Einen Moment bitte...

www.tim-deutschmann.de

1614 Aufrufe Bewertung

Der Zins und der (Neo-)Liberalismus

Der Artikel ist veraltet. Er ist einer der ersten Texte, die in 2015 entstanden sind und wird mit Sicherheit noch überarbeitet!

Der Zins ist uralt. Im Internet finden sich Seiten zu der Frage der Gefährlichkeit der Zinsnahme die nahelegen, dass sich die abrahamitischen Religionen letztlich immer wieder an der Frage des Zinses gespalten haben, die schon seit jeher Gegenstand der Überlieferungen war[1].

Im alten Testament gibt es zum Zins folgende moralische Handlungsanweisungen:

Exodus, 22 Vers 24f: "Wenn du Silber leihst einem aus meinem Volke, dem Armen neben dir, sei gegen ihn nicht wie ein Schuldherr; legt ihm nicht Zins auf."

Leviticus 25 Vers 35-37: "Und wenn dein Bruder verarmt ... so sollst du ihn festhalten ... Nimm nicht von ihm Zins und Mehrung und fürchte dich vor deinem Gott, auf dass dein Bruder neben dir lebe. Dein Geld gib ihm nicht auf Zins und um Mehrung gib ihm nicht deine Nahrungsmittel."

Hesekiel 18, 13: "Wer auf Zins leiht und Zuschlag nimmt, sollte der am Leben bleiben? - Er wird nicht am Leben bleiben! ... Er muss sterben! Sein Blut komme über ihn!"

Die Tora verbietet die Zinsnahme[2] unter Stammes- und Sippenzugehörigen und von Armen, von „Fremden“ darf er jedoch genommen werden[3]. Zinsnahme ist also nicht absolut verboten. Es ist somit aufgrund der logischen Entwicklung einer Positiv-Zins-Wirtschaft davon auszugehen, dass das Judentum eine der ältesten kapitalistischen Religionen ist[4]. und sich ein wesentlicher Teil der Lehre damit beschäftigt, die sich aufbauenden Bilanzspannungen und die Ungleichheit, die sich durch den Zins in der Gesellschaft ergeben zu beherrschen. Geschieht die Kontrolle nicht bauen sich im Laufe der Zeit[+] im Kapitalismus[+] Spannungen auf, die sich letztlich nur gewaltsam entladen können.

So attackierte der Prophet der Christen Jesus[+] die jüdischen Tempel in denen Tauschhandel mit Geld betrieben wurde. Der Aufstand Jesus[+] Christus[+]' führte zur Spaltung des Judentums und zur Entstehung des Christentums.

In der Lebenszeit des Propheten Mohammed[+] 570-632 n.Chr bildete sich der Islam und führte zur Erschaffung eines ökonomisch-gesellschaftlichen Systems ohne den Verleih von Geld durch Zins [5]. Mohammed[+] war ein gut gebildeter Handelsreisender, der sich mit Geld, Handel, Buchführung und Zinsen bestens auskannte und die Zins-induzierte Strukturbildung in den Gesellschaften erkannte. Ein Vorzeichenumkehr oder eine Abschaffung des Zinses bewirkt einen sehr sehr tiefgreifenden Umbau der Gesellschaftsordnung. Die durch den positiven Zins verursachte Strukturbildung fällt bei negativen Zinsen weg, so dass Gesellschaft nach einem Zinsverbot[+] durch andere Regeln organisiert werden muss. Ein wesentlicher Teil des Koran besteht deswegen aus Neu-Regelungen gesellschaftlicher und ökonomischer Abläufe und Steuern, die sich vorher allein durch die Grundregeln des Kapitalismus[+] im Zusammenspiel mit den Märkten gebildet haben.

Durch Martin Luther spaltete sich das Christentum erneut. Im Zentrum der Auseinandersetzung standen die 95 Thesen[6], welche auf die Zins induzierten gesellschaftlichen Missstände, die Rolle des Geldes und den Machtmissbrauch des Pabstes hindeuteten.

