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12. Februar 2024

Anfrage vom Bremer SPD-Mitglied Matthias Kette zum Gesetzesentwurf zu den Totalsanktionen beim Bürgergeld an seinen SPD Ortsverband, die Bundesregierung und das Arbeitsminsterium

Für die SPD war der erst Anfang 2023 in Kraft getretene Nachfolger von "Hartz-IV" ein Befreiungsschlag angesichts des massiven Mitgliederschwunds, des enormen Vertrauensverlusts am sozialen Zusammenhalt orientierter Wähler in die SPD und schließlich der schallenden Ohrfeige des Karlsruher Verfassungsgerichts zur Sanktionspraxis der JobCenter im November 2019. Das Verfassungsgericht hat die im Zuge der Agenda 2010[+] von der Regierung Schröder unter der Mitwirkung von Peter Hartz, Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier reformierte Sozialhilfe mit dem Namen "Hartz-IV" als verfassungswidrig bewertet, siehe Urteilstext vom 05.11.2019. Mit dem Bürgergeld trug die von der SPD geführte Bundesregierung also dem Karlsruher Urteil[+] Rechnung und bemühte sich um die Begrenzung des Schadens bei ihren enttäuschten Wählern.

Doch die ab Anfang 2023 geltende Sanktionspraxis des Bürgergeldes steht schon wieder vor dem Aus und soll einer Regelung weichen, die der psychologischen Repression des Hartz-IV-Gesetzes gefährlich nahe kommt. Die Forderungen nach einer Verschärfung der Mitwirkungspflichten fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern ereignen sich in der Wiederkehr des Kapitalismus[+] nach fast genau 10 Jahren Niedrigzins-Phase von 2012 bis 2022 unter einem neuen Andrang von Flüchtlingen und drastisch gestiegenen Zinsen in Verbindung mit der ebenfalls durch das Karlsruher Verfassungsgericht genauer ausgelegten und also verschärften Schuldenbremse[+].

Warum ist der Kapitalismus zurück?

Auf den Kostenschock bei den Energieträgern Gas, Kohle und Strom infolge des Krieges in der Ukraine – vor dem Krieg bezogen wir 55 % unseres Gases aus dem infolge des Krieges sanktionierten Russland[+] – und bei importierten, von durch Corona[+] gestörten Lieferketten abhängigen Waren setzten bereits in 2022 im Wesentlichen drei Wirkungen bzw. Reaktionen ein:

Aus Sicht der Unternehmer kamen also zum Kostenschock bei der Energie stark steigende Arbeitskosten[+] und ebenfalls schnell und stark steigende Fremdkapitalkosten hinzu. Das Ergebnis ist auf lange Sicht absehbar: Es wird im Zuge des jetzigen Konjunkturzyklus[+]' und seiner geldpolitischen[+] Modulation trotz des demografie-bedingten Fachkräftemangels erst zu einem Auftragsrückgang in der Wirtschaft, einem Schwächeln der Binnennachfrage, dann zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit[+] und schließlich zu Unternehmenspleiten und Kreditausfällen, und damit zu einer neuen Krise im Finanzsystem, kommen. Wie stark sich diese Kalamität[+] entfalten wird und wie groß sie ausfallen wird, ist noch ungewiss. Wenn man nur auf die Zinsen schaut, dann dürfte der der Wirtschaft infolge der Zinsen entzogene Betrag bei 7,5 Billionen € privaten Geldvermögen der Deutschen und 4,25 % Zins in der Größenordnung von einigen hundert Milliarden € liegen. Das ist die Größenordnung des Bundeshaushalts. Im Privatsektor muss auf den billigen Plätzen also drastisch gespart werden, damit die Sparer ihre Zinsen erhalten.

Kommentierung der Weihnachtsvorlesung von Hans-Werner Sinn[+] über die Folgen des Inflationsschocks[+]

Doch man muss genauer hinschauen, um noch mehr Details der sich entfaltenden Krise verstehen zu können, denn auch der öffentliche Sektor muss sparen.

Schon die Bundesbauministerin konnte den unangenehmen, aber berechtigten Fragen der AfD zum Thema 'Sozialer Wohnungsbau' nichts Substanzielles begegnen, denn die Bauzinsen machten den Bauherrschaften von 400.000 Sozialwohnungen einen Strich durch die Rechnung, YouTube Video zur Befragung von Bundesbauministerin Geywitz in 2023. Dass aufgrund der gestiegenen Asylanträge und des steigenden Flüchtlingsaufkommens im Unterbau der Einkommens- und Vermögenspyramide eine Konfliktsituation zwischen ökonomisch schwachen Etablierten und ökonomisch noch schwächeren Hinzukommenden mit dem Ergebnis steigender Mieten und sinkender Löhne im bereits arg von der Hartz-IV Sanktionspraxis geplagten Niedriglohnsektor entsteht, muss denjenigen, die verstanden haben, dass der Zuzug von schlecht ausgebildeten mittellosen Menschen zusätzliche Konkurrenz auf den Märkten für Wohnen und Arbeit[+] erzeugt, wohl nicht erklärt werden. Alle Anderen sollten sich das einmal genau anschauen, denn Unmut und die Wut „auf den billigen Plätzen” kommen ja nicht aus dem Nichts, siehe wieder aktueller Beitrag vom 20.02.2018 und Video von 2021!

Doch mehr verteilen kann auch die Bundesregierung nicht, denn zwar lässt die Inflation[+] nominell das Steueraufkommen steigen, doch auch der Nennwert der Staatsausgaben steigt, was der Finanzminister gerne übersieht. Neue Schulden oder neue Steuern sind mit der FDP jedenfalls nicht zu machen, also muss gespart werden.

Das alles war schon so, bevor Karlsruhe der Klage der Union zum Nachtragshaushalt 2021 im November 2023 statt gab und bevor der Bundesregierung mindestens 60 Milliarden € bei einem Gesamthaushalt von etwa 480 Milliarden € fehlten, siehe Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021.

Lassen Sie sich außerdem gesagt sein, dass die Union sehr genau wusste, welche Folgen ihr Obsiegen auf die Haushaltsführung des Bundes hat, wie die folgenden beiden Beiträge von Friedrich Merz (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Christian[+] Linder (FDP) belegen:

Dass eine neue, vorzugsweise durch hohe Zinsen erzeugte Austerität[+] wenigstens von FDP und Union bereits vor dem Krieg in der Ukraine gewollt war, belegt ein vom ZDF zensierter[+] Ausschnitt der Sendung Maybritt Illner, wie ich am 21.02.2022 zeige. Die Union will offenkundig also, dass der Staat in Zukunft handlungsfähig bleibt und dann nicht sparen muss, und erzwingt bereits in der Gegenwart das Sparen.

