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8. Januar 2020

Der Geist der Expansion

Dem Sohnemann lese ich abends immer vor. Im Moment lesen wir ein wirklich auf solider Datengrundlage stehendes Buch vom Weltbild Verlag, das die Geschichte der Entstehung der USA beschreibt. Immer wieder finde ich darin hochinteressante Parallelen zur heutigen Zeit[+]. Das Buch nimmt kein Blatt vor den Mund und lässt insbesondere das Thema Zinsen nicht aus, sondern bringt es mit den Entwicklungen dort in Verbindung. Ich stehe nicht allein da, wenn ich behaupte, dass kein Land der USA so gründlich und fundamental mit dem Kapitalismus[+] entstanden, gewachsen[+] und gewandelt ist wie die USA.

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Wir befinden uns im Kapitel über die industrielle Revolution. Ich zitiere hier eine Textstelle, von der ich sagen möchte, dass sie den Geist der kapitalistischen Expansion beschreibt. Ich sehe hier das abendländische Modell[+] zur Eroberung und Unterwerfung des Planeten beschrieben. Wie es zur Erschließung der USA geschah, geschieht es bis heute - weltweit.

Man erkennt hier die Sozialpsychologie[+] der handelnden Agenten an der Expansionsfront: Es sind schizoid[+] Gestörte, die sich nur zu einem Zweck[+] zusammentun, nämlich um noch mehr Profit zu machen! Getrieben sind die Frontagenten (die Pioniere und Eroberer) von Schulden und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Die unerschlossene Wildnis ist verlockend. Ihre Reichtümer werden geplündert, bis nichts mehr zu holen ist. Ich denke, dass genau dieser Geist schon immer die globale Finanzindustrie seit der Gründung der FED getrieben hat. Es geht ihm um die Erschließung, Eroberung und Unterwerfung des Planeten.

Man versteht nun auch, wie es die chinesischen Eroberer machen: Sie schicken einen Unternehmer, der Kredite aus China mit hohem Zins aufnimmt in das fremde Land. Er macht dazu einen Vertrag mit einer typischerweise korrupten Regierung in Lateinamerika, Asien oder Afrika, so dass eine Zinsknechtschaft des fremden Landes entsteht. Der Unternehmer beutet das Land aus, z.B. indem er die Wälder abholzt und sie in anderer Form z.B. nach Europa oder die USA verkauft, und das Land gerät in die Schuldenfalle, denn um den positiven Kreditzins mehr Geld fließt aus dem Land hinaus, wie in es hineingeflossen ist. Sobald der Vertrag geschlossen ist, trägt das Land eine Zinsschuld, die es nur durch Hingabe von irgendetwas Verwertbarem lösen oder durch die Aufnahme eines neuen Kredits in chinesischer Währung abwehren kann. Doch bei letzterer Strategie verschärft sich das Problem natürlich.

Ist nicht an jeder Grenze der Zivilisation, egal ob in Brasilien, Indien, Afrika oder Asien dieser kranke Geist zu finden, der die Zivilisation zum Zweck[+] des Wachstums[+] des geltenden Toten[+] erweitert? Ist dieser Geist nicht zuerst bei den abendländischen Eroberern, den Kolonisten zu finden gewesen? War es nicht dieser Geist, mit dem es das unberührte Wilde des Planeten zu tun bekam, der es überwältigte und unterwarf? Dieser kranke Geist muss und wird jetzt sterben, ein für alle Mal, denn es ist Zeit[+]!

Eine Informations- und Werbeschrift von 1837, Peck's New Guide to the West, schilderte die Besiedlung des Mittleren Westens als einen Prozeß der Ablagerung von Kultursedimenten, durch den die Zivilisation allmählich die Wildnis verdrängt:

"Die meisten Ansiedlungen im Westen haben drei Klassen von Siedlern erlebt, die, wie die Wellen des Ozeans, eine nach der anderen herangerollt sind.

Zuerst kommt der Pionier, der seine Familie in der Hauptsache mit der natürlichen Vegetation und seiner Jagdbeute ernährt. Er benutzt primitive, meist selbst hergestellte Ackergeräte und Werkzeuge und legt nur ein Maisfeld und einen Küchengarten an. Er baut sein rohes Blockhaus ... und wohnt hier, bis er sein Land einigermaßen kultiviert hat und das Wild knapper wird.

Die nächste Klasse der Neusiedler kauft das Land, fügt ein Feld nach dem anderen hinzu, legt Wege an und baut primitive Brücken über die Flüsse, errichtet Häuser aus behauenen Baumstämmen mit verglasten Fenstern und Ziegel- oder Steinschornsteinen, legt hier da Obstgärten an, baut Mühlen, Schulen, Gerichtsgebäude usw. und zeigt dabei das äußere Bild und die Formen eines schlichten bescheidenen zivilisierten Lebens.

Dann kommt eine neue Welle: die Leute mit Kapital und Sinn für organisierte Unternehmen. Aus dem kleinen Dorf wird eine ansehnliche Gemeinde oder eine Stadt. Man errichtet große Häuser aus Ziegelsteinen, bearbeitet große Felder, Obstplantagen und Gärten, richtet Colleges ein und baut Kirchen. Feine Wollstoffe, Seide. Strohhüte, Schleifen und alle anderen Luxusartikel, Frivolitäten und Moden halten ihren Einzug.

So rollt eine Welle nach der anderen westwärts, und das wahre Eldorado liegt hinter dem Horizont."