Aus theoretischer Analyse ergibt sich, dass eine Gesellschaft über eine verzinste Währung „zusammengehalten“ werden kann, wenn Verträge überwiegend eingehalten werden. Die Einigung der Völker Europas geschah letztlich durch den Zins und über das die Kontraktion vermittelnde Geld (als Medium). Wir erinnern uns weiter, dass das Zentrum der Ereignisse des 11. Septembers 2001, das World Trade Center die Schnittstelle eines Zins basierten ökonomischen Systems mit dem „Rest der Welt“ gewesen ist, also wiederum ein repräsentatives Obkekt des Marktes, insofern erkennen wir hier ein sich wiederholendes Muster, das sehr eng mit Zinsen zusammenhängt: Die sich durch positive Zinsen und eingehaltene Verträge aufbauenden Spannungen zwischen sozialen Gruppen (Funktionsgruppen der Gesamtwirtschaft), die sich in einer Störung des Gleichgewichts zwischen der Selbstbestimmung (Autonomie) und der Fremdbestimmung (Heteronomie), das nomische Gleichgewicht äußern, müssen durch entsprechende Überwachungsmaßnahmen, insbesondere Buchführung und Beobachtung der öko-sozialen Situation erkannt werden. Werden sie nicht rechtzeitig erkannt, führen sie zu einer gewaltsamen Entladung (so geschehen 1789, 1848, 1933 und 2015).

Eine reduzierte Beschreibung der Wirkung des Zinses findet sich in einem Buch Ludwig von Mises' eines Vertreters der österreichischen Schule der Nationalökonomie einer der ideologischen Schule des Neoliberalismus[+].

Zentrales Element im Theoriegebäude des Neoliberalismus[+]' ist die Festlegung von positiven Zinsen.

Kritik am Neoliberalismus - Positivzinskritik

Aus meiner Sicht ist die einzig sinnvolle Kritik am Neoliberalismus[+] gerichtet auf die zentrale Aussage (Annahme oder Festlegung) der Zins müsse oder könne nur positiv sein. Viele Vertreter der österreichischen Schule reflektieren nicht ausreichend die gesamte Wirkung des Zinses. Im Folgenden wird eine Textpassage aus Ludwig von Mises[+]' Werk Nationalökonomie[+] - Theorie des Handelns und Wirtschaftens herausgegriffen und im Detail kritisiert. Das Original der Textpassage finden Sie hier. Ziel der Analyse ist das Auffinden von Gedankengängen die die Rücksichts- und Skrupellosigkeit der Vertreter des reifen Neoliberalismus[+] in ihrer Argumentation erklären. Der Originaltext Ludwig von Mises[+]' ist grau hinterlegt, mein kritischer Kommentar ist blau auf rosa.

Man spart nicht, weil Zins besteht. Sparen kann nur derjenige, der mit seinem Handeln mehr Einnahmen als die ökonomische Existenz-sichernde Ausgaben produziert. Der Zins bietet einen Anreiz, das Geld nicht für den Konsum einzusetzen. Der Zins ist nicht die Ursache[+] des Sparens, sondern das Wertverhältnis, das im Sparen hervortritt und den Umfang des Sparens bestimmt. Die Aussage ist falsch. Richtig ist die Formulierung: „Der Zins ist sowohl die Ursache[+] des Sparens, als auch das Wertverhältnis, das im Sparen hervortritt und den Umfang des Sparens bestimmt.“ Es ist fraglich welches Wertverhältnis gemeint ist, denn wenn die Rückstellung eines existenziellen gegenwärtigen Bedürfnisses begleitet wird von einer signifikanten Einschränkung der Lebensqualität in der Zukunft, dann ist das Sparen pervers. Der Zins bietet einen zusätzlichen Anreiz einen Vorrat von Geld aufzubauen. Unter Verhältnissen, in denen die Vorsorge für die Zukunft in nichts anderem bestehen kann als im einfachen Nichtverzehren eines Teiles der genussreifen Güter und deren Aufbewahrung für späteren Verbrauch, ist der Zins in der verschiedenen Rangstellung gegeben, die man der Befriedigung gegenwärtiger und künftiger Bedürfnisse zuerkennt. Hier werden implizit paradiesische Zustände, nämlich das Vorhandensein reifer Früchte (genussreifer Güter) vorausgesetzt. Der Zins ist auch wieder ein Wertverhältnis, nämlich eine Relation des Werts gegenwärtiger und künftiger Bedürfnisse.