Wie gefährlich eine neue Austerität[+] infolge einer neuen Staatsschuldenkrise sein kann, sagt uns Robin Alexander:

Ein neuer Verfassungsbruch und ein Schritt in den Totalitarismus zeichnet sich ab

Wie reagiert also die Bundesregierung auf das 60 Milliarden € betragende Haushaltsloch?

Als sich im Schatten des Karlsruher Urteils[+] zur Einhaltung der Schuldenbremse[+] die von der neuen Austerität[+] erzwungene politische Diskussion um das Bürgergeld entfachte, schrieb mein Freund und Parteigenosse Matthias Kette aus Bremen E-Mails an seinen Ortsverband, das Bundesminsterium für Arbeit[+] und an Arbeitsminister[+] Heil. Matthias wollte wissen, wie denn der in Aussicht gestellte, von Union, FDP und AfD unisono geforderte Gesetzesentwurf mit der Vertragsfreiheit von Bürgergeld-Empfängern nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (Rechtsinstitut[+] der Privatautonomie[+]) sowie mit der Freiheit[+] der Berufswahl nach Artikel 12 Grundgesetz verträglich ist.

Lesen Sie selbst, was man ihm geantwortet hat.

Anfrage an Arbeitsminister Hubertus Heil

Von: "Matthias Kette" <xy@email.de>
An: "hubertus.heil.wk02@bundestag.de" <hubertus.heil.wk02@bundestag.de>
Gesendet: Fr., Jan. 12, 2024 at 7:25

Betreff: WG: Sanktionen Arbeitsverweigerung[+] verfassungswidrig?

Zur Kenntnisnahme.

----- Weitergeleitete Nachricht -----
Von: "Matthias Kette" <xy@email.de>
An: "hubertus.heil@bundestag.de" <hubertus.heil@bundestag.de>, "hubertus.heil.wk01@bundestag.de" <hubertus.heil.wk01@bundestag.de>
Gesendet: Fr., Jan. 12, 2024 at 7:21

Betreff: AW: Sanktionen Arbeitsverweigerung[+] verfassungswidrig?



Guten Morgen,

angesichts der großen Zustimmung der Ressorts in Bezug auf die grundgesetzwidrigen Kürzungen für "Arbeitsscheue[+]" und der wahrscheinlichen Genehmigung des neuen Haushalts zum 01.02.24 erwarte ich die erbetenen Unterlagen bereits im Laufe der kommenden Woche.

Vielen Dank im voraus.

Ein schönes Wochenende.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Kette

Gesendet von [...]

Am Di., Jan. 9, 2024 at 15:12 schrieb Matthias Kette <xy@email.de>:


Liebe Genossinnen und Genossen,

erst mal ein frohes neues Jahr und weiterhin alles Gute für euch.

Bitte denkt daran, mir den Gesetzentwurf und die erwähnten Praxisberichte der Jobcenter zukommen zu lassen:

Matthias Kette
Wohnstraße Hausnummer
Stadt in Deutschland

Die Portokosten kann ich gerne übernehmen.

Denkt bitte auch daran, dem OV diese Unterlagen zukommen zu lassen. Ein derartiger Angriff auf unser Grundgesetz sollte zumindest von der Parteibasis diskutiert werden.
Da es wegen der bereits stattfindenden Ressortabstimmung eilt, gehe ich von einer Zusendung innerhalb dieses Monats aus.

Bitte habt Verständnis dafür, dass ich mir disziplinarische Maßnahmen im Rahmen des Verwaltungsrechts bei Nichtzusendung der erbetenen Unterlagen vorbehalte.

Mit solidarischen Grüßen

Matthias Kette

Gesendet von [...]

Am Fr., Dez. 29, 2023 at 9:24 schrieb Matthias Kette <xy@email.de>:

Gesendet von [...]

----- Weitergeleitete Nachricht -----
Von: "Matthias Kette" <xy@email.de>
An: "hubertus.heil@bundestag.de" <hubertus.heil@bundestag.de>
Gesendet: Fr., Dez. 29, 2023 at 9:23

Betreff: Sanktionen Arbeitsverweigerung[+] verfassungswidrig?


Liebe Genossinnen und Genossen,

zum Gesetzentwurf, dass sog. Arbeitsverweigerern[+] in Zukunft für 2 Monate das Bürgergeld komplett gestrichen werden soll, habe ich Folgendes zu sagen:

Ich habe nun schon die zweite Umschulung in relativer Armut mit ALG II bzw. Bürgergeld absolviert und war trotz großer materieller Not hoch motiviert. Der Gesetzentwurf erwähnt die üblichen und schwammigen Schlagworte 'wichtiger Grund', 'konkret' und 'zumutbar'.

Laut GG entscheidet jeder Deutsche allein, was 'wichtig', 'konkret' und 'zumutbar' ist. Es herrscht freie Berufswahl sowie Vertragsfreiheit. Die Konsequenz daraus: Ich entscheide, welche Verträge ich unterschreibe und welche Arbeit[+] ich annehme. Egal, ob ich Bürgergeld beziehe oder Manager bei Goldman Sachs bin.

Das GG sieht als einzige Ausnahme die allgemeine Arbeitspflicht[+] vor. Hier aber die EmpfängerInnen von Sozialleistungen zu sog. 'zumutbarer Arbeit[+]' zu zwingen wäre verfassungswidrig – und somit Zwangsarbeit[+].
Es stellt sich mir auch die Frage, wie denn ein allgemeiner Arbeitsdienst[+] aller Deutschen ausgestaltet werden kann.

Das Bundesarbeitsministerium führt als Anlass für den Gesetzentwurf an, dass es Fallbeschreibungen für notorische Arbeitsverweigerer[+] der Jobcenter gebe. Um wie viele Personen es sich hierbei handelt und was diese Beschreibungen aussagen, ist mir nicht bekannt. Ich betone noch einmal, dass auch für diese Personengruppe die Berufs- und Vertragsfreiheit gilt.

Ich bitte darum, mir diese Fallbeschreibungen zukommen zu lassen, um diese im Rahmen meiner geplanten Verfassungsbeschwerde zu prüfen. Alternativ kann dies nebst dem Gesetzentwurf dem OV zur Diskussion vorlegt werden.

Ich freue mich über baldige Antwort. Vielen Dank im Voraus.

Viele Grüße und einen guten Rutsch.

Matthias Kette
(Beisitzer)

Gesendet von [...]

Anfrage an Frau Petra Eck im Bundesarbeitsministerium

Von: "Matthias Kette" <xy@email.de>
An: "Petra -IIa2 BMAS Eck" <xx@bundesminsterium_für_arbeit.de>
Gesendet: Mo., Feb. 5, 2024 at 14:19

Betreff: Totalsanktionen grundgesetzwidrig



Sehr geehrte Frau Eck,

vielen Dank erst einmal für Ihre Antwort.