Dieser Abschnitt beschreibt die Besiedlung des Mittleren Westens, aber die der weiter westlich gelegenen trockeneren Gebiete vollzog sich ganz ähnlich. Peck meint, die Aussichten auf Kapitalgewinn seien eines der beherrschenden Motive für das Weiterverkaufen und Weiterziehen nach Westen gewesen.

[...]

Die Enwicklung der Gesellschaftsstruktur im Westen wurde bestimmt durch das Zusammenwirken politischer Entscheidungen und wirtschaftlicher und geographischer Umstände. Da das meiste Land am Anfang in die Hand des Bundes gelangt war, hatte die Bundesregierung eine große Chance erhalten, die entstehende Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

[...]

Frederick Jackson Turner schrieb 1893, daß »die Existenz eines Raumes mit freiem Land, sein ständiges Schrumpfen und das Fortschreiten der Besiedlung nach Westen die Entwicklung Amerikas erklären«?.

Die Frontier-These Turners wird von verschiedenen Leuten verschieden verstanden und angewandt. Historiker der politischen Geschichte diskutieren bis heute über die demokratisierenden Auswirkungen der frontier-Verhältnisse. Die Staaten im Westen beispielsweise passten sich ihrer Wählerschaft an und betonten das allgemeine Wahlrecht für Männer und die Vergabe öffentlicher Ämter durch Wahlen statt durch Ernennung von der Exekutive. Die politischen Institutionen Amerikas, vom Westen sicher mit beeinflußt, waren im 19. Jahrhundert im allgemeinen fortschrittlicher als die europäischen, und europäische Radikale priesen sie als vorbildlich. Sozialhistoriker haben die Auswirkungen von frontier-Verhaltensweisen und -Gewohnheiten untersucht. Einige Züge, die heute noch zu beobachten sind, sind eine gewisse Grobheit, Direktheit und Vielseitigkeit der Pioniere, ein verschwenderischer Umgang mit den natürlichen Ressourcen wie Holz, Bodenschätzen und dem Boden selbst, und die Duldung von Gewaltsamkeiten.

Welchen Einfluß er auch auf das Amerika des 19. Jahrhunderts gehabt haben mag, der Mythos der frontier, wie er in ungezählten Wildwestfilmen dargestellt wird, ist auch heute noch äußerst einflußreich, und nicht nur in den Vereinigten Staaten. Die Lebensbedingungen machten die Pioniere zu leidenschaftlichen Verfechtern der Gleichheit und zu Individualisten; zugleich fanden sie sich aber auch bereit zur Zusammenarbeit bei bestimmten gemeinsamen Aufgaben.

Auch auf die Industrialisierung Amerikas hatten die frontier-Zone und der Westen im allgemeinen eine Reihe wirtschaftlicher Auswirkungen. Eine ihrer lebenswichtigen Funktionen bestand darin, daß sie als Versorgungsgebiet für den Osten dienten und Pelze, Leder, Gold, Mineralien und Lebensmittel im Austausch gegen Fertigwaren und Dienstleistungen liefertern. Andererscits führten der große Kapitalbedart im Westen und die hoher Zinsen dazu, daß Geldgeber aus dem Osten hier investierten und sich die Kapitalansammlung im Osten wesentlich verlangsamte. Die Investoren aus dem Osten bezogen große Dividenden[+] aus dem Immobilienmarkt im Westen, den sie in zunehmendem Maße kontrollierten. Die gleichzeitige Abwanderung von Arbeitskräften[+] in den Westen hat eine lange Kontroverse entfacht, an der sich auch Marx[+] und Engels beteiligt haben. Allgemein glaubte man, dieses »Sicherheitsventil« werde die durch die Industrialisierung im Osten entstandenen Spannungen verringern, und die Abwanderung wurde propagiert mit der unmißverständlichen Aufforderung an Unzufriedene: »Go West, young man!«

Zwar ist zweifelhaft, ob sich viele Industriearbeiter jemals im Westen auf Farmen angesiedelt haben, aber indirekt wurde der Druck, den überschüssige Arbeitskräfte[+] auf die Wirtschaft im Osten ausübten, durch die Abwanderung von Farmern aus dem Osten gemildert, die sonst in die Industrie gegangen wären. Das gleiche galt für die Stadtbewohner aus dem Osten, die sich nun in den Städten des Westens niederließen. Die Löhne im Osten sind dadurch vermutlich gestiegen, mögliche Konflikte in der Industrie wurden verringert, und es entstanden Lücken, in die neue Einwanderer aus Europa vorstoßen konnten. Mögliche Auswirkungen dieser Lohnerhöhungen auf die amerikanische Technologie werden noch besprochen. Eine weitere Auswirkung der Existenz des Westens bestand darin, daß die Konjunkturaufschwünge[+] im Zusammenhang mit bestimmten Neuerungen verlängert wurden. Die Phase des Eisenbahnbaus zum Beispiel war in Großbritannien um 1860 schon beendet, aber in den Vereinigten Staaten ging der Bau neuer Bahnstrecken an den jeweils immerweiter vorgeschobenen frontiers bis in die 1890er Jahre weiter. Es ist deshalb kein Wunder, daß die amerikanischen Stahlwerke sehr bald die britischen Unternehmen überflügelten, die die relativ schwierigere Aufgabe hatten, ihre Schienen nach Übersee zu verkaufen oder sofort neue Produkte zu entwickeln.
Aus John R. Killick: Die industrielle Revolution in den Vereinigten Staaten in Weltgeschichte: Die Vereinigten Staaten von Amerika, Weltbild Verlag, 1998.
Das Klischee des amerikanischen Eroberers.
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