Greift man der Definition des Urzinses[+] vorweg, so ist der Zins wörtlich in etwa: Zins = Wert zukünftiges Bedürfnis Wert gegenwärtiges Bedürfnis Für den Zinssatz folgt: Zinssatz = 1 Zeit[+] zur Mittelherstellung[+] · log Wert zukünftiges Bedürfnis Wert gegenwärtiges Bedürfnis Ist das gegenwärtige Bedürfnis also von größerem Wert als das zukünfige, so wird der Zinssatz negativ.

Ehe man an das Sparen schreitet, durch das für künftige Bedürfnisse vorgesorgt wird, werden heutige Bedürfnisse befriedigt, die man jenen künftigen Bedürfnissen nur darum vorzieht, weil sie heutige Bedürfnisse sind.

Wenn in der Gegenwart Hunger ist, dann muss gespart werden. Sparen kann nur geschehen, wenn es lebensnotwendige Dinge im Überfluss gibt. Es wird unterschlagen und verdrängt wer den Zins eigentlich bezahlt. Der Zins wird (bei positivem Zins) von Kreditnehmern bezahlt und diese sind häufig Unternehmer oder Unternehmensgründer im Mittel[+] aber immer Unvermögendere. Im Beispiel rechts hat der Sparer S ein Vermögen von 100€, der Zinssatz beträgt 1% und die Bank[+] B stellt Ihren Dienst dem Sparer und dem Unternehmer U kostenlos zur Verfügung. Aufgrund des Zinssatzes fließt netto 1€ vom Unternehmer zum Sparer. Der Unternehmer steht unter Zwang[+] den Zinssatz zu akzeptieren.



Der Marshmallow-Test von Walter Mischel (SRF Kultur, Sternstunde Philosophie, 22.3.2015).

Schauen Sie sich dieses Video vom sogenannten Marshmallow-Test an. Es ist die Konstruktion eines fiktiven Sparvorgangs mit einer für das Kind (den Anleger) unbekannten Spar-Dauer von einigen Minuten (6-10min) und einem Zinssatz von 100%. Stellen Sie sich die Frage: Von wo kommt der Zins? Der Zins kommt von außerhalb des Systems, denn der Versuchsleiter bringt den Marshmallow in den Raum hinein. Wie würde das Kind wohl entscheiden, wenn es wüsste, dass der Marshmallow anderen Kindern weggenommen würde welche sich ihre Marshmallows durch zusätzliche Arbeit[+] verdienen müssen? Dieses Beipiel ist natürlich überzogen und konstruiert. Überlegen Sie sich wie es wirklich ist.

[...]

Der ursprüngliche Zins oder Urzins[+] ist kein Preis und wird nicht auf dem Markte durch Zusammenwirken einer Nachfrage nach und eines Angebots von Kapital oder Kapitalgütern gebildet. Er tritt auf dem Markte in der Preisbildung[+] aller Güter und Dienstleistungen in verschiedener Bewertung gegenwärtiger und künftiger Güter und Dienstleistungen zutage. Er ist im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft durch den Betrag gegeben, um den die Summe der Preise der komplementären Güter hinter dem Preise der entsprechenden Genussgüter zurückbleibt.

Der Urzins[+] ist nach Herrn von Mises[+] eine Art Handlungsabwägung. Die Herstellung von komplementären Gütern, die in der Gesamt-Handlung ein Mittel[+] darstellen, wird bepreist/bewertet und in Relation gesetzt zum Preis (den Kosten, dem Wert) des mit dem Erwerb zugänglich gewordenen Genussguts (dem Zweck[+]). Die Differenz zwischen dem Preis für das den Zweck[+] erfüllende Mittel[+] und dem Zweckpreis[+] soll der Zins sein, also in etwa

Urzins[+] Zweckwert[+] - Mittelwert[+].

Wenn der Zweck[+] einen höheren Wert hat als das Mittel[+], dann ist der Urzins[+] positiv. Dies ist jedoch nur dann richtig, wenn das Mittel[+] nur diesem Zweck[+] dienen kann und sonst keinen Nutzen[+] hat. Wenn der Nutzen[+] eines hergestellten Mittels[+] den eines einzelnen Nutzens[+] (den des ursprünglichen Zwecks[+]) übersteigt, dann kann der Urzins[+] folglich auch negativ sein. Rationales Handeln beruht jedoch auf der Vorstellung, dass der Zweck[+] wertvoller ist als das Mittel[+] diesen zu erreichen, dass also Zweckerfüllung[+] das Ziel ist und nicht die Mittelherstellung[+].