Die Totalsanktionen, die das Existenzminimum nehmen, verstoßen meines Erachtens gegen die Artikel 1, 2 und 12 des GGs, außerdem gegen die im BGB enthaltene Privatautonomie[+], die von Experten auch als Grundrecht angesehen wird. Hierzu zählt auch die Vertragsfreiheit, die aber seit 2005 täglich von den Jobcentern mit Füßen getreten wird.

Indem Leistungsempfänger vor die Wahl gestellt werden, ob sie einen schlecht bezahlten Job annehmen oder 2 Monate 100 Prozent Sanktion bekommen, werden sie sich vermutlich zu einer Unterschrift ge"nötig"t sehen. Dies ist, wie Sie sicher wissen, ein Straftatbestand. Wie kommt das Bundesarbeitsministerium dazu, arme und oftmals psychisch[+] beeinträchtigte Menschen solch einem Druck auszusetzen?

Es spielt dabei auch keine Rolle, welche Arbeit[+] das SGB als zumutbar ansieht. Solange bei einer Weigerung Konsequenzen drohen, ist dies ein Eingriff in Grundrechte. Ganz besonders natürlich in die Privatautonomie[+]. Ich entscheide danach, welche Verträge ich unterschreibe. Dies gilt auch für Arbeitsverträge[+] und Eingliederungsvereinbarungen!
Eine Sanktion, die mir nur die Wahl zwischen Arbeitszwang[+] oder Hungern lässt, ist sicher nicht im Sinne des Grundgesetzes. Schon gar nicht, um Geld einzusparen, weil die Union gegen den Haushalt geklagt hat.

Die Totalsanktion wird nicht nur von mir, sondern auch von Sozialverbänden als menschenverachtend, grundgesetzwidrig und unverhältnismäßig erachtet. Hier wird sogar von einer bevorstehenden Klagewelle gesprochen.
Das Sozialgesetzbuch steht nicht über dem Grundgesetz. Auch wenn dies von Jobcentern und leider auch der Politik anders gesehen wird.

Ich habe die Praxisberichte der Jobcenter, die als Begründung für dieses unsägliche Gesetz gedient hat, angefordert. Bitte denken Sie daran, diese schriftlich nachzureichen. Ich bin natürlich auch sehr daran interessiert, von Herrn Genossen Hubertus Heil eine Stellungnahme zu erhalten.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Kette


Gesendet von [...]

----- Weitergeleitete Nachricht -----
Von: "Eck, Petra -IIa2 BMAS" <xx@bundesminsterium_für_arbeit.de>
An: "'matzehb@yahoo.de'" <xy@email.de>
Cc:
Gesendet: Di., Jan. 23, 2024 at 10:13
Betreff:

Sehr geehrter Herr Kette,

ich bestätige den Erhalt Ihrer E-Mail vom 29. Dezember 2023, in der Sie sich zu den Plänen einer verschärften Sanktionierung von sogenannten „Totalverweigerern“ beim Bürgergeld äußern.

Sie sehen diese Art der Sanktionen als Mittel[+] zu verfassungswidriger Zwangsarbeit[+]. Dazu nehme ich nachfolgend gerne Stellung:

Nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit[+] und Soziales sind Ihre Einwände unberechtigt.

Soweit Sie annehmen, dass Bürgergeld-Beziehende nicht frei über die Aufnahme einer Arbeit[+] mit menschenwürdigen und befriedigenden Arbeitsbedingungen[+] entscheiden können, ist diese Annahme falsch. Zudem wird der Schutzbereich von Art. 12 des Grundgesetzes und entsprechend Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkannt.

Danach darf niemand zu einer bestimmten Arbeit[+] gezwungen werden, es sei denn im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht (Art. 12 Abs. 2 GG). Art. 12 Abs. 3 GG verbietet Zwangsarbeit[+] außerhalb einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung[+]. In ihrem grundlegenden Übereinkommen Nr. 29 über die Zwangs[+]- und Pflichtarbeit[+] (1930) definiert die Internationale Arbeitsorganisation[+] (IAO) Zwangsarbeit[+] im Sinne des Völkerrechts als "jede Art von Arbeit[+] oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat" (Art. 2 Abs. 1).

Zugleich ist der Staat aufgrund des Sozialstaatsprinzips verpflichtet, seinen mittellosen Bürgern die Mindestvoraussetzungen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Existenzminimum). Der Gesetzgeber kann die Arbeitsuchenden[+] daher nicht, wie von Ihnen angenommen, zur Aufnahme einer bestimmten Arbeit[+] zwingen.

Der Staat darf seine Fürsorgeleistungen jedoch von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen und die Art der Leistungen regeln. Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sieht daher in verschiedenen Vorschriften vor, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten, aktiv an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit[+] mitzuwirken haben; insbesondere dann, wenn eine Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt[+] auf absehbare Zeit[+] unmöglich erscheint, haben sie angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheiten[+] anzunehmen (vgl. § 2 SGB II). In einer weiteren Vorschrift ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen Arbeit[+] zumutbar ist (vgl. § 10 SGB II); die gesetzlich geregelten Zumutbarkeitskriterien erlauben eine Berücksichtigung individueller Hinderungsgründe sowie über die Öffnungsklausel (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II) eine Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtspositionen[+]. Daran anknüpfend regeln §§ 31 ff SGB II die Leistungsminderung im Falle von Pflichtverletzungen[+]. Für sogenannte Totalverweigerer, also Personen die mehrfach jede Art von Vermittlungsaktivität grundlos vereiteln oder verweigern, ist als ultima ratio eine befristete Regelbedarfssanktion vorgesehen.

Mit der von Ihnen kritisierten Regelung zum Entzug des Regelbedarfes bei nachhaltiger Arbeitsverweigerung[+] wird daher dem (sehr klei­nen) Personenkreis derer begegnet, der den Sozialstaat bewusst ausnutzt. Wer sich bewusst und beharrlich weigert, eine tatsächlich angebotene zumutbare Arbeit[+] aufzunehmen, dem soll vorübergehend für die Dauer von bis zu zwei Monaten der Regel­bedarf entzogen werden. Voraussetzung dafür ist, dass innerhalb des letzten Jahres das Bürgergeld schon einmal wegen Ablehnung eines Arbeitsangebotes[+] oder wegen grundlo­sen Aufgebens der Arbeitsstelle[+] gemindert wurde. Diejenigen, denen die Regelleistung entzogen wird, können ihre Hilfebedürftigkeit jederzeit durch die Annahme des konkreten Jobangebots beenden bzw. reduzieren. Bei Arbeitsaufnahme[+] würde auch die Minderung aufgehoben. Die betroffene Person ist vor dem Wegfall der Regelleistung außerdem immer anzuhören. Soweit der Wegfall der Leistungen zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde, dürfen die Leis­tungen nicht gemindert werden.

