewesen kann man wie folgt zusammen fassen. Lebewesen

Der Biophysiker Jeremy England über das Entropiemanagement[+] von Lebewesen.
Ende der Bezahlwand

Vielen Dank dafür, dass Sie den Artikel bewerten möchten. Es dauert nicht lange.

Beurteilen Sie den Artikel ganz grob, bitte.
Wie ist die Form und Struktur? Ist der Artikel logisch aufgebaut, die Argumente und Begriffe klar und sind die Schlussfolgerungen nachvollziehbar?
Wie ist Ihre emotionale Reaktion auf den Artikel?

Querverweise auf 'Die Würde des Lebens'

Tim Deutschmann

USt-IdNr.: DE342866832

E-mail: autor@tim-deutschmann.de

Kontaktformular

Keltenweg 22
69221 Dossenheim
Deutschland

Impressum