Die Festlegung, dass der Urzins[+] immer positiv sein muss, dass also menschliches Handeln immer vernünftig[+] sein muss, ist also nur dann zu retten, wenn auf einem Markt zur Ermittlung des monetären Zinses die zusätzlichen Zwecke[+], von denen nicht nur der Kreditgeber profitiert sondern auch andere Lebewesen in die Monetärzins-Gestaltung einbezogen wird und dass also das durch Kreditvergabe hergestellte Mittel[+] nicht nur einem Zweck[+] (nämlich dem Zweck[+] des Kreditgebers) dienlich ist sondern dem Zweck[+] und dem Nutzen[+] Vieler. In einer solchen Situation ist der Urzins[+] positiv aber der monetäre Zins ist negativ. Um zu verdeutlichen, wie es dazu kommen kann, dass der Urzins[+] positiv ist und einen monetär negativen Zins auf dem Zinsmarkt verursachte, betrachte man das Schema links.

In einem untergeordneten Kontext soll es zu einer Kreditvergabe kommen. Ist der Urzins[+] positiv, so ist die Investition vernünftig[+]. Dasselbe Mittel[+] kann jedoch manchmal durch seine Herstellung in einem übergeordneten Kontext einen höherwertigen Zweck[+] erfüllen, findet dort vielleicht aber wegen Geldmangels keinen Gläubiger. Betrachtet man den Wert des Mittels[+] im Gesamtkontext (vereinigter Kontext) und übersteigt dieser Wert den des Zwecks[+] im untergeordneten Kontext, dann wird der monetäre Zins, der auf dem untergeordneten Markt, genau wie der Urzins[+] auch, durch

monetärer Zinssatz Zweckwert[+] - Mittelwert[+] Zeit[+] zur Mittelherstellung[+] · Mittelwert[+]

gebildet wird, negativ. Der Mittel[+]-Wert ist im Gesamtkontext also größer als der Wert des Zwecks[+] im untergeordneten Kontext. Bei dieser Konstruktion ist festzustellen, dass der Urzins[+] in allen Kontexten positiv ist.

Diese Überlegung ist der Grundgedanke des Teilens.

Als ein Beispiel des Missbrauchs bei der Monetärzins-Gestaltung sei der Fall erwähnt, dass der Zweckwert[+] künstlich überhöht wird oder auch dass Begleiterscheinungen der Mittelherstellung[+] (z.B. Umweltschäden) aus dem Mittel[+]-Wert so heraus gerechnet werden, dass der Zweckwert[+] höher zu sein scheint als der Wert (bzw. die Kosten) des Mittels[+]. In beiden Fällen wäre es eine Art Verdrängung von Schuld.

Auf dem Darlehensmarkte (Kapitalmarkt und Geldmarkt) erfolgt nicht die Bildung des Urzinses[+], sondern die Anpassung des Zinses von in Geld gegebenen und empfangenen Darlehen an den durch die Preisbildung[+] des Marktes, auf dem Güter und Dienstleistungen ausgetauscht werden, gebildeten Satz des Urzinses[+].

Es ist ein utopische Vorstellung (ein Märchen), dass sich der Zins auf dem Kapitalmarkt durch ein Spiel von Angebot und Nachfrage bildet, bei der beide Marktteilnehmer gänzlich frei (autonom) handeln. Der Bereich negativer Leitzinsen[+] ist in der Gegenwart im ökonomischen Theorie-Gebäude scheinbar von vornherein ausgeschlossen. Dabei ist es nach obiger Definition des Urzinses[+] durchaus möglich und auch gesamt-ökonomisch zu einem bestimmten Zeitpunkt[+], wie z.B. der Gegenwart sinnvoll und insbesondere auch rational, dass die (Leit-)zinsen negativ gewählt werden. Bedenklich ist in jedem Fall die völlig unreflektierte Motivation einer Zins-(Preis)-Gestaltung bei der im Mittel[+] immer derjenige, der schon hat von demjenigen, der nichts hat, aber etwas unternimmt, um etwas zu haben Zins nimmt. Unlogisch ist auch, dass im Mittel[+], immer und ewig derjenige der handelt (der Unternehmer) den Zins bezahlt während derjenige der nie handelt, den Zins leistungslos zugeschrieben bekommt, wie groß er nach marktgesetzlicher Gestaltung auch immer sein mag.