Diese Regelung soll dazu beitragen, dass Mittel[+] der Allgemeinheit, die zur Hilfe für bedürftige Menschen bestimmt sind, nur in Anspruch genommen werden, wenn wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag

Eck

____________________________________

Bundesministerium für Arbeit[+] und Soziales

Referat IIa2 „Qualitätssicherung, Mittelverteilung[+] und Verwaltungskosten, Prüfung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende[+]“,
Wilhelmstraße 49, 10117 Berlin
E-Mail: IIa2@bmas.bund.de
Internet: www.bmas.de

Der Schutz Ihrer Daten ist uns wichtig. Ich möchte Sie darüber informieren, dass Ihre Daten gemäß der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verarbeitet werden.

Näheres dazu finden Sie im Internet unter: https://www.bmas.de/DE/Infos/Datenschutz/datenschutz.html

Welche Folgen hat die Verschärfung der Sanktionspraxis?

Die Grundlage der folgenden Ausführungen bildet mein Artikel über das Gleichgewicht der Bestimmung, in dem ich u.a. Auszüge aus der Habilitationsschrift von Jan Busche[+], Privatautonomie und Kontrahierungszwang, verarbeite und mit dem Begriff des Gleichgewichts der Bestimmung kurz für das Gleichgewicht zwischen der Selbstbestimmung, die wesentlicher Teil der Würde von Lebewesen ist, und der Fremdbestimmung ist, in Beziehung setze. Für "Lesefaule" gibt es das unten stehende YouTube-Video, das eine Vorlesung der wichtigsten Teile des Artikels enthält.

Zum Gleichgewicht der Bestimmung.

Im Folgenden erörtere ich zunächst das im Schutzbereich des Grundgesetzes stehenden Recht[+] auf Vertragsfreiheit von Arbeitssuchenden[+], dann, wie sich die Veränderungen bei der Sanktionsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt[+] auswirken um dann schließlich den gesamten politischen Vorgang einzuordnen in die konjunkturelle Phase der Geldpolitik[+] sowie die Phase des kapitalistischen Prozesses. Wie sich herausstellt, ist der Zeitpunkt[+] des Erscheinens von Forderungen zur Einschränkung der Grundrechte von Arbeitssuchenden[+] kein Zufall und nicht allein der durch die Schuldenbremse[+] erzwungenen Austerität[+] geschuldet, sondern der Zeitpunkt[+] fällt zusammen mit dem konjunkturellen Übergang von der Rezession in die Depression[+] und dem Krisenphänomen des kapitalistischen Prozesses insgesamt.

Die grundgesetzlich geschützte Privatautonomie der Arbeitssuchenden

Dreh- und Angelpunkt der beabsichtigten Veränderungen der Gesetzeslage ist die Vertragsfreiheit der Arbeitssuchenden[+], in die eingegriffen werden soll. Vertragsfreiheit ist wesentlicher Teil des Rechtsinstituts[+] der Privatautonomie[+], die wiederum aus Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz, der freien Entfaltung der Persönlichkeit bzw. der Allgemeinen Handlungsfreiheit, abgeleitet wird. Wie der Jurist Jan Busche[+] in seinem Buch Privatautonomie und Kontrahierungszwang ausführt, ist die Vertragsfreiheit zusammengesetzt aus der Vertragsabschlussfreiheit, der Vertragsinhaltsfreiheit und der Vertragsbeendigungsfreiheit.

Das Grundgesetz, das zunächst nur die Beziehung bzw. das Rechtsverhältnis[+] des Bürgers zum Staat regelt, schützt also das individuelle Recht[+] der vertragsschließenden Personen, darüber entscheiden zu dürfen, ob sie einen Vertrag abschließen wollen, es schützt das Bestimmungsrecht über den Inhalt und das Recht[+], den Vertrag einseitig beenden zu dürfen. Umgekehrt ausgedrückt kann der Staat, wie mit den Aussagen von Frau Petra Eck verträglich ist, den Bürger nicht dazu zwingen, einen Vertrag bestimmten Inhalts abzuschließen oder zu beenden. Dies gilt sowohl für die Eingliederungsvereinbarung als auch für Arbeits[+]- und Dienstleistungsverträge, die nach Ansicht des JobCenters zumutbar sind.

Das Stichwort 'Zumutbarkeit' motiviert die Erörterung eines weiteren vom Grundgesetz geschützten Grundrechts, nämlich die Deutungshoheit über persönliche Empfindungen. Matthias Kette drückt es in den folgenden Worten aus:

Laut GG entscheidet jeder Deutsche allein, was 'wichtig', 'konkret' und 'zumutbar' ist.
Zitat Matthias Kette.

Ob eine Arbeit[+] zumutbar ist, kann nicht alleine das JobCenter entscheiden, sondern zuerst ist Zumutbarkeit eine Empfindung des Arbeitssuchenden[+], in die kein anderer Mensch Einblick hat außer der so-oder-so Empfindende selbst. Die Telepathie ist bisher nur Aberglaube, jedenfalls noch nicht erfunden.

Auch wenn Empfindungen im Wortlaut des Grundgesetzes nicht wörtlich erscheinen und daher Empfindungen und seelische Unversehrtheit aufgrund der expliziten Nennung des Prädikats 'körperlich' im Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz scheinbar anders gehandhabt werden als körperliche Unversehrtheit, jedenfalls scheinbar nachrangig sind, gibt es doch durch das Verbot von Zwängen[+] und Nötigungen in BGB und StGb, die letztendlich immer seelisch vermittelt werden, klare Nachweise dafür, dass das Grundgesetz auch die Deutungshoheit von persönlichen Empfindungen als Teil des Selbstbestimmungsrechts und also der Menschenwürde schützt. Spätestens wenn nachgewiesen ist, dass von außen herbeigeführte seelische Beeinträchtigungen oder Verletzungen auch im Körper nachweisbare Spuren hinterlassen, greift Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz und steht fest, dass der Staat den Bürger nicht dazu nötigen oder gar zwingen darf, einen bestimmten Vertrag samt Inhalt einzugehen oder zu beenden.

Laut dem folgenden Artikel in der NZZ liegt dieser Nachweis vor. Stress[+] erzeugt körperliche Schäden, Hirnschäden wie der Artikel zeigt, und Stress[+] wird durch Bedrohungen, Nötigungen und Zwänge[+] verursacht!


Was macht Stress[+] mit dem Gehirn? Es gibt ein frühes Warnsignal; Wenn die Nerven im Alltag immer schneller blank liegen, ist das ein Zeichen. Denn andauernder Stress lässt die Nervenzellen verkümmern. Urheber: Eveline Geiser. Copyright: 2024 Neue Zürcher Zeitung AG, Schweiz.