Der Urzins[+] ist von der Menge des Angebots an Kapitalgütern unabhängig. Er ist es vielmehr, der Kapitalangebot und Kapitalnachfrage bildet. Durch den Urzins[+] wird bestimmt, wie viel von dem verfügbaren Gütervorrat für den Verbrauch in der Gegenwart und wieviel für die Vorsorge für die Zukunft gewidmet wird.

In der unreflektierten Gegenwart nehmen die Reicheren bei positivem monetären Zins von den fleißigen Ärmeren, damit die Reicheren in der Zukunft etwas haben. Mises' Rechtfertigung[+] ist vor dem Hintergrund dessen, was wirklich geschieht nicht nachvollziehbar, wenn dieser akkumulierte[+] Vorrat privatisiert werden soll. Gegen Vorratshaltung ist im Prinzip nichts einzuwenden. Wenn jedoch ein wachsender[+] "Vorrat" durch den Zins zu immer höheren Kreditzinsen und immer größeren Kontrahierungszwängen[+] (Kreditvertrags-Abschluss-Zwang[+]) seitens der Bank[+] führt, ist das nur als Sklaverei und Ausbeutung zu bezeichnen, denn der Zins muss ja erwirtschaftet werden. Ursache[+] dabei ist nicht die Vorratshaltung sondern der positive Zins auf den Vorrat. Bedenken Sie, welche Situation bestünde, wenn das Akkumulierte nicht "von alleine" wachsen[+] würde. Niemand würde sich daran stören, denn niemandes Autonomie (Freiheit[+], Souveränität) würde dadurch eingeschränkt. Niemand müsste einen positiven Zinssatz bei der Kreditvergabe akzeptieren. Diese subtile Vorenthaltung der Zinsbeträge durch Vermögende ist nur so zu rechtfertigen, dass der akkumulierte[+] Zinsertrag[+] zu einem zu bestimmenden Zeitpunkt[+] in der Zukunft endlich konsumiert wird. Der Reiche nimmt ja von dem armen Nächsten, angeblich zum Zwecke[+] der vorsorglichen Vorratshaltung für die Zukunft, demzufolge müsste zum bestimmten Zeitpunkt[+] der durch Vorzeichenfestlegung (+) entwendete Zins zurückgegeben werden!

Der Urzins[+] kann aus dem menschlichen Werten und Handeln nicht verschwinden. Wenn eine Lage der Dinge wiederkehren würde, wie sie am Ende des ersten christlichen Jahrtausends bestand, als der Glaube an das unmittelbare Bevorstehen des Endes aller irdischen Belange allgemein war, dann würde, dem Gebote der Bergpredigt gemäß, alle Vorsorge für die irdische Zukunft aufhören.

Dieser Aussage stimme ich nur bedingt zu. Vorratshaltung an sich betrachte ich per se als eine gute Sache. Physikalisch betrachtet gibt es jedoch keine Vorräte, welche von alleine wachsen[+]. Das Gegenteil ist der Fall. Vorräte verderben natürlicher Weise. Hier folgt nocheinmal der Hinweis, dass, wenn die Geldverleiher/Kreditgeber und Zinsnehmer sich in Ihrer Funktion als Vorratshalter begreifen, dieser Vorrat irgendwann, wenn die Not groß ist ,angebrochen wird und in Form von Krediten mit negativen Zinsen wieder in das Gesamtsystem zurückgespeist werden.

Die Produktionsmittel würden jede Bedeutung verlieren; sie würden als nutzlos und wertlos angesehen werden.

Für mich ist hier die Frage berührt, wonach wir streben wollen. Die Existenz jedes Lebewesens ist daran geknüpft, die Existenz-bedingten Kosten/die Schuld an der Umgebung durch Arbeit[+] zu begleichen. Wird diese Arbeit[+] durch Produktionsmittel erleichtert ist diese nicht nur vernünftig[+] sondern auch angenehm, wenn der Nutzen[+] des Produktionsmittels insgesamt überwiegt. Insofern wird die Würdigung der Herstellung und der Weiterentwicklung von Produktionsmitteln immer Teil menschlichen Handelns sein. Anzumerken ist auch, dass über die Form und Art des Produktionsmittels keine Aussage getroffen werden kann. Die Produktionsmittel müssen keine Maschinen sein.

Das Agio der gegenwärtigen Güter gegenüber den künftigen Gütern würde damit nicht verschwinden; es würde über alles Maß hinauswachsen[+]. Würde dagegen der Urzins[+] ganz verschwinden, dann würde das bedeuten, dass für die Deckung gegenwärtigen Bedarfs, des Bedarfs des nächsten Augenblicks und des Bedarfs in absehbarer Zukunft nicht gesorgt wird, dass man immerfort nur für die fernste Zukunft produzieren will und dass man einem Apfel, den man heute oder morgen, in einem Jahre oder in zehn Jahren verzehren kann, zwei Äpfel, die erst in tausend oder zehntausend Jahren genussreif sein werden, vorzieht.

Wenn da in der Gegenwart Hunger ist, werden die Vorräte angebrochen.

Der Urzins[+] ist eine elementare Werterscheinung, die man aus dem menschlichen Wirtschaften nicht fortdenken kann. Er ist daher auch nicht an die Organisationsform der gesellschaftlichen Kooperation geknüpft. Er ist im Handeln eines isolierten Wirts oder eines sozialistischen[+] Gemeinwesens ebenso wirksam wie in der Marktwirtschaft[+] der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung.

Kommunismus Kapitalismus
Der monetäre Zins als Götzenzeiger. Die Gesellschaftsordnung bei positivem Monetärzins heißt Kapitalismus[+] und bei negativem Monetärzins Sozialismus[+] / Kommunismus[+]. Es ist durch den Souverän per Gesetzgebung sicherzustellen, dass der effektive Urzins[+] positiv bleibt.

[...]

Solange die Welt nicht zum Schlaraffenland geworden ist und die Menschen daher handeln und wirtschaften, wird man immer zwischen Befriedigung in näherer und der in fernerer Zukunft zu wählen haben, weil weder für diese noch für jene volle Befriedigung erzielt werden kann. Wenn wir annehmen, dass durch Änderung in der Verwendung der Produktionsmittel, die Produktionsmittel aus einer Verwendung, in der sie der Versorgung näherer Zukunft dienen, in eine Verwendung leitet, in der sie der Versorgung fernerer Zukunft dienen, keine weitere Verbesserung der späteren Versorgung erzielt werden kann, verwickeln wir uns in unlösbare Widersprüche. Wir vermögen zwar immerhin einen Zustand zu denken, in dem das technologische Wissen und Können an einem Punkte angelangt ist, über den hinaus es nicht mehr weitergehen kann; die Technologie ist ans Ende ihrer Leistungsfähigkeit gelangt und wird keine Verfahren mehr entdecken, die die Ergiebigkeit der Produktion zu steigern vermögen. Wir dürfen aber, solange wir an der Annahme festhalten, dass die Güter knapp sind und daher bewirtschaftet werden müssen, nicht annehmen, dass alle Verfahren, die - vom Zeitmoment[+] abgesehen - ergiebiger sind, auch voll ausgenützt werden und dass kein Verfahren, das weniger ergiebig ist, nur darum beibehalten wird, weil es in kürzerer Zeit[+] zur Befriedigung führt als das ergiebigere. Dass die Güter knapp sind, bedeutet doch nichts anderes als das, dass man noch immer Pläne zu fassen vermag, deren - im Hinblick auf den Stand der verfügbaren Mittel[+] undurchführbare - Verwirklichung eine weitere Verbesserung des Standes der Bedürfnisbefriedigung bringen würde. Darin, dass solche wünschbare Verbesserung nicht ausführbar ist, besteht die Knappheit der Mittel[+]. Der Gedankengang der modernen Anhänger der Produktivitätstheorie wird da durch den Böhm-Bawerk'schen Ausdruck «Produktionsumwege» und die durch diesen Ausdruck ausgelösten Vorstellungen von Vervollkommnung unseres technologischen Könnens irregeleitet. Solange wir an dem Gedanken der Knappheit der Mittel[+] festhalten, vermögen wir nicht anzunehmen, dass die Möglichkeit[+], die Erzeugung der Genussgüter durch weitere Verlängerung der Produktionszeit zu erhöhen, nicht besteht. Denn das würde bedeuten, dass man nicht mehr imstande wäre, auch bei unverändertem Stande des technologischen Wissens und Könnens, Pläne zu fassen, die durch eine andere Verwendung der verfügbaren Güter uns zu Befriedigungen führen würden, auf die wir nur darum verzichtet haben, weil der Weg, der zu ihnen führt, zu weit ist und dringendere Ziele vorerst befriedigt werden sollen. Wenn die Mittel[+] knapp sind, gibt es unbefriedigte Wünsche sowohl in Bezug auf die gegenwärtige als auch in Bezug auf die spätere Versorgung. Dass für die Zukunft nicht reichlicher vorgesorgt wird, ist das Ergebnis des Vergleichs zwischen der Dringlichkeit der Befriedigung in Gegenwart und Zukunft, ist mithin Urzinsgestaltung[+].