Zum Selbstbestimmungsrecht gehört auch ein gewisser Freiraum in der Deutung von Gesetzestexten. Man sollte als Arbeitssuchender[+] bzw. Kunde des JobCenters niemals vergessen, dass nicht das JobCenter allein über die Deutung der Gesetzeslage entscheidet, sondern im Zweifel und Streitfall letztendlich ein Sozialgericht, denn das Prinzip der Gewaltenteilung bedeutet im Fall des Rechtsverhältnisses[+] zwischen Kunde und JobCenter, dass nicht die Exekutive, deren Teil das JobCenter ist, über die Auslegung der Gesetzeslage entscheidet, sondern die Judikative. Jedenfalls hat man das Recht[+] und m.M.n. sogar die Pflicht[+] die Gesetze selbst auszulegen.

Hintergrund ist, dass das Hartz-IV Gesetz von Anfang so gedacht war, dass sich die konkrete "normale" Praxis, die Rechtsnorm[+] in diesem Fall, anhand von Streitigkeiten vor den Sozialgerichten ausdifferenziert. Der Gesetzgeber hat sich nicht die Mühe gemacht, jeden möglichen Fall zu regeln. Das wäre angesichts der mannigfaltigen Lebensumstände, die möglicherweise zu einer Hilfsbedürftigkeit führen könnten, auch völlig unmöglich. Jeder einzelne vor den Sozialgerichten ausgetragene Fall hilft also dabei, die Grenzen dessen, was zumutbar ist und was nicht, genauer festzulegen. Auch wenn es Kraft, Ausdauer und Mühe kostet, sollte sich kein Hilfsbedürftiger der Auseinandersetzung mit denjenigen entziehen, die es mit dem grundgesetzlich geschützten Rechten[+] von Arbeitssuchenden[+] nicht so genau nehmen.

Die Absurdität von Kontrahierungszwängen bloßgestellt

Wie absurd ein die Vertragsfreiheit verletzender Kontrahierungszwang[+] für Arbeitssuchende[+] ist, lässt sich gut nachvollziehen, wenn man „den Spieß umkehrt” und nicht den Arbeitssuchenden[+] einem Vertragsabschlusszwang unterwirft, sondern einen Anbieter eines Arbeitsplatzes[+]. Viele arbeitssuchende Menschen können sich nämlich durchaus vorstellen in bestimmten, existierenden Bereichen der Wirtschaft zu arbeiten, nur will nicht jeder Chef jeden X-Beliebigen anstellen. Hinsichtlich der Gedankengänge und der Motiviation für den Grundrechtseingriff ist doch denkbar, dass auch die Wirtschaft dazu verpflichtet wird, die Sozialausgaben zu verringern und daher hinnehmen muss, dass vereinzelt bestimmte Arbeitssuchende[+] das Recht[+] haben, bei ihnen Anstellung zu finden.

Wie würden wohl Vertreter der Wirtschaft und Unternehmensführer auf einen solchen Kontrahierungszwang[+] reagieren? Wie würden sie argumentieren? Es gäbe einen Sturm der Entrüstung, der vielen Betroffenen gleichzeitig ihre Heuchelei vor Augen führte, denn selbst wollen sie keinen Kontrahierungszwang[+] hinnehmen, doch Arbeitssuchende[+] sollen so etwas akzeptieren.

Der Wirkungsbereich der vorgesehenen Sanktionspraxis

Wen betrifft die Möglichkeit[+] der Totalsanktion? Es wird behauptet, dass die Totalsanktion nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Arbeitssuchenden[+] träfe, nämlich jene, die sich der Eingliederung in Arbeit[+] total verweigern. Stimmt es also, dass der Wirkbereich der Totalsanktion klein ist und nicht alle Arbeitssuchenden[+] davon betroffen sind?

Nein, das kann man nicht sagen. Die Totalsanktion kann jeden der etwa 4 Millionen Bezieher von Bürgergeld treffen, wenn er oder sie sich nachhaltig weigert eine Verletzung seines oder ihres Willens zum Vertragsschluss hinzunehmen. Über allen Bürgergeld-Empfängern soll nach Vorstellungen der Initiatoren und Propagandisten des Gesetzes das Damokles-Schwert des Hungers und der Demütigung schweben, falls sie sich der Eingliederung in Arbeit[+] widersetzen. Lassen Sie mich kurz erläutern, wie die Drohung der Totalsanktion auf den Arbeitsmarkt[+] wirkt, denn dann versteht man eine der Motivationen für die politische Propaganda für die Gesetzesänderung. Es geht nämlich nicht allein um Einsparungen bei den Sozialausgaben. Es geht auch und Einigen allein um die Bereitstellung billiger Arbeitskraft[+] auf dem Arbeitsmarkt[+].

Sie wissen aus der Schule, dass auf jedem Markt der Preis Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht miteinander bringt. Sie wissen, dass Preise steigen, wenn das Angebot verknappt oder wenn die Nachfrage erhöht wird, und dass Preise sinken, wenn das Angebot steigt oder wenn die Nachfrage sinkt.

Auf dem Arbeitsmarkt[+] ist das nicht anders. Die Nachfrageseite des Marktes wird gebildet von Unternehmen und Betrieben, die eine zu besetzende Arbeitsstelle[+] offen haben und daher Mitarbeiter suchen, also die Wirtschaft und der öffentliche Dienst. Auf der Angebotsseite des Marktes befinden sich Arbeitssuchende[+], die eingliederungswillig sind. Der Preis ist der Arbeitslohn[+]. Auf das Gefüge von Angebot, Nachfrage und Preis kann man nun die triviale Theorie loslassen und sich fragen, welche Wirkung die Sanktionsdrohung auf die Angebotsseite und damit auf den Preis hat.

Wird der Arbeitssuchende[+] durch die Androhung einer Totalsanktion unter psychischen[+] Druck gesetzt den Arbeitsvertrag[+] zu schließen, dann wird auf diese Weise das Angebot auf dem Arbeitsmarkt[+] erhöht, denn der Wille zur Eingliederung ist das entscheidende Kriterium dafür, ob der Arbeitssuchende[+] der Angebotsseite des Marktes zuzurechnen ist oder nicht. Der Effekt ist also, dass die Anreize, die ein freier Markt von Natur aus bietet, freiwillig Arbeit[+] aufzunehmen, nämlich eine Erhöhung des Lohnes, sinken oder gar ganz ausbleiben, denn die Existenznot treibt die Arbeitsunwilligen[+] in den Vertrag und eben nicht der freie Wille. Wenn die Arbeitssuchenden[+] schon bei niedrigen Löhnen dazu bereit sind, sich angesichts der Drohung der Totalsanktion zu fügen, warum soll denn die Nachfrageseite die Anreize zur freiwilligen Aufnahme einer Arbeit[+] erhöhen und höhere Löhne bieten?