[...]

Der Urzins[+] ist nicht die Bezahlung einer Funktion oder eines Dienstes, er ist nicht die Belohnung, die für Enthaltung von der Kapitalaufzehrung gewährt wird, er ist auch kein Aufschlag, der zu einem niedrigeren Preis hinzutritt oder hinzugefügt wird. Er ist die Wertverschiedenheit in der Bewertung künftiger und gegenwärtiger Güter. Er ist kein Preisaufschlag, sondern der Preisabschlag, den künftige Güter gegenüber den Preisen gegenwärtiger Güter erleiden. Wenn es keinen Urzins[+] gäbe, würden die Kapitalgüter nicht etwa aufgezehrt werden. Im Gegenteil: in einer Welt ohne Urzins[+] würde stets nur gespart und für künftigem Verbrauch dienende Erzeugung investiert werden. Nicht das - unausdenkbare und mit dem menschlichen Handeln unvereinbare - Verschwinden des Urzinses[+] könnte Kapitalaufzehrung bewirken, sondern die - bei Fortbestand der elementaren Werterscheinung des Urzinses[+] - institutionell verfügte Enteignung der Zinsbezüge der Kapitalseigner. Wenn man den Zinsbezug des Kapitalisten abschafft, wird der Kapitalist gerade darum die Kapitalgüter aufbrauchen, weil Urzins[+] besteht und gegenwärtiger Verbrauch dem künftigen Verbrauch vorgezogen wird.

Sehen Sie: hier im letzten Abschnitt ist beschrieben, dass das Ende des Sparens durch Enteignung der Kapitalisten geschehen kann, wenn der Urzins[+] für diese Maßnahme positiv ist, wenn also der Wert des Zweckes[+], nämlich die notwendige Sättigung gegenwärtiger Bedürfnisse, den Wert des Mittels[+] nämlich der Enteignung übersteigt. Wenn die Menschen des Systems in dem dies geschieht ein Ganzes sind, dann wird diese Enteignung eines Teils von Ihnen zu verschmerzen sein, denn es dient schließlich, jedoch nur vorübergehend, dem Wohle aller. Wenn dann nach einer Weile die paradiesischen Zustände zurückgekehrt sind, kann der monetäre Zins wieder positiv werden. Wenn all dies so geschehen sein wird, ist während der ganzen Zeit[+] der Urzins[+] immer positiv gewesen.

Man kann daher den Zins nicht «abschaffen». Man kann den Zinsbezug der Eigentümer[+] der Produktionsmittel beschränken oder beseitigen; doch dann hat man eine Lage herbeigeführt, in der die Kapitalien aufgezehrt werden. Wer den Urzins[+] beseitigen wollte, müsste die Menschen dazu bringen, einen Apfel, der in hundert Jahren verfügbar sein wird, nicht niedriger zu schätzen als einen genussreifen Apfel.

Da ist Hunger, brechen wir die Vorräte an!

Referenzen / Einzelnachweise

Vielen Dank dafür, dass Sie den Artikel bewerten möchten. Es dauert nicht lange.

Beurteilen Sie den Artikel ganz grob, bitte.
Wie ist die Form und Struktur? Ist der Artikel logisch aufgebaut, die Argumente und Begriffe klar und sind die Schlussfolgerungen nachvollziehbar?
Wie ist Ihre emotionale Reaktion auf den Artikel?

Querverweise auf 'Der Zins und der (Neo-)Liberalismus'

Tim Deutschmann

USt-IdNr.: DE342866832

E-mail: autor@tim-deutschmann.de

Kontaktformular

Keltenweg 22
69221 Dossenheim
Deutschland

Impressum