Wir erkennen hier also, dass die Totalsanktion nicht nur grundgesetzwidrig ist, sondern auch fundamentale Marktmechanismen aushebelt. Wir verstehen nun auch, dass es das Hartz-IV-Gesetz war, das in Deutschland den europaweit größten Niedriglohnsektor hat entstehen lassen. Es ist also nicht der Fleiß der Deutschen gewesen, der den deutschen Arbeitsmarkt[+] im Niedriglohnsektor aus Sicht der Käufer von Arbeitskraft[+] konkurrenzlos günstig gemacht hat, sondern die Leidensfähigkeit der Deutschen und ihr geistiges Unvermögen, die Grundgesetzwidrigkeit des Drangsalierungs- und Repressionssystems zu erkennen und sich diesem zu widersetzen, vgl. §138 BGB, denn offenbar haben sich zahlreiche Menschen dem Druck gebeugt.

Quelle: tradingeconomics.com.

Zeitpunkt der Forderung nach einer Verschärfung der Sanktionspraxis gemessen an der konjunkturellen Phase und der Phase des kapitalistischen Prozesses

Die Agenda 2010[+] war das Machwerk der rot-grünen Bundesregierungen unter Gerhard Schröder von 1998-2005. Man kann angesichts des Karlsruher Urteils[+] danach fragen, ob es neben den Bossen noch andere Begünstigte der Arbeitsmarktreform[+] gab und warum sie sich gerade in der Zeit[+] der Regierung Schröder ereignete.

Zwei überlagerte, interdependente Prozesse mit jeweils einer Phase

Wenn man von einem ökonomischen Standpunkt aus betrachtet nach dem Zeitpunkt[+] eines Ereignisses fragt, dann ist der wohl wichtigste Bezugsrahmen zur Messung und Angabe dieses Zeitpunktes[+] die konjunkturelle Phase. Der normalen Konjunktur[+] übergeordnet gibt es noch eine zweite Phase, die Phase des kapitalistischen Prozesses insgesamt, denn wie das Monopoly-Spiel durchläuft der kapitalistische Prozess seit 6.000 Jahren einen charakteristischen Zyklus, der wiederum in kleinere, konjunkturelle Phasen unterteilt ist. Ein Ereignis findet also zu einer bestimmten Phase der Konjunktur[+] und zu einer Phase des kapitalistischen Prozesses statt.

Den Verlauf der Konjunktur[+] beschreibe ich an einer anderen Stelle dieser Veröffentlichung. Im Vergleich zu weit verbreiteten Beschreibungen wie man sie z.B. bei Joseph Schumpeter[+] in Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung[+] oder in seinem zweibandigen Werk über Konjunkturzyklen[+] findet, hebt meine Beschreibung besonders die Beziehung und das Kräftegleichgewicht zwischen der Finanz- und Leihwirtschaft einerseits und der Realwirtschaft andererseits hervor, das in erheblichem Maß von der Zins- und übrigen Geldpolitik[+] der Zentralbank[+] mitbeeinflusst wird. Geldpolitik[+] nimmt nicht nur auf das Zinsniveau[+] Einfluss, sondern Geldpolitik[+] reagiert auch auf konjunkturelle Impulse, ökonomisch-wirksame Ereignisse sowie die Inflation[+] und lässt sich vom "Marktzins" leiten. Es kann insbesondere weder gesagt werden, dass die Zentralbank[+] die Zinsen vorschreibt, noch, dass die Zentralbank[+] allein dem Marktzins folgt und z.B. auf Inflationsimpulse[+] reagiert. Weder ist die Zentralbank[+] in Bezug auf das Zinsniveau[+] vollkommen autonom noch vollkommen heteronom. Jedenfalls kann man anhand des Verlaufs der Leitzinsen[+] die konjunkturelle Phase, von Aufschwung über Boom zu Rezession und schließlich Depression[+], ablesen.

Liegen die Zinsen über die Konjunkturzyklen[+] gemittelt dauerhaft über Null, so entwickelt sich die zweite betrachtete Phase, die Phase des kapitalistischen Prozesses. Um diese Phase zu messen, betrachtet man die Verteilung von allen zinstragenden Kapitalgütern, für die Eigentum[+] und Besitz[+] an der Sache trennbar sind. Zu den zinstragenden Kapitalgütern zähle ich u.a. Geld, Immobilien, Fahrzeuge, Maschinen, Werkzeuge, Patente, Wissen und Rechte[+]. Im Verlauf des kapitalistischen Prozesses trennen sich aufgrund der akkumulierenden Wirkung der Zinsen Eigentum[+] und Besitz[+] immer weiter auf: Je weiter oben sich ein Mensch in der Vermögensverteilung befindet, desto wahrscheinlicher ist er Eigentümer[+] einer Sache und hat die Verfügungsrechte[+] daran an einen Menschen weiter unten in der Vermögenshierarchie verkauft und nimmt insgesamt Zins von ihm. Umgekehrt nimmt in der Vermögensverteilung zu den kleineren, verschwindenden oder gar negativen Vermögen (Schulden) hin die Wahrscheinlichkeit zu, dass der dort Befindliche die Sachen, die er nutzt, also Geld, Wohnraum, Fahrzeuge, Patente, Rechte[+], Wissen usw. nur besitzt, nicht jedoch ihr Eigentümer[+] ist. Eigentum[+] konzentriert sich bei positivem Zins ohne Wahrnehmung der Nutzungs- und Besitzrechte[+] an den Sachen in Richtung höherer Vermögen, während immer größer werdende Bevölkerungsmassen im Unterbau der Vermögenshierarchie nur Besitzrechte[+] ohne Eigentum[+] an den Sachen haben. Sie sind Kredit- oder Darlehensnehmer, Mieter, Pächter, Lizenz- oder irgendein anderer Leihnehmer der Sachen, die sie nutzen.

Die Phase des Gesamtsystems und die Entwicklungstendenz

Die Geschwindkeit der beiden betrachteten Prozesse, also der Konjunktur[+] und des kapitalistischen Prozesses insgesamt, hängen miteinander zusammen. Wie auf einer Uhr, auf der Stunden- und Minutenzeiger zwei unterschiedlich lange, miteinander in Beziehung stehende Zyklen durchlaufen, bewirkt die Geldpolitik[+] zur Modulation der Konjunktur[+] auch ein Voranschreiten der kapitalistischen Phase, solange die realen Zinsen – die nominalen Zinsen abzüglich der Inflationsrate[+] – positiv sind. Infolge der monetären Ökonomie[+] positiver Zinsen konzentriert sich Eigentum[+] auf die in der Vermögensverteilung weiter oben befindlichen Bevölkerungsschichten, während immer größer werdende Bevölkerungsmassen nur Besitzer[+] ihrer Nutzgüter sind, aber nicht deren Eigentümer[+], und daher Zinsen zahlen müssen.

Das die ganze Ökonomie[+], das politische System und die Wirtschaft umfassende Gesamtsystem hat eine Gesamtphase, die in der Anzahl der Konjunkturzyklen[+] innerhalb des kapitalistischen Prozesses und innerhalb eines Konjunkturzyklus[+] durch die konjunkturellen Phase gemessen wird. Die Entwicklungstendenz wird dabei maßgeblich durch den Umverteilungs- und Konzentrationseffekt der Zinsen bewirkt. Wie dieser Artikel nachweist, können die Zinsschulden, die für Nutzung und Besitz[+] einer fremden Sache fällig werden, als Freiheitseinschränkungen[+] interpretiert werden, die andere Freiheitseinschränkungen[+], wie z.B. Einschränkungen der Vertragsfreiheit, nach sich ziehen.

Wie beim Monopoly-Spiel nehmen gegen Ende des Spiels, wenn bereits absehbar ist, wer das Monopol ist, die Kontrahierungszwänge[+] zu: Wenn man nicht selbst das Monopol ist, dann empfindet man das Spiel als unfair, möchte am Liebsten aussteigen, also die Vereinbarung gemeinsam das Spiel zu spielen widerrufen, den Vertrag beenden, denn wenn man weiter spielt, sich also an den Vertrag hält, dann verläuft das Spiel mit steigender Wahrscheinlichkeit zur eigenen Missgunst, so dass man immer wahrscheinlicher dazu gezwungen ist, Mietzinsen[+] zu zahlen, weil man sich selbst kein Eigentum[+] mehr leisten kann. Überlegungen, inwieweit die Beschreibung des Monopoly-Spiels auf den kapitalistischen Prozess übertragbar ist, habe ich hier angestellt.

Vermögensverteilung in Dezilen der Bevölkerung. Quelle: DIW[+].

Darstellung von zunehmenden Einschränkungen der Vertragsfreiheit und von Vertragsabschlusszwängen

Grob gesagt ist das zins-ökonomische Modell[+] 'Monopoly' nur teilweise auf den kapitalistischen Prozess übertragbar, weil die gesamte Realwirtschaft im Spiel fehlt bzw. nur rudimentär abgebildet ist. Es gibt nur eine Art Grundeinkommen, wenn man über 'Los' geht und man muss sporadisch Rechnungen zahlen. Die normale Spieliteration könnte als Arbeit[+] aufgefasst werden.

Im realen "Gesellschaftsspiel" Kapitalismus[+] gibt es jedoch Vertragsabschlusszwänge, die nicht vom Monopoly-Spiel abgebildet werden. In unserer bundesdeutschen Realität leben bereits über die Hälfte (ca. 56%) der Wohnenden zur Miete und neun von zehn Arbeitenden[+] (90%) sind angestellt und haben einen Vorgesetzten, der nicht ihr Kunde ist. Umgekehrt gesprochen vermietet eine reiche Minderheit an über die Hälfte der Bevölkerung Wohnraum und macht sie so zu Mietzinszahlungspflichtigen[+] und wird die Wirtschaft von nur etwa 4,3 Millionen Selbstständigen geführt, denen über 37 Millionen Menschen vermittels ihres Beschäftigungsvertrags Folge zu leisten haben, denn Verträge müssen eingehalten werden, § 241 BGB bzw. pacta sunt servanda[+]. Die Vertragsbeendigungsfreiheit wahrzunehmen und sich aus dem Arbeitsvertrag[+] zu lösen bedeutet für nicht-selbstständig beschäftigte Mieter ohne andere als Arbeitseinkommen[+], dass sie ihre im Mietvertrag vereinbarte Pflicht[+] zur Zahlung des Mietzinses[+] gefährden. Um also nicht die Wohnung zu verlieren und wohlmöglich auf der Straße zu landen sind solche Menschen dazu gezwungen, einen Antrag zur Sicherung des Grundbedarfs zu stellen, der sie i.d.R. in ein Vertragsverhältnis zum JobCenter zwingt. Innerhalb dieses Vertragverhältnisses, nämlich die Eingliederungsvereinbarung, ist es dann möglich, die existenziellen Zwänge[+] der Menschen auszunutzen und sie in ein vom JobCenter gewünschtes Vertragsverhältnis zu zwingen.

Ein Vertragsschluss führt zu Verpflichtungen, wie der § 241 BGB sagt. Nichts gegen gewisse Pflichten[+], aber bürden sich Menschen freiwillig Pflichten[+] auf?

Wenn man danach fragt, warum Arbeitslose[+] sich dem psychischen[+] Druck aus den Medien, dem JobCenter und wohlmöglich auch dem Freundes- und Bekanntenkreis beugen und sich entweder gar nicht erst beim JobCenter melden und irgendwie versuchen zu überleben oder sonst alles unterschreiben, was man ihnen hinhält, dann sind es existenzielle Zwänge[+]. Sie verpflichten sich aus einer Not heraus, nicht freien Willens. Sie unterliegen nach dem Verlust des Einkommens und vor dem Vertragsschluss mit dem JobCenter zunächst einem existenziell bedingten Vertragsabschlusszwang, einer obligatio ex inopia, Dt. in etwa Verpflichtung aus der Not heraus. Nicht der Staat zwingt sie in die Eingliederungsvereinbarung, denn das wäre ein grundgesetzwidriger Kontrahierungszwang[+], eine obligatio ex lege, und dann in den nach Ansicht des JobCenters zumutbaren Arbeitsvertrag[+], sondern die materielle Not. Wie das BGB im § 138 BGB aber ausführt, sind auch im Privaten vermittelte Vertragsabschlusszwänge, die die Not der Menschen ausnutzt, verboten:

§ 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft[+]; Wucher

(1) Ein Rechtsgeschäft[+], das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft[+], durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage[+], der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen[+] oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Die entscheidende Frage ist also: Wer hat also die obligatio ex inopia zu verantworten? Was erzeugt die materielle Not, die Abhängigkeit der nicht-selbstständig beschäftigten Mieter ohne hinreichend Eigentum[+], das zu Erwerbszwecken genutzt wird, und Wohneigentum?

Die hier vorgetragene These lautet: Es ist in erheblichem Maß das zinstragende Eigentum[+] an Geld, Immobilien und anderen Kapitalgüern, die seinen Eigentümern[+] Zinsen abwerfen und seine Besitzer[+] Zinsen zahlen lässt. Denn diese Art von Eigentum[+] ist auf den oberen Teil der Einkommens- und Vermögensverteilung konzentriert. Eigentümer[+] zinstragender Sachen sind im Verhältnis zu ihren Besitzern[+] in der Einkommens- und Vermögensverteilung eher weiter oben angesiedelt, während Besitzer[+] weiter unten sind, und der Fluss der positiven Zinsen, darunter Spar- und Kreditzinsen, Mietzinsen[+], Pachtzinsen[+], Lizenz-, Leih- und Nutzungsgebühren im Allgemeinen, verschärft dieses Ungleichgewicht, konzentriert in der Pyramide das Eigentum[+] weiter oben und verknappt es weiter unten, denn von über Jahre gesammelten Zinsen kann und wird neues zinstragendes Eigentum[+] gekauft.

AMK-Modell[+], die Schichten A, M und K in der Einkommens- und Vermögenspyramide. Links von der vertikalen Koordinatenachse ist eine Einteilung in NETTO Zinsnehmer und NETTO Zinsgeber gezeigt. Oberhalb der zinsneutralen Schicht, die sich im Drei-Schicht- oder AMK-Modell[+] in der Mittelschicht[+] M befindet, nehmen die Menschen insgesamt mehr Zinsen als sie geben. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Menge des Eigentums[+]. Unterhalb der zinsneutralen Schicht sind die Menschen NETTO Zinsgeber. Die NETTO Zinsnehmer und NETTO Zinsgeber entsprechen der Bourgeoisie[+] (vgl. Patrizier[+]) und dem Proletariat[+] (vgl. Plebejer[+]) der marxistischen Terminologie. Rechts[+] von der Pyramide ist die Aufteilung der Einkommen in Einkommen aus Arbeit[+] (rot) und Einkommen aus Eigentum[+] bzw. Kapitaleinkommen gezeigt (blau). Die Spitzen der beiden Keile definieren die Trennlinien A/M und M/K zwischen den Schichten A, M und K. Menschen oberhalb von M/K leben gar nicht von Arbeitseinkommen[+], Menschen unterhalb von A/M leben gar nicht von Kapitaleinkommen. Die Mittelschicht[+] hat gemischte Einkommen. Mehr dazu am 23.04.2021.

Es sind also die Zinsen, die einen erheblichen Anteil an der materiellen Not, der Knappheit von Geld und Eigentum[+] im unteren Bau der Pyramide erzeugen, die Wahrscheinlichkeit für den Aufstieg schmälern – wie für die zukünftigen Verlierer beim Monopoly. Es sind die Zinsen, die gegen Ende des kapitalistischen Prozesses hin die einen Menschen materiell deprivieren, sie in Verträge zwingen, die sie eingehen müssen, um überleben zu können und in denen sie aber wieder direkt oder indirekt Zinsen zahlen, darunter Mietverträge, Kreditverträge, Arbeitsverträge[+] oder die Eingliederungsvereinbarung. Auf der anderen Seite bietet das zinstragende Kapital in all seinen Formen seinen Eigentümern[+] ein leistungsloses Einkommen. Eine Million € bei 4% Zins angelegt ergibt für den Eigentümer[+] dieses Geldes ein leistungsloses Zinseinkommen von 40.000 €. Wer Eigentümer[+] von Mietimmobilien ist, kann von den Mietzinsen[+] leben, wenn diese hoch genug sind. Grundherren mit genügend Eigentum[+] an Grund und Boden können diesen verpachten und von den Pachtzinsen[+] leben.

Für die Bourgeoisie[+] ist das zintragende Kapital also das Sozialamt, um es in marxistischen Worten zu sagen. Das sozialstaatliche Sozialamt für das Proletariat[+] soll nach dem Willen der Bourgeoisie[+] gestaltet werden, so dass die Arbeitenden[+] dem Kapital den Zins gebären!

Zusammenfassung, Fazit und Auswege

Die Ampel muss aufgrund der durch die Zentralbank[+] in Reaktion auf Pandemie und Krieg maßgeblich erzeugten Finanzierungsbedingungen sparen, will auch bei den Beziehern von Bürgergeld den Rotstift ansetzen und über das Instrument der Totalsanktion Druck und Zwang[+] auf alle Arbeitssuchenden[+] ausüben, sich in aus Sicht des JobCenters zumutbare Beschäftigungsverhältnisse zu begeben, obwohl das Verfassungsgericht sehr klar geäußert hat, dass der Entzug von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums grundgesetzwidrig ist.

Es droht jedoch nicht nur ein neuer Verfassungsbruch im Hinblick auf die staatlichen Nötigung, der Arbeitssuchende[+] dann ausgesetzt sind, sondern die Totalsanktion ist auch ein mit Prinzipien einer freien Marktwirtschaft[+], in der Verträge freien Willens geschlossen werden, unvereinbarer Eingriff in den Arbeitsmarkt[+]. Durch die beabsichtigte Sanktionspraxis wird der normale Mechanismus des Marktes unterdrückt, dass die Löhne auf der Nachfrageseite für Arbeitskraft[+] angehoben werden, um Anreize zu erhöhen, sich freiwillig in den Vertrag zu begeben. Wird der Arbeitssuchende[+] unter Androhung einer Totalsanktion zum Vertragsschluss gezwungen, können die Löhne nicht steigen. Auf diese Weise ist Europas größter Niedriglohnsektor entstanden und auf die selbe Weise soll er weiter wachsen[+].

Angesichts der jetzt schon prekären Verhältnisse im Unterbau der Einkommens- und Vermögenshierarchie bedeutet die Realisierung der Totalsanktion einen großen Schritt in Richtung eines neuen Totalitarismus, in dem die durch die Drohung der Totalsanktion gefügig gemachten Menschen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihre Lebensentwürfe den Renditevorstellungen der Eigentümer[+] insbesondere zinstragenden Kapitals unterzuordnen haben. Statt bei den reichen Beziehern leistungsloser Zinseinkommen den Rotstift anzusetzen will die ausgerechnet von der SPD geführte Regierung bei den Armen kürzen. Mit der Totalsanktion wird nicht nur die Privatautonomie[+] von Arbeitssuchenden[+] gebrochen, sondern auch ihre nach Artikel 12 Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit.

Ich sehe für die Situation am Arbeitsmarkt[+] vor dem Hintergrund der Phase des kapitalistischen Prozesses folgende Möglichkeit[+] zur Verbesserung der Haushaltslage und der Situation am Arbeitsmarkt[+]:

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Querverweise auf 'Anfrage vom Bremer SPD-Mitglied Matthias Kette zum Gesetzesentwurf zu den Totalsanktionen beim Bürgergeld an seinen SPD Ortsverband, die Bundesregierung und das Arbeitsminsterium'

Tim Deutschmann

USt-IdNr.: DE342866832

E-mail: autor@tim-deutschmann.